«Wir er­gän­zen uns wirk­lich gut»

Es ist ein Novum innerhalb des SIA: Noch nie wurde eine Berufsgruppe im Co-Präsidium geführt. Doch genau das machen Gerry Schwyter und Laurent Chassot seit einigen Monaten für die Berufsgruppe Architektur. Sie sagen: «Wir tasten uns noch an die Aufgabe heran.» 

Publikationsdatum
03-12-2024

Gerry Schwyter und Laurent Chassot sind beide ausgebildete Architekten. Ansonsten könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Der Jüngere, Laurent Chassot, kommt aus Lausanne, ist 38 Jahre alt und Vater von zwei Kindern. Er gründete Emixi Architectes, ein Büro mit sechs Mitarbeitenden. Zudem ist er an der ETH Lausanne in der Lehre tätig. Der Ältere, Gerry Schwyter, ist 49 Jahre alt, verheiratet und hat vier Kinder. Obwohl er seit über 15 Jahren in Zürich als Associate und Mitglied der Geschäftsleitung bei EM2N arbeitet, einem Büro mit etwa 70 Angestellten, will er sich nur bedingt als Zürcher verstehen. Man hört es ihm an. Im Herzen ist er Ostschweizer geblieben.

Nicht nur regional und biografisch sind sie gegensätzlich. Die unterschiedlichen Bürostrukturen bringen zudem andere Architekturaufträge mit sich. Ihre Kontraste erachten Laurent Chassot und Gerry Schwyter als grossen Vorteil für die Tätigkeit als Co-Präsidenten der Berufsgruppe Architektur BGA. Quasi im Kleinen vereinen sie, was die grösste Berufsgruppe sowieso ausmacht – eine Vielzahl an Ausgangslagen und Interessen. «Wir können unterschiedliche Sichtweisen einnehmen und werden dadurch, in gewissem Sinne, der Heterogenität des Berufsfelds gerecht», hält Gerry Schwyter fest.

Rein geschlittert

Seit dem SIA-Forum im September 2024 sind sie offiziell die ersten beiden Co-Präsidenten einer Berufsgruppe. Ad interim haben sie diese Aufgabe bereits seit Anfang Jahr inne. «Wir sind in diese Aufgabe eigentlich rein geschlittert», berichtet Laurent Chassot. Nach dem Rücktritt des vorherigen Präsidenten, Philippe Jorisch, war es aber die logische Konsequenz, dass sie beide, als damalige Vizepräsidenten, das Amt übernehmen würden. 

Hierbei gestehen sie offen: «Wir tasten uns noch an die Aufgabe heran», denn auf Erfahrungswerte von anderen Berufsgruppen-Co-Präsidien können sie nicht zurückgreifen. Und trotzdem gehen sie ihr Amt mit Spontanität und Leichtigkeit an sowie im ausführlichen Dialog miteinander – eben im Co-Präsidium. Deshalb kommt es für sie auch nicht infrage, dass sie die Aufgabengebiete trennen. «Ich verstehe unser Präsidium eher als Stellvertretersystem mit dem Ziel, dass wir uns zeitlich entlasten können», meint Gerry Schwyter. Sie würden die Geschäfte jeweils gemeinsam diskutieren und dann nach den persönlichen und zeitlichen Möglichkeiten entscheiden, wer beispielsweise in einer Kommission einsitzt oder an Sitzungen teilnimmt.

Unterstützung und Vertrauen

Bis jetzt ist diese Strategie aufgegangen. Geholfen hat auch, dass sie bei wichtigen Fragen jeweils inhaltlich gleicher Meinung waren und dass sie auf die Unterstützung von Seiten der Geschäftsstelle und innerhalb des BGA-Rats zählen dürfen. «Wir sind beide noch keine zwei Jahre im BGA-Rat», sagt Laurent Chassot. «Uns umgeben viele Leute mit weit mehr Erfahrung, die uns glücklicherweise immer wieder auf Wichtiges hinweisen.»

In der Ausübung des Co-Präsidiums ist für Schwyter und Chassot eines zentral – die Diskussion. «Nicht nur durch unsere Engagements, sondern auch durch die Diskussionsbereitschaft mit anderen Interessengruppen gewinnen wir deren Vertrauen und Vertrauen in unsere Aufgabe», betont Gerry Schwyter. Die Berufsgruppe erachten sie auch als Gremium für den Diskursanstoss innerhalb des gesamten SIA. Denn um den heterogenen Interessen der Mitglieder gerecht zu werden, braucht es einen guten Diskurs, «und einen relativ nüchternen Blick auf unsere Professionen», ergänzt Gerry Schwyter.

Projekte und Ziele

Als Co-Präsidenten der BGA haben sie eine Hauptaufgabe: Die Interessen der beinahe 9'000 Architektinnen und Architekten innerhalb des SIA zu vertreten und Themen anzustossen, die aus Sicht der BGA bearbeitet werden müssten. So entstammt der SIA-Aktionsplan Klima, Energie und Ressourcen auf Initiative der BGA. Er verfolgt das Ziel, mit einem Massnahmenplan Werkzeuge und Arbeitshilfen aufzuzeigen, damit die Baubranche einen wirkungsvollen Beitrag gegen den Klimawandel und zur Erreichung des 1.5-Grad-Ziels leisten kann.

Ein Projekt mit bildungspolitischer Relevanz ist der SIA Masterpreis Architektur. Auf einzigartige Weise betrachtet er die Ausbildungslandschaft auf Hoch- und Fachhochschulniveau und prämiert die besten Masterarbeiten. Damit ist er einerseits Ansporn für die Schulen, sich mit ihrer Forschung und Lehre auseinanderzusetzen. Andererseits ist er Diskursplattform über die Architektur von morgen.

Während beide Projekte entweder bereits etabliert oder in Erarbeitung sind, verfolgen Chassot und Schwyter vor allem zwei Ziele für ihre Zeit als BGA-Co-Präsidenten: «Wir wollen Diversität bei der Gestaltung des BGA-Rats gewährleisten», benennt Laurent Chassot das erste. Nur so werden die verschiedenen Interessen und Arbeitsgegebenheiten von Architektinnen und Architekten angemessen abgebildet und vertreten. «Zudem steht immer noch an, Ruhe in den Verein zu bringen und die Strukturen zu klären und zu bereinigen», sagt Gerry Schwyter über das zweite Ziel. Der SIA habe eine bewegte jüngere Vergangenheit hinter sich und stecke nach wie vor in einem Transformationsprozess. 

Ziel vor Augen

Die beiden Co-Präsidenten erachten den BGA-Rat als einen Thinktank, der sein fachliches Knowhow sowie die Standpunkte der Architektinnen und Architekten bei unterschiedlichen Projekten einbringt. In einem Berufsverband sei es wichtig, dass die Positionen verschiedener Interessengruppen und Berufsbilder abgebildet würden, meinen Schwyter und Chassot. Gerade Präsidien einer Berufsgruppe müssten hierbei eine Vermittlerrolle zwischen den Positionen einnehmen, ohne dabei das Ziel vor Augen zu verlieren: Das Arbeitsumfeld von Planendenden zu verbessern, aktiv die Grundlagen für die tägliche Arbeit mitzugestalten und die Sichtbarkeit der Ingenieurinnen und Architekten innerhalb der Gesellschaft zu stärken. 

Apropos Stärken: Ein bisschen überrumpelt von der Frage, wie der eine die Stärken des anderen einschätzt, schmunzeln beide zuerst, doch dann müssen sie nicht lange überlegen. Gerrys Stärke sei definitiv seine grosse Erfahrung im Beruf, meint Laurent Chassot über seinen Kollegen. Er kenne eine Vielfalt an Verfahren und habe grosse wie kleine Projekte realisiert. Zudem sei sein Zürcher Netzwerk wichtig für den SIA. Und er sei er ein guter Kommunikator. Gerry Schwyter sieht die Stärken von Laurent Chassot in seiner Jugend und seiner lokalen Vernetztheit in Lausanne. Dort sowie in Genf passiere viel. Die Sektionen Vaud und Genf seien sehr aktiv. Zudem sei Laurents Lehrtätigkeit ein grosser Mehrwert.

Doch nicht die individuellen Stärken zeichnen dieses Team aus. Ihre Stärke besteht in der Vielfalt, die sie abdecken. «Wir ergänzen uns wirklich gut», bekräftigen beide.

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