Ser­gi­son Ba­tes Ar­chi­tects: Um­bau in Mon­te, Cas­tel San Pie­tro

Vertraut und verfremdet

Publikationsdatum
16-12-2015
Revision
18-12-2015

In der beeindruckenden Landschaft des Val di Muggio hat der britische Architekt Jonathan Sergison, der als Professor an der Accademia di Architettura in Mendrisio amtet, ein verfallendes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert in ein Haus für Ferien- und Kurzaufenthalte umgebaut. Das Projekt umfasste die Ausbesserung bzw. die vollständige Erneuerung mehrerer Elemente. Die Vorgaben der kantonalen Denkmalpflegekommission schlossen eine Restaurierung des ursprünglichen Gebäudes aus.

Ausgehend von der Anordnung der tragenden Wände und nach einer Projektvariante, die zwei von Stahlbetonstützen getragene hervorspringende Balkone vorsah, entschied man sich schliesslich für die Wiederherstellung des Laubengangs. Damit konnte der Umbau ein ­typisches Stilelement der ländlichen ­Architektur im Sottoceneri aufnehmen. Die Farbschichten von Rot bis Ocker, die sich im Lauf der Zeit an der Fassade angesammelt hatten, wurden sorgfältig analysiert. Für den Aussenputz wurde ein dezenter Farbton gewählt, der sich an der nahe gelegenen Kirche wiederfindet. So integriert sich das Gebäude in die Morphologie des Vorplatzes, der den oberen mit dem unteren Dorfteil verbindet.

Doch das Projekt ist auch eine Komposition, die – in einem subtilen Spiel zwischen Kollegen – mit dem Ferienhaus in Dialog tritt, das sich Stephen Bates, seit 1996 Mitinhaber von Sergison Bates Architects, 2011 im katalonischen Cadaqués gebaut hat: Beide Architekten beschäftigten sich – dieser am Mittelmeer, jener in den Voralpen – mit der Aufwertung und Wiederverwendung des Bestands.

Sergisons Schaffen ist geprägt von seiner Tätigkeit in den Büros von David Chipperfield und Tony Fretton in den frühen 1990er-Jahren, von einem Architekturverständnis, das unter anderem dem Empirismus und der Strenge der rationalistischen englischen Nachkriegsarchitektur (insbesondere der Lehre von Alison und Peter Smithson) entspringt. Hinzu kommen vielfältige Verweise auf die europäische Architektur der 1950er- und 1960er-Jahre.

Wie in vielen seiner Werke misst Sergison auch beim Ferienhaus in Monte dem lokalen Charakter und der Atmosphäre der Innenräume einen hohen Stellenwert zu: Die Innenverkleidung aus hellem, mit Naturwachs behandeltem Holz verströmt Wärme und Behaglichkeit. Mit jedem Detail, jeder Änderung und Ergänzung versucht der Architekt, die Qualität und damit die Besonderheiten des Altbaus hervorzuheben, um dessen Wirkung im traditionellen Siedlungsgefüge aufrechtzuerhalten.

Ein Gefühl für das Bestehende entwickeln, um dem Vorgefundenen – nach der As-found-Ästhetik der Smithsons – mit äusserstem Pragmatismus neues Leben einzuhauchen: Diese Herangehensweise bleibt «in ihrem unverminderten künstlerischen Streben zutiefst modern, mit der Folge, dass die Gebäude eine doppeldeutige urbane Präsenz erhalten, die zwischen dem Bedürfnis nach individuellem Ausdruck und der Rücksicht auf die kollektive Anonymität angesiedelt ist.»1

In diesen Grundsätzen fusst die Vorstellung vom sozialen Nutzen der Architektur. Sie bilden den Stoff für eine Poesie des Alltäglichen, die aus der konkreten Wahrnehmung der Umstände und aus der praktischen Aufwertung des Wohnens im gesellschaftlichen Sinn entspringt.

Diese Absicht haben Sergison Bates schon in ihrer ersten Publikation formuliert: «Wir haben von Anfang an eine Architektur verfolgt, in der Denken und Bauen im Einklang stehen. Die ­Ideen, über die wir nachdenken, betreffen das Sein im Allgemeinen, die Gegenwart, die Erinnerung und die Hoffnung. In einigen Fällen gehen diese Überlegungen dem Bau voraus, in anderen entstehen sie während des Umsetzungsprozesses und in wieder anderen aus der kritischen Betrachtung unserer Arbeit. In jedem Fall erinnern sie uns aber an die untrennbare Verbindung zwischen Bauen, Wohnen und Denken.»2

Anmerkungen
1 Irina Davidovici, Tectonic presence, in: Heinz Wirz (Hrsg.), Sergison Bates Architects. Buildings, Quart Verlag, Luzern 2012.
2 Jonathan Sergison, Stephen Bates, Somewhere between ideas and places, in: Papers, London 2001.

Dieser Text zu Tessiner Ferienhäusern erschien zuerst in Archi 1/2015 «Vacanze sudalpine», Februar 2015. Dort finden sich auch weitere Artikel zum Thema.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Jonathan Sergison, London


Architektur
Sergison Bates architects
Guido Desigis, Lugano


Baumeisterarbeiten
Sergio Livi, Casima


Bauleitung
Guido Desigis, Lugano

Magazine

Verwandte Beiträge