Schon heute an morgen denken
16. Herbstforum Altbau am 5. November in Stuttgart
Mehr als 400 Personen nahmen am 16. Herbstforum Altbau am 5. November in Stuttgart teil, um sich ein aktuelles Bild der Klimaschutzpolitik des Landes Baden-Württemberg zu machen. Espazium wirft einen Blick über die Grenze und berichtet im Folgenden über die Anstrengungen des Nachbarlandes beim Klimaschutz.
Ist «höher, weiter, schneller, mehr» in Anbetracht des drohenden Klimawandels und der schwindenden Ressourcen überhaupt noch zeitgemäss? Können wir uns den gedankenlosen Konsum, den spritschluckenden Geländewagen oder den kurzen Einkaufstrip nach London oder New York noch guten Gewissens leisten, wenn wir uns zugleich bei den Gebäuden eifrigst bemühen, nach energieeffizienten Lösungen zu suchen? Kann uns materieller Reichtum in Anbetracht der ökologischen Grenzen unseres Planeten überhaupt noch glücklich machen
Mit ihrem provokativen Vortrag über die Perspektiven einer Suffizienzpolitik eröffnete Angelika Zahrnt, Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland das 16. Herbstforum Altbau in Stuttgart, das sich längst als wegweisende Fachtagung zu den Themen energetische Gebäudesanierung, Energieeffizienz und erneuerbare Energie in Baden-Württemberg und über die Ländergrenzen hinaus etabliert hat. Wieder einmal hatte es die Klimaschutz- und Energieagentur Baden Württemberg mit ihrem aktuellen und thematisch ausgewogenen Tagungsprogramm geschafft, den Saal im Neubau des Umweltministeriums im Osten Stuttgarts bis zum letzten Platz zu füllen.
Energie- und Klimapolitik in Baden-Württemberg quo vadis
Die mehr als 400 Teilnehmenden erhofften sich neben so interessanten Vorträgen wie dem von Frau Zahrnt über Suffizienz einen aktuellen Einblick in die Position der Klimaschutzpolitik des Landes Baden-Württemberg und wurden nicht enttäuscht: Die anstehende Revision des Erneuerbaren-Wärme-Gesetzes Baden-Württemberg (EWärmeG) war ebenso Thema wie der neue Sanierungsfahrplan des Landes. Der Chef des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, Franz Untersteller, zog ein ebenso knackiges wie positives Resümee der Energie- und Klimapolitik des bislang einzigen deutschen Bundeslandes unter grün-roter Führung. Er mahnte wiederholt den Dreiklang «Informieren, Fördern, Fordern» an und beschwor insbesondere die Bemühungen um die Energieeffizienz im kommunalen und privaten Wirtschaftsbereich.
Um die angestrebte Wärmewende im Gebäudebereich zu schaffen, bedarf es seiner Ansicht nach noch viel Aufklärung, was die zentrale Informationsplattform «Zukunft Altbau» in vorbildlicher Weise leistet. Aber auch der Bund steht in der Verantwortung: In der letzten Umweltministerkonferenz haben die Länder Berlin aufgefordert, das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz zügig zu novellieren und endlich die Energieeffizienzrichtlinie der EU umzusetzen. Der Minister mahnte zudem Steuererleichterungen für Gebäudesanierungen an und forderte eine Ausweitung des EWärmeG auf den Gebäudebestand.
Baden-Württemberg versteht sich in Sachen Energiewende als Vorreiter. Dies belegt nicht zuletzt das im Juli letzten Jahres verabschiedete Landes-Klimaschutzgesetz, das vorsieht, die Treibhausgasemissionen im Land bis 2020 um 25% gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren bis 2050 sollen es 90% weniger CO2-Ausstoss sein (siehe auch: www.50-80-90.de).
Erfolge sind aber vor allem bei der energetischen Sanierung bestehender Gebäude gefragt, wozu im Land die Revision des EWärmeG ebenso beitragen soll wie der Sanierungsfahrplan. Seit 2012 hat das Land zinsvergünstigte Darlehen der L-Bank mit 6.3 Mio. Euro unterstützt und so ein Darlehensvolumen von 300 Mio. Euro gefördert. Wie man das Geld am besten in zukunftsfähige Neubauten anlegt - so schloss der Minister seine Rede -, zeigt ab 2015 das neue Energiemusterhaus des Landes, dessen Modell und Pläne im Umweltministerium ausgestellt sind.
Novellierung des EWärmeG und Sanierungsfahrplan
In seinem Vortrag ging Volker Kienzlen, Geschäftsführer der KEA, auf interessante Details der geplanten Änderungen ein (siehe Infokasten «Novelle EWärmeG»): In der voraussichtlich im Juli 2015 in Kraft tretenden Gesetzesfassung steigt die geforderte Mindestfläche für Solarthermie auf 0.07m2/m2 WFL für Ein- und Zweifamilienhäuser, und für Röhrenkollektoren gibt es künftig einen Bonus von 20%. PV-Anlagen mit 20 W/m2 WFL gelten als neue Option. Die Wirkungsgrade für Holz- und Pelletsöfen steigen auf 80 bzw. 90%, und eine Einzelfeuerung muss 30% der WFL überwiegend beheizen.
Beim baulichen Wärmeschutz sind in der novellierten Fassung Teilflächen anrechenbar, und die Dämmung der Kellerdecke erfüllt bei Gebäuden mit bis zu zwei Vollgeschossen die Anforderungen bereits zu zwei Drittel. Bei KWK gilt: für Anlagen < 20kW müssen mehr als 15kWh Strom pro Quadratmeter und Jahr erzeugt werden, bei grösseren Anlagen muss der Wärmebedarf überwiegend aus KWK gedeckt werden. Der baden-württembergische Sanierungsfahrplan (siehe Kasten «Sanierungsfahrplan Baden-Württemberg») fliesst in das EWärmeG ein und erfüllt für Wohngebäude die Anforderungen zu einem Drittel. Ein Beratungs- und Nachweistool soll künftig den Planern das Erstellen eines entsprechenden Nachweisformulars erleichtern.
Erfahrungsberichte aus der Praxis
Wie es nach Jahren des Gebrauchs in den Leitungen und technischen Komponenten einer zentral gesteuerten Lüftungsanlage aussieht, zeigte eine Fotodokumentation des Referenten Klaus Michael (Niedrig-Energie-Institut Detmold): Dieser hatte nach sieben Jahren die Lüftungsanlage an seinem privaten Wohnhaus inspiziert, fotografiert und gesäubert letzteres war allerdings nur bei der Abluftleitung nötig und an dem kurzen Zuluftstrang bis zum ersten Filter. Ansonsten zeigte sich entgegen den Befürchtungen mancher lautstarker Lüftungsanlagen-Kritiker an allen hygienisch relevanten Leitungsabschnitten nirgends Schmutz und Staub. Jedoch machten die dunkel gefärbten Filter deutlich, dass diese im geforderten Turnus auszuwechseln sind genau wie bei der Inspektion des Autos.
Der Architekt Burkhard Schulze Darup (Architekturbüro Schulze Darup & Partner) berichtete über seine Erfahrungen mit dem Energiekonzept der DomRömer-Bebauung in Frankfurt am Main, die eine modern interpretierte Rekonstruktion der historischen Bebauung, gemischt mit zeitgenössischer Architektur, umfasst. Passivhauskomponenten sollen das Umsetzen der Anforderungen der Stadt Frankfurt garantieren, die für jedes Gebäude in dem historisch rekonstruierten Quartier Passivhausstandard oder einen energetischen Standard von ca. 30% unter EnEV 2009 fordert. Ein spannendes Projekt, dem insgesamt ein Stadthaus sowie 35 Altstadthäuser angehören, darunter 15 Nachbauten und 20 Neubauten (siehe auch www.domroemer.de).
Bevor sich mit der Podiumsdiskussion um die Frage nach der Zukunft der Wärmedämmung die Fachtagung ihrem Ende näherte, zeigte Angèle Tersluisen (TU Kaiserslautern) als letzte Referentin ganz andere Wege für eine denkmalgerechte energetischen Sanierung auf: Sie stellte autochthone Häuser, also an Ort und Stelle gewachsene Haustypen, als Musterbeispiel für eine klimaadäquate Architektur vor und versuchte sich an einer Brücke zur energetischen Sanierung von Gebäuden in der europäischen Klimazone nach dem Lehrprinzip der Hauskybernetik.
Klaus Siegele studierte nach einer Schreinerlehre an der FH Karlruhe Architektur. Von 1994 bis 2004 Redaktor bei der db deutsche bauzeitung, seit 2000 eigenes Architekturbüro in Ubstadt-Weiher. 2004 Gründung des Redaktionsbüros frei04 publizistik mit Ursula Baus und Christian Holl in Stuttgart. Fach- und Buchautor für Architektur, Bautechnik, Nachhaltigkeit und energieeffizientes Bauen, seit 2005 freie Mitarbeit als Fachjournalist und Redaktor bei verschiedenen Fachzeitschriften.