Schul­haus Son­nen­berg: wei­ter­den­ken – wei­ter­bau­en

Bei der Erweiterung und Instandsetzung des Schulhauses Sonnenberg in Adliswil hat Oxid Architektur die Qualitäten der Anlage von 1969 gestärkt und den Bestand mit dem Neubau als Ensemble weitergebaut – klug, sensibel und entgegen den Vorgaben des Wettbewerbs.

Publikationsdatum
16-02-2022

Adliswil liegt im Sihltal an der Stadtgrenze zu Zürich. Die Topografie prägt die Siedlungsstruktur. Der Dorfkern liegt im Talboden und ist durch S-Bahn – vom Zürcher HB erreicht man die Stadt in 15 Minuten – und die stark frequentierte Sihltalstrasse von den inzwischen dicht bebauten Wohnlagen am Albishang getrennt. Das Wachstum nach 1950 erforderte den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur für die Wohnbevölkerung, sodass die Gemeinde 1963 den Wettbewerb für das «Primarschulhaus im Sonnenberg» auslobte.1 Mitglieder der Jury waren unter anderem Ernst Gisel und der damalige Stadtbaumeister Zürichs, Adolf Wasserfallen. Der Wettbewerb folgte auf eine intensive Debatte über den zeitgemässen Schulunterricht und die dafür geeigneten Gefässe, die mit Beginn der 1950er-Jahre geführt wurde.

Schulbau in den 1950er- bis 1970er-Jahren

1951 hatte Jacques Schader mit seinem Projekt für ein Kleinschulhaus, bei dem er die zentrale zweigeschossige Halle gleichzeitig als grossen Gemeinschaftsraum nutzbar machte, den Fokus auf die Rolle ebenjener Räume gelegt, die nicht eigentlich dem Unterricht dienten. Im gleichen Jahr postulierte Hans Scharoun mit seinem Wettbewerbsprojekt für die Volksschule in Darmstadt: «Die Reihung auch noch so gut technisch-funktionell gelöster Einzelräume genügt nicht. Es sind vielmehr die Schulteile Glieder eines Ganzen, und sie wirken zusammen wie Organe im Organismus…».2


Bereits ein Jahr früher hatte Adolf Roth mit seiner Publikation «Das neue Schulhaus» in diese Richtung argumentiert. 1953 folgte die gleichnamige Ausstellung im Zürcher Kunstgewerbemuseum, währenddessen fand zudem der fünfte internationale Kongress zu Schulbau und Open-Air-Erziehung statt.Neben der Auseinandersetzung mit der Typologie von Schulhäusern wurden mit dem Schulbau jener Zeit zugleich öffentliche Nutzungen verbunden. Die in die Anlagen integrierten Musiksäle, Aulen, Sporthallen oder Schwimmbäder waren auch Einrichtungen für die Bevölkerung. Dies galt auch für die Schule am Sonnenberg. Neben den Klassenräumen waren eine Sporthalle und ein Schwimmbad Teil des Raumprogramms.

Äussere und innere Topografie

Die Zürcher Architekten Hans Müller und Peter Nietlispach, die die neue Schulanlage schliesslich realisieren konnten, setzen sie geschickt in den Hang. Die Anlage wird von der unteren Säntisstrasse (Nordosten) und der oberhalb verlaufenden Sonnenbergstrasse (Südwesten) gefasst. Nach Nordosten bildet das quer zur Sporthalle in den Hang gesetzte Schwimmbad den räumlichen Abschluss, während sich die Schule zur Sonnenbergstrasse öffnete.

Das zwei- bis dreigeschossige Volumen des Klassentrakts ist gestaffelt und folgt dem Höhenverlauf des Hangs. Sporthalle und Schwimmbad bilden als L-förmiger Baukörper das Gegenüber. Die Gebäude sind zueinander in Beziehung gesetzt, das entstandene räumliche Ensemble bildet eine Reihe höhengestaffelter Zwischenräume unterschiedlicher Aufenthaltsqualität. Ein zentraler, von Sitzstufen gefasster Platz bildet das Zentrum der Anlage, die in Erscheinung und Materialisierung den Geist der Zeit atmet. Sichtbeton und mit einem groben weissen Putz verputztes Mauerwerk unterstreichen die plastischen Formen. Auch im Innern bestimmen Sichtbeton, Bodenfliessen und ein grober weisser Verputz das Erscheinungsbild der grosszügigen offenen Flurzonen. In den Klassenräumen schaffen Holzdecken und -fenster mit verbreiterten hölzerne Brüstungen einen wärmeren Grundton.

Das Schulhaus ist als Split-Level ausgeführt. An die zentrale, um ein Oberlicht organisierte Treppenhalle schliessen die grosszügigen Flurzonen und an diese wiederum die Klassenräume an. Die offenen und von einzelnen Oberlichtern an ihren Enden zusätzlich belichteten Flure bilden Zonen unterschiedlicher Aufenthaltsqualität, ähnlich dem Angebot im Aussenbereich. Die Verwandtschaft zum 1964 realisierten Schulhaus Brunnmatt im Basler Gundeldingerquartier von Walter Maria Förderer, Rolf Georg Otto und Hans Zwimpfer ist augenfällig.

Zeitlose Werte

Es mag den räumlichen Qualitäten, der sorgfältigen Setzung der Baukörper und der robusten Materialisierung zu verdanken sein, dass die 1969 eröffnete Schule bis heute keine Umbauten oder Sanierungsmassnahmen erfahren hat.3Doch nach rund fünfzig Jahren Gebrauch standen dringend nötige energetische Ertüchtigungen an, zudem stellte das Harmos-Konkordat, die interkantonale Vereinbarung zur Harmonisierung der obligatorischen Schule, dem der Kanton Zürich 2008 beigetreten ist, neue Anforderungen an den Unterricht und damit die Schultypologie.

Konkret wurde die sechsjährige Grundstufe eingeführt, was zusätzliche Unterrichtsräume sowie Gruppenräume erforderlich machte. Auch war die Schule zu klein, denn auch heute wächst Adliswil, und das Quartier Sonnenberg-Wilacker benötigt zusätzlichen Schulraum. Das Schulhaus Sonnenberg sollte entsprechend ausgebaut und mit einem Sing- und Mehrzwecksaal ergänzt werden.

Gemäss einer Machbarkeitsstudie vom Juli 2017 sollte ein viergeschossiger Neubau anstelle des eingeschossigen Garderobentrakts der Sporthalle den erforderlichen Raumbedarf decken. Zudem wurde der Abriss der nicht mehr genutzten Schwimmhalle erwogen. Der vorgeschlagene Neubau hätte die Anlage in ihrer Grunddisposition empfindlich gestört. Nicht nur hätte seine Höhe die bestehenden Bauten deutlich überragt, auch seine Kubatur wäre ein Fremdkörper im gegliederten, kleinräumlichen Ensemble geworden. Für die Umsetzung der Massnahmen wurde 2017/18 ein Planerwahlverfahren durchgeführt.

Das Ensemble denken

Mit ihrem siegreichen Beitrag hat sich Oxid Architektur (ehemals Burkhalter Sumi Architekten) über den oben beschriebenen Vorschlag hinweggesetzt. Der Entwurf des Zürcher Büros zeigt eine sorgfältige Analyse und Auseinandersetzung mit dem Bestand – sowohl die nötigen Sanierungsmassnahmen als auch der Erweiterungsbau basieren auf dem Weiterdenken des Vorhandenen. Die Architekten konnten durch diese Strategie den Charakter des Gesamtanlage gleichsam stärken.

Wesentlich ist der Erhalt der Schwimmhalle, die zu einem Mehrzwecksaal umgebaut wurde. Saal und Nebenräume können mit eigenem Zugang von der Säntisstrasse unabhängig vom Schulbetrieb genutzt werden. Mit dieser Umnutzung blieben einerseits die räumliche Disposition der Anlage, die gestaffelten Aussen- bzw. Aufenthaltsräume erhalten. Gleichzeitig konnte der Neubau, der ebenso wie der Altbau als Split-Level organisiert ist, ohne den Saal um ein Geschoss reduziert und in seiner Kubatur schlanker ausgeführt werden.

Die Erweiterung ist als vorfabrizierter Holzelementbau mit aussteifendem Stahlbetonkern realisiert.Grundrissstruktur und Ausgestaltung sind vom bestehenden Ensemble aus gedacht. Die vertikale, grau vorverwitterte Fichtenholzlattung zitiert die den Sichtbeton des Altbaus strukturierende horizontale Bretterschalung, die Organisation der Klassen- und Gruppenräume um einen zentralen, grosszügigen Erschliessungsbereich die Organisation des alten Schulgebäudes.

Der Neubau schliesst an die bestehende, sanierte und von einem Anbau befreite Sporthalle an. Auf Eingangsniveau ergänzt ein überdachter Bereich zum zentralen Pausenplatz das Angebot der Freiräume. Nach Nordwesten und Südwesten schieben sich die Klassen- und Gruppenräume nach aussen. Mit dieser räumlichen Gliederung wird auch der bisher offene und wenig definierte Aussenbereich zu Sonnenbergstrasse strukturiert und bietet Orte unterschiedlicher Aufenthaltsqualität.

Zeitgenössisches Zitat

Das Innere der Erweiterung zitiert – ebenso wie die Grundrissorganisation – den Altbau. Grosszügige Flure erschliessen die Klassenräume. Neben den Treppenläufen platzierte Oberlichter bringen Tageslicht, gleichzeitig entstehen durch die über die gesamte Gebäudehöhe laufenden Lufträume Blickbezüge von jedem Split-Level zum anderen. Die Erschliessungszone gleicht so – ganz ähnlich den Aussenräumen – einer in die Höhe gestaffelten Pausenhalle.

Auch die robuste Materialisierung übersetzt jene des Altbaus und ist wie diese auf Langlebigkeit ausgelegt: In den Fluren gliedern blaue und gelbe Fliessen an den Wänden die Bereiche vor den Klassen, Treppenhaus und Aufzugsschacht sind dagegen in Sichtbeton belassen, der Boden ist als Fliessestrich ausgeführt. Im Kontrast dazu sind die Klassenzimmer ganz in Holz ausgekleidet, was eine angenehme, ruhige Atmosphäre schafft. Bei Wänden und Decken bildet Fichtenholz den innenräumlichen Abschluss, der Boden aus geräucherter Eiche setzt einen dunklen Kontrast. Die gleichen Oberflächen finden sich auch in der auf Eingangsniveau liegenden Bibliothek. Der Haupteingang des neuen Klassentrakts liegt auf gleichem Niveau wie der Zugang zum bestehenden Schulgebäude, der zentrale Pausenplatz wird damit gestärkt. Die Anlage erhält ein Zentrum.

Zarte Anpassungen

Der bestehende Klassentrakt wurde unter Wahrung seines Erscheinungsbilds saniert. Die geschlossenen verputzten Wandflächen sind mit Wärmedämmung versehen, während die in Sichtbeton ausgeführten Sturz- und Brüstungsbereiche belassen sind. Neben den energetischen Massnahmen, die vor allem die Dämmung der Aussenwände betrafen, stand insbesondere die Schaffung von Gruppenräumen an. Da hierfür die Teilung von zwei bestehenden Klassenräume möglich war, ist im Gebäude von den Massnahmen selbst wenig zu spüren. Der offene Charakter der Flurzonen ist erhalten. Notwendige Massnahmen wie die Anpassungen von Brüstungen und Geländer an heute geltende Standards sind im Geist des Bestands robust materialisiert.

Verbindendes Element von Alt- und Neubau sind die roten Fensterprofile, die den Ensemblecharakter betonen. Auch die Aussenanlagen wurden im Zuge der Massnahmen neu gestaltet. Der an der Sonnenbergstrasse gelegene grosse Sportplatz ist vom Neubau aus direkt zu erreichen. Die Verknüpfung aller Aussenbereiche über Wegverbindungen mit den Schulbauten stärkt die Anlage insgesamt.

Entwerfen aus und mit dem Vorhandenen

Das Ensemble des Schulhauses Sonnenberg steht beispielhaft für eine Generation von Schulbauten, die in den 1960er- und bis Ende der 1970er-Jahre – nicht nur im Kanton Zürich – errichtet wurden. Es sind Bauten einer Epoche, deren oftmals sperrige Zeitzeugen allzu oft bereitwillig durch Neubauten ersetzt wurden. Der eigenwillige und spröde Charme, der diesen Gebäuden eigen ist, macht das Weiterbauen an und mit ihnen nicht einfach. Sie stehen selten im Inventar, und ihr Abriss ist oftmals möglich, trotzdem wir – auch angesichts der Verpflichtung zu einem die Ressourcen schonenden Bauen – eben dies nicht mehr leichtfertig hinnehmen können.

Letztlich ist das Verstehen und Lesen des Bestands eine immer zentralere Aufgabe, sie betrifft nicht nur das städtebauliche und unmittelbare Umfeld, sondern auch das vorhandene Gebaute selbst. Indem Oxid Architektur die räumliche Gesamtdisposition des Ensembles als Ausgangslage für ihren Entwurf verstanden hat, konnten die Architekturschaffenden nicht nur das Volumen der geplanten Erweiterung infrage stellen, die den Bestand durch ihre Grösse mehr als bedrängt hätte, sondern auch den Abriss der Schwimmhalle. Die Rahmenbedingungen des Bestands werden zum Ausgangspunkt für den Entwurf. So klein diese Spielräume scheinbar sind, eröffnen sie doch Möglichkeiten, die die Architekten zu nutzen wussten.

Die Aussenanlagen konnten in ihrer räumlichen Abfolge mit zentraler Agora nicht nur erhalten, sondern gestärkt werden. Die kluge Verzahnung von Bauvolumen und Aussenraum wird durch den Neubau vervollständigt, der zentrale Pausenhof gefasst. Die Robustheit des Schulgebäudes von 1969 findet eine zeitgemässe Antwort im Neubau, der dank Umnutzung des Schwimmbads schlanker und niedriger ausgeführt werden konnte und damit in seinem Volumen die Disposition der Gesamtanlage stärkt. Und ja, nicht zuletzt wurde damit eine Menge CO2 eingespart.

Anmerkungen

 

1 «Primarschulhaus im Sonnenberg in Adliswil», Wettbewerbsanzeige in: Das Werk 7/1964, S. 152. Zugelassen waren Architekten, «die in der Gemeinde Adliswil heimatberechtigt oder seit 1. Januar 1963 niedergelassen» waren, sowie elf eingeladene Architekten.

 

2 «Volksschule Darmstadt. Wettbewerbsprojekt 1951», Das Werk 3/1954, S.188–189.

 

3 Stadt Adliswil, «Das bestehende attraktive Schulensemble mit Bauten und Aussenräumen bleibt erhalten und wird um einen Neubau erweitert», online unter: https://www.adliswil.ch/dienstleistungen/50975 (15.1.2022).

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
Stadt Adliswil

 

Architektur
Burkhalter Sumi Architekten, ab 2020 Oxid Architektur, Zürich

 

Generalplanung, Baumanagement
Büro für Bauökonomie, Luzern; Baupool Baumanagement, Zürich

 

Landschaftsarchitektur
Planikum, Zürich

 

Tragwerk Holzbau, Brandschutz
Lauber Ingenieure, Luzern

 

Tragwerk Massivbau
Basler & Hofmann, Luzern

 

HLKS-Planung
PZM, Zürich; HHM, Zürich

 

Bauphysik
RSP Bauphysik, Luzern

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