SIA Mas­ter­preis Ar­chi­tek­tur 2022: An­er­ken­nun­gen


Fabiana Frisullo. Flux – Umgang mit in Zukunft fehlenden Wasserressourcen und Entstehung einer neuen Wasserlandschaft Schweiz.
ETH Zürich. Begleitung: Elli Mosayebi

Nicht weniger als eine neue Wasserlandschaft Schweiz verspricht der Titel des Projekts. Die Verfasserin schlägt einen neuen Umgang mit der Ressource Wasser vor: Die schmelzenden Gletscher können nicht länger als Süsswasserreservoir fungieren, daher soll das Mittelland zum Schwamm werden. Am Beispiel der Lägern im Kanton Zürich, wo sich Limmat, Aare und Rhein treffen, zeigt die Verfasserin, wie das baulich aussehen könnte. Bestehende Infrastrukturbauten wie Tiefgaragen könnten temporär geflutet und zum Reservoir werden, neue Ausgleichsbecken können zeitweise auch als Schwimmbad dienen. Die hydrologisch interessante Studie ist düster visualisiert; es wirkt, als müsse die Dringlichkeit des Themas gestalterisch zusätzlich betont werden – das gelingt.


Florian Gugger. Der Kanal, der Garten und die Stadt
Hochschule Luzern – Technik & Architektur. Begleitung: Johannes Käferstein (Projekt) / Dr. Oliver Dufner (Buch)

In einem Mischquartier in Niedrigbauweise der japanischen Stadt Kyoto ist ein Projekt angesiedelt, das aus einer langen Zusammenarbeit des Verfassers mit der dortigen Architekturfakultät entstand. Die für Kyoto wichtigen Gewässerräume, spezifisch die Freiflächen, die an einen durch das Quartier führenden Kanal grenzen, sind heute komplett versiegelt und werden als Parkplatz benutzt. Um diese Freiräume vom Automobil zu befreien, schlägt der Verfasser ein zentrales kommunales Parkhaus vor und aktiviert die dadurch freigewordenen Flächen als begrünte Aufenthaltsräume und zur Kühlung des Stadtklimas. Dieses kommunale Parkhaus in Holzbauweise kann später bei Bedarf zu Wohnungen transformiert werden. Ausserdem ergänzen ein Veloparking und ein Teehaus mit weiteren gemeinschaftlichen Nutzungen das Ensemble. Das in sich schlüssige und sorgfältig bearbeitete Projekt überzeugt durch seine intensive Auseinandersetzung mit der japanischen Kultur sowie durch die eigene, durch den Ort inspirierte Formensprache und die ökologisch sinnvolle Einbettung der Kanäle in die Bebauung.


Adrian Kiesel. Beton wiederverwenden! – Das Potential einer Wiederverwendung bereits vergossener Betonstrukturen für eine nachhaltige Baukultur.
ZHAW. Begleitung: Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Marc Loeliger

Beton hat bisher – von Recyclingbeton abgesehen – in Bezug auf Re-use noch kaum von sich reden gemacht. Der Verfasser widmet sich dem Thema anhand einer Halle, die demontiert und auf dem Areal eines ehemaligen Güterbahnhofs wieder aufgebaut wird, ergänzt mit neuen Elementen. Untersucht wurden die konstruktiven Möglichkeiten der Demontage, des Wiedereinbaus und des Ergänzens bis ins Detail auf Basis eines Bauteilkataloges. Beachtenswert sind die konstruktiven Konzepte zur Queraussteifung der wiederverwendeten Primärstruktur. Zu diskutieren gab, ob nicht gerade die Fassade als nichttragende Sekundärstruktur ein höheres Potenzial für Wiederverwendung hat – und auch ob die De- und Remontage einer gesamten Halle, an einem Ort wo früher ein Güterbahnhof stand, Sinn ergibt. Letztlich aber lobte die Jury die Relevanz und die präzise Auseinandersetzung mit dem Thema «Re-Use in grossem Massstab».


Michael Nelson. Entropia. Landschaftsinfrastrukturen – Starke Formen
ETH Zürich. Begleitung: Corinna Menn

Die vorliegende Arbeit verbindet gleich mehrere Disziplinen: Bauen in den Bergen, Infrastruktur, Folgen des Klimawandels und Landschaftsarchitektur mit einem für statische Bauwerke eher ungewöhnlichen Aspekt: der kontinuierlichen Veränderung. In einem Walliser Bergtal zieht sich der Gletscher zurück und hinterlässt dabei Seen im Geröll. Letzteres droht abzurutschen, was die entworfene grossmassstäbliche Hilfskonstruktion verhindern soll. Zwölf Z-förmige Elemente in Talrichtung sollen dabei wie eine Art Rechen das Geröll abfangen, das Wasser aber abfliessen lassen. Durch den Geröllabgang baut sich der Staudamm mit der Zeit auf beziehungsweise wird mithilfe eines in das Projekt integrierten Kransystems aufgetürmt. Die für den Bau benötigte Seilbahn soll später Wandererinnen und Wanderern dienen. Die Arbeit überzeugte durch den Einsatz weniger Mittel, die starke Form und die Verknüpfung von Pragmatik und Poesie – ganz in der Tradition der alpinen Architektur.


Roxane Noëlle Unterberger. Dream Baby Dream. A Field Guide to «Housing First»
Università della Svizzera italiana. Begleitung: Muck Petzet 

Die Arbeit der Verfasserin ist in Brüssel angesiedelt. In den letzten zehn Jahren hat sich Obdachlosigkeit in der belgischen Hauptstadt mehr als verdoppelt. Aufgrund einer Analyse der dortigen Situation schlägt die Verfasserin vor, einen bestehenden Bau zu einem Gemeinschaftshaus für Obdachlose umzunutzen. In die bestehende Betonraster-Baustruktur werden Studiowohnungen mit ungewöhnlichen Grundrissen eingepasst. Neuralgische soziale Schnittstellen wie eine gemeinschaftliche Halle oder Küchen werden gestalterisch sorgfältig ausgearbeitet. Die Verfasserin nähert sich der Problematik auf mehreren Ebenen. Gestalterisch überzeugen die ergreifend schönen vektorisierten Skizzen und die Erzählung einer persönlichen Biografie in mehreren Kapiteln, die sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Massstabsebenen der Pläne zieht.

Alle prämierten Projekte vom SIA Masterpreis Architektur 2022 finden Sie in unserem E-Dossier.

 

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