Schwei­zer In­di­vi­du­en

Im 2018 fertiggestellten Baufeld «Îlot A3», dem ersten Teil des Masterplans von Herzog & de Meuron und Michel Desvigne, stammen die Entwürfe dreier Bauten aus der Feder Schweizer Architekturbüros. Mit Bezug auf die Lyoner Stadttypologie haben Manuel Herz, Christian Kerez und nicht zuletzt Herzog & de Meuron selbst die französische Umgebung interpretiert.

Publikationsdatum
09-04-2019

Nach dem Masterplan von Herzog & de Meuron und Michel Desvigne als Landschaftsplaner entstehen im Projektgebiet Lyon-La Confluence in der Phase 2 auf 14 Baufeldern insgesamt 100 Gebäude. Die grundlegenden Gestaltungsrichtlinien sind dabei im Plan Local d’Urbanisme (PLU) ­festgehalten, der in Zusammenarbeit mit der für die gesamte Arealentwicklung zuständigen und vom Bürgermeister präsidierten Societé Publique Locale (SPL) erarbeitet und 2012 verabschiedet wurde. Ziel ist ein Quartier, das bestimmte Charakteristika des Stadtbilds von Lyon aufgreift und auf zeitgemässe Weise neu interpretiert.

So wird die orthogonale Parzellenstruktur aufgenommen, aber nicht in Form einer geschlossenen Blockrandbebauung realisiert, sondern mit einzelnen Volumen, die dicht nebeneinanderstehen und dadurch den Zugang zu den Hofbereichen ermöglichen. Ausserdem sollen die Fronten zum Cours Charlemagne, der zentralen Allee, und zum Rhoneufer eine einheitliche Gebäudehöhe aufweisen, wie es für die Uferbebauung in Lyon typisch ist, während im Innern der Quartiere eine grössere Vielfalt an Gebäudehöhen erwünscht ist.

Allen Baufeldern gemeinsam ist der Nutzungsmix: Wohn-, Gewerbe und Büronutzung sollen zusammenkommen, um ein Stadtquartier mit belebten Erdgeschosszonen entstehen zu lassen. Zudem entschied man sich für eine Balance von geförderten Wohnungen und solchen auf dem freien Markt, um eine soziale Durchmischung zu erzielen und einen typischen, homo­genen Investorenstädtebau zu vermeiden.

Das Baufeld A3 ist das erste, das 2017/2018 fertiggestellt wurde – und damit der erste Test für das von Herzog & de Meuron und Michel Desvigne erarbeitete Konzept. Auf der Parzelle sind acht Neubauten entstanden; die Dreiergruppe aus Wohnbauten an der Nord­west­ecke bestand schon vorher und gehört nicht mit zum Planungsperimeter. Die ehemalige Blumengrossmarkthalle wurde zu einem Sportzentrum umgebaut.

Sie dokumentiert ein weiteres Ziel des Masterplans, nämlich ausgewählte Teile der früheren Grossmarkthallen in die Neubebauung zu integrieren, umzunutzen und dadurch identitätsstiftende Elemente der Vergangenheit zu bewahren, also einer radikalen Tabula-rasa-­Lösung entgegenzuwirken. Ausserdem enthält der PLU diverse weitere architektonische und morphologische Festlegungen wie Strassenprofile, Abstandsregelungen und Bauhöhen. Neben den Strassenachsen gibt es öffentliche Wege, die die Baufelder queren, während die eigentlichen Hofräume den Bewohnerinnen und Bewohnern vorbehalten bleiben.

Eine gemeinsame Sprache

Die Lage des Baufelds A3 ist prominent, weil es direkt an der Hauptachse des neuen Stadtteils liegt und im Norden an die bestehende Bebauungsstruktur sowie im Süden an die zukünftige Esplanade anknüpft. Wie auch bei den übrigen Parzellen wurde ein Architekturbüro als «Chef d’Îlot» ausgewählt, in diesem Fall Herzog & de Meuron selbst. Die Chefs d’Îlot sind gewissermassen Masterplaner im Kleinen und damit für die Realisierung des Baufelds verantwortlich, wobei jeweils weitere Architekten hinzugezogen werden.

Herzog & de Meuron unterbreiteten eine Liste von Vorschlägen, über die an Sitzungen mit der SPL und dem Developer Icade entschieden wurde. Ausgewählt wurden schliesslich Tatiana Bilbao, Christian Kerez, Manuel Herz und das ortsansässige Büro AFAA, das neben der Planung der unter den Bauten befindlichen gemeinsamen Tief­garage für die Mieter und den Technikräumlichkeiten auch mit allen Ausführungsplanungen betraut wurde.

Etablierte Architekturprominenz und New­comer, lokale Architekten und internationale Büros sollen gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Und dieses gemeinsame Arbeiten ist wörtlich zu nehmen: Das Team traf sich während der Planungsphase immer wieder, um die Gestaltungsvorgaben des Masterplans zu präzisieren und die Gebäude aufeinander abzustimmen. So war beispielsweise das die Gebäude verbindende Thema des Betons nicht von Anbeginn gesetzt, sondern ergab sich im Verlauf der Diskussion.

An Mock-ups vor Ort wurden die Abstimmung der Materialien erprobt. Wichtige Festlegungen wurden in einem «Cahier de Charge» festgelegt. Dazu zählten auch die Nutzung, Gestaltung und Beschriftung der Erdgeschosse. Die Stadt wünscht sich ein lebendiges Quartier, daher sind die Mieten für die Ladenlokale vergleichsweise günstig.

Herzog & de Meuron: Vertikale, verwurzelt

Herzog & de Meuron beschränkten sich auf ein Gebäude, und zwar auf einen 17 Geschosse hohen Wohnturm, der etwas aus der Bauflucht der Strasse zurückgesetzt ist, sodass ein kleiner Vorplatz entsteht. Das Haus überragt die übrigen Bauten und ist derzeit das höchste Gebäude des Confluence-Quartiers. Mit seinen halbkreis­förmig auskragenden Balkonen, die das Bild von Eck­türmen entstehen lassen, erinnert es an das Wohnhaus im Zellweger-Park Uster.

Hier indes sind auch die Wände zwischen Balkonen ondulierend gestaltet, und schwingende Wände bestimmen auch die Wohnungen. Zum hellen Sichtbeton der Fassade tritt das Metall der plastisch ausgebildeten Sonnenschutzelemente. Insgesamt umfasst der Wohnturm 72 Einheiten, variierend zwischen zwei und fünf Zimmern, wobei in den beiden Abschlussgeschossen Duplexwohnungen angeordnet sind.

Die obersten sechs Geschosse mit dem privilegierten Ausblick wurden für den freien Markt erstellt, in den zehn Wohngeschossen darunter finden sich geförderte Mietwohnungen. Die fünf untersten Wohnungen in der nordwestlichen Ecke verfügen dank einer Wendeltreppe, die in die Balkonstruktur integriert ist, über einen direkten Zugang zum Hof.

Korrespondenzen

Nördlich an den Wohnturm schliesst sich auf der anderen Seite der Fussgängerquerung ein sozialer Wohnungsbau von Tatiana Bilbao, Architektin mit Sitz in Mexiko und Basel, mit insgesamt 21 Drei- und Fünf-Zimmer-Wohnungen mit Split-Level-Typologien an. ­Markant sind die Fassadeneinschnitte der Eckbalkone, die die Plastizität des Baukörpers steigern.

Die nordöstliche Ecke des Baufelds A bildet ein Bürogebäude von AFAA mit Fensterbändern in den unteren Geschossen und einem blockartigen bekrönenden Volumen, das hofseitig zum Teil verglast und für eine gemeinschaftliche Terrasse eingeschnitten ist.

AFAA realisierten auch das nördliche Gebäude am Cours Charlemagne. Es umfasst über den Geschäften des Erdgeschosses Sozialwohnungen mit zwei, drei oder vier Zimmern; alle Apartments sind durch das Volumen durchgesteckt. Als individuelle Aussen­räu­me – ein wichtiges, vielfältig variiertes Thema auf dem Baufeld A3 – fungieren Loggien auf der Strassen- und Balkone auf der Hofseite, über die auch die Erschlies­sung nach dem Laubengangprinzip or­ganisiert ist.

Das über zwei hofseitig in das Gebäude integrierte, aber offene Treppentürme erschlossene Gebäude an der Ecke Cours Charlemagne / Esplanade stammt wiederum von Tatiana Bilbao. Die 70 Wohneinheiten mit Grössen zwischen einem und fünf Zimmern wurden für den freien Markt erstellt.

Das kleinere Nachbar­gebäude mit Sozialwohnungen auf acht Geschossen wurde ebenfalls von Tatiana Bilbao entworfen und ist das einzige Haus des Baufelds mit Putzfassaden. Die von Atelier Didier Dalmas umgebaute Blumengrossmarkthalle – jetzt ein Sportzentrum – schliesst sich Richtung Norden an und vermittelt zum Wohnturm von Herzog & de Meuron.

Mehr zum Masterplan von Herzog & de Meuron und Michel Desvigne und zu den Bauten von Christian Kerez und Manuel Herz finden Sie in TEC21 14/2019.
 

Architektur
Herzog & de Meuron, Basel
 

Ausführungsplanung
AFAA, Lyon,
PSO Ingénieurie,
Serrieres (F)
ELAN, Limonest (F)
 

Tragwerksplanung
Batiserf, Fontaine (F)
Artelia, La Plaine Saint-­Denis (F)
 

Umweltberatung
Etamine, Vaulx-en-Velin (F)
 

Bauherrschaft
Icade Promotion,
Issy-les-Moulineaux (F)
(Private Developer)
SPL Lyon Confluence (F) (Public Developer)
 

Bauzeit
2015–2017

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