Die Welt wird wieder grösser
Zum zweiten Mal wird der SIA-Masterpreis Architektur vergeben, die Auszeichnung für die beste Schweizer Masterarbeit in diesem Fachbereich. Mitte September kürte eine unabhängige Jury in Freiburg aus 32 Arbeiten acht Projekte für die engere Wahl. Eindrücke, Erkenntnisse und ein Ausblick.
Es war ein besonderer Ort, an dem die Jury Mitte September zusammenkam, um die besten Schweizer Masterarbeiten im Fach Architektur zu küren. Die Jurierung fand in den Räumen der ehemaligen Villars-Schokoladenfabrik auf dem Pérolles-Plateau in Freiburg statt. Damit war das Grundmotiv für die beiden Tage schon gesetzt – aber nicht etwa wegen der Schokolade. Denn eines wurde beim Anblick der Arbeiten deutlich: Architektur im Jahr 2023 heisst aus Sicht der Studierenden: Bauen im Bestand. Und zwar ausschliesslich und in verschiedenen Eingriffstiefen bis hin zum bewussten Nicht-Bauen. Unter den klassischen Architekturprojekten gab es keinen einzigen Neubau, daneben aber auch einige freie Arbeiten, die die Architektur in einen grösseren sozialen, ökologischen und ökonomischen Kontext stellen.
Alte Probleme, neue Trends
Tatsächlich war vieles neu in diesem Jahr, unter anderem die Jury, die jedes Jahr neu zusammengesetzt wird. Ordentliches Mitglied war der letztjährige Masterpreis-Gewinner Sandro Hauser, der zum ersten Mal Juryluft schnupperte. Im Gegensatz zur Ausgabe 2022, in der das Themenspektrum auch etliche Projekte umfasste, die sich mit Infrastruktur oder der Klimakrise in einem übergeordneten Massstab beschäftigten, war die Auswahl dieses Jahr deutlich homogener. Befasste sich ein Entwurf etwa mit den Folgen des Klimawandels, gab es auch eine stringente architektonische Umsetzung, die mit diesem Thema verknüpft war – etwa bei der Eingabe «Nobody is an island», die den Umgang des Nordseestädtchens Husum mit dem steigenden Meeresspiegel auf beeindruckende Weise thematisierte und in ein architektonisches Projekt überführte.
Eine Herausforderung, die schon im vergangenen Jahr zu reden gegeben hatte und die sich mit der Fokussierung auf das Bauen im Bestand verschärfte: Die Pläne unterschieden oftmals nicht zwischen Alt und Neu. Für die Jurymitglieder war es teilweise nur schwer zu erkennen, was Bestand war und wo es sich um einen Eingriff handelte. Die Nachvollziehbarkeit war auch sonst manchmal eine schwierige Aufgabe, aber nicht wegen mangelnder Fähigkeiten. Im Gegenteil: Einige der Studierenden setzten sich mit ihrem Thema weit über das rein Architektonische hinaus auseinander, wie etwa in der Arbeit «The Element of Repair», die ein Zukunftskonzept für die ehemaligen staatlichen Landwirtschaftsbetriebe in Polen entwickelte. Dabei führten die Studierenden Interviews, machten Materialexperimente und erstellten Videos und Websites. Dieses beeindruckende Engagement anhand der digitalen Medien wurde auch gesichtet und floss in die Diskussion ein. Dennoch lassen sich diese Inhalte in einer klassischen Jurierung anhand aufgehängter Pläne nicht ideal vermitteln. Sollte diese Entwicklung anhalten, müsste man wohl eine Anpassung des Jurierungsprozederes in Erwägung ziehen.
In Sachen Darstellung zeigte sich hingegen ein neuer beziehungsweise alter Trend: Mehrere Eingaben präsentierten Axonometrien und auch Handzeichnungen (oder mithilfe von Filtern generierte Zeichnungen, die wie Skizzen wirken), die Farbigkeit erinnerte an die 1970er-Jahre. Ebenfalls bemerkenswert: Während sich im vergangenen Jahr noch sechs von acht Arbeiten mit Schweizer Projekten auseinandersetzten, sind unter den diesjährigen Nominierten fünf Projekte, die im Ausland angesiedelt sind, konkret in Moldawien, Deutschland, Frankreich, Kolumbien oder Polen. Ein Zeichen dafür, dass wir in der (hoffentlich) Post-Corona-Zeit wieder vermehrt reisen können, aber auch dafür, dass die an den hiesigen Hochschulen vermittelten Kenntnisse offenbar universell anwendbar sind.
SIA-Masterpreis Architektur 2023
NOMINIERUNGEN
Erhalt von Obstbaumkulturen als Teil des Ortsbildes am Beispiel von Zuzwil SG.
Rebecca Strässle, ZHAW, Professur Ingrid Burgdorf, Andreas Sonderegger, Marc Loeliger
Hotel Naţional – Arriving back home.
Olga Cobuscean, ETH Zürich, Professur Jan De Vylder
Nobody is an Island.
Leslie Majer, ETH Zürich, Professur Tom Emerson
machina CITREA.
Stefanie Hug, HSLU, Professur Johannes Käferstein
Paris, Transit: plate-forme alimentaire du dernier kilomètre.
Marie-Ange Farrel et Manuel Rossi, EPFL, Professur Eric Lapierre
Purii.
Marine Gigandet, Janosch Kirchherr, Johannes Pfeifle, ETH Zürich, Professur An Fonteyne, Philip Ursprung
The Element of Repair.
Alicja Prusinska, ETH Zürich, Professur Emanuel Christ, Christoph Gantenbein
Zwischen Zeilen.
Rebecca Baer, HSLU, Professur Peter Althaus
JURY
Marcia Akermann, MAK Architecture, Zürich
Lilitt Bollinger, Lilitt Bollinger Studio, Nuglar-St. Pantaleon
Véronique Favre, FAZ architectes, Genf
Riccarda Guidotti, Guidotti Architetti, Monte Carasso
Sandro Hauser (Preisträger 2022), bernath + widmer Architekten, Zürich
Claudio Meletta, Stereo Architektur, Zürich / Basel
Daniel Niggli, EM2N, Zürich
Andreas Ruby, S AM, Basel
Pat Tanner, :mlzd, Biel/Berlin
VERTRETUNG BGA
(nicht stimmberechtigt)David Leuthold, pool Architekten, Zürich
Jakob Schneider, Salathé Architekten, Basel
Léa Prati, Atelier Prati Zwartbol, Zürich
MODERATION
Philippe Jorisch, Präsident BGA, JOM Architekten, Zürich
SIA-Masterpreis Architektur
Mit dem Preis zeichnet die Berufsgruppe Architektur BGA des SIA zusammen mit dem Architekturrat der Schweiz die besten Masterarbeiten im Bereich Architektur aus. Alle Projekte, die im Herbstsemester 2022 oder im Frühlingssemester 2023 abgeschlossen wurden, qualifizierten sich für die diesjährige Auswahl. Die Nomination der Arbeiten erfolgt durch die jeweiligen Schulen, eine unabhängige Jury prämiert jeweils fünf bis acht Projekte. Dotiert ist der Preis mit 14 000 Franken.
Die Jurierung der Arbeiten geschieht durch ein von den Schulen unabhängiges Preisgericht. Die Jurierung fand Mitte September in Freiburg statt. Die Auszeichnungen werden am 16. November 2023 im Kulturraum Le Nouveau Monde in Freiburg verliehen.
Alle nominierten Arbeiten können auf sia-masterpreis.ch eingesehen werden.