SIA: Re­ge­lungs­lü­cken ge­schlos­sen

Die Standesordnung 151 des SIA definiert Standesregeln und regelt das bei Fehlverhalten von Planern anzuwendende Verfahren. Im Mai 2014 genehmigten die SIA-Delegierten die aktualisierte und ergänzte Ordnung einhellig. Was hat sich geändert?

Publikationsdatum
09-07-2014
Revision
05-11-2015

Auf der jüngsten Delegiertenversammlung des SIA wurde auch eine Neufassung der seit 2001 geltenden Standesordnung 151 des SIA beschlossen. Die Revi­sion kam im Sommer 2013 zur ­Vernehmlassung. Nachdem die teilnehmenden Instanzen, von punk­tuellen Anregungen abgesehen, keine Einwände hatten, konnte die Neufassung im vergangenen Monat beschlossen werden. Sie tritt am 1. Januar 2015 in Kraft. 

Die Standesordnung des SIA ist ein Reglement zur Verhandlung von Fällen, in denen Architekten oder Ingenieure beschuldigt werden, Verstösse gegen die Regeln der gewissenhaften Berufsausübung, des fairen Wettbewerbs oder gegen die ethische Verantwortung des Planers gegenüber dem Auftraggeber oder dem Gemeinwesen verschuldet zu haben. Wird ein SIA-Mitglied wegen eines Verstosses gegen die Standesregeln bei der Standeskommission der zuständigen Berufsgruppe angezeigt, setzt diese ein fünfköpfiges Standesgericht ein, das den Fall untersucht und gegebenenfalls Sanktionen verhängt.

Alternative zum Gerichtsverfahren

Ein Standesverfahren kann als Alternative zu einem Verfahren vor einem ordentlichen Gericht betrachtet werden – verbunden mit dem Anspruch des SIA, dass die Berufsgruppen innerhalb ihrer Disziplin selbstkritisch für die Wahrung ethischer Standards Sorge tragen. 

Die bisherige Standesordnung erwies sich für die Verhandlung und Abwicklung der meisten Fälle als sehr taugliche Grundlage. Allerdings zeigten sich im Lauf der Jahre einige Regelungslücken. Hätten diese Mängel zu Anfechtungen von Entscheiden durch eine Partei geführt, wäre die Rechtssicherheit des Reglements infrage gestellt worden, wodurch das Ansehen des SIA-Standeswesens Schaden erlitten hätte. Daher entschloss sich die Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. Jean-Claude Badoux, Präsident der Standeskommission, zu einer Reihe von Änderungen und Ergänzungen, deren wesentliche im Folgenden zusammengefasst werden.

Der Wortlaut der Standesregeln wurde weitgehend beibehalten. Auch die bestehende Organstruktur erfuhr keine Änderung: Die vier Berufsgruppen Architektur, Ingenieurbau, Technik und Umwelt verfügen weiterhin über je eine eigene Standeskommission. Die Schweizerische Standeskommission bleibt die Rekursinstanz dieser vier Kommissionen. Die vier Standeskommissionen der Berufsgruppen verfügen gemein­sam über einen ständigen juristischen Berater. Seine Aufgabe besteht darin, die Standesgerichte während eines Verfahrens zu begleiten, alle Verhandlungen zu protokollieren und sie bei der Redaktion der Entscheidbegründung zu unterstützen; neu wird explizit festgelegt, dass er kein Stimmrecht hat.

Geänderte Verfahrensbestimmungen 

Die grösste Zahl einzelner Änderungen gab es bei den Verfahrensbestimmungen. Als wichtigste Neuerungen sind hervorzuheben: 

Fortan wird jede Anzeige von der SIA-Geschäftsstelle direkt an die zuständige Standeskommission überwiesen. Der SIA-Vorstand hat damit nicht mehr über die Zulassung von Anzeigen durch Nicht-SIA-Mitglieder zu befinden.  Das aus fünf Personen bestehende Gremium, das jeweils zur Durchführung eines Verfahrens aus dem Kollegium der zuständigen Standeskommission zusammengestellt wird, heisst neu Standesgericht; in der alten Ordnung wurde es unverständlicherweise ebenfalls mit Standeskommission bezeichnet.  Neu wird nicht mehr von beiden Parteien ein Vorschuss verlangt, sondern nur von der anzeigenden Partei.  Die Verfahren werden künftig in der Amtssprache geführt, in der auch die Anzeige verfasst ist.  Künftig kann in Ausnahmefällen, etwa aus gesundheitlichen oder sprachlichen Gründen, die Begleitung einer Partei zugelassen werden. Bisher war jegliche Verbeiständung verboten. In der Schweiz niedergelassene ausländische Anzeiger, die keiner Landessprache mächtig waren, durften zum Beispiel keinen Dolmetscher beiziehen. Erhält eine Standeskommission im Rahmen ihrer Tätigkeit Kenntnis von einem noch nicht angezeig­ten Verstoss gegen die Standesregeln, meldet sie ihn nunmehr dem SIA-Vorstand. Dieser entscheidet, ob und wie eine Anzeige zu erstatten ist. Bisher musste die Standeskommission von Amts wegen selbst ein Verfahren er­öffnen, was aus dem Blickwinkel der Gewaltentrennung rechtlich nicht haltbar ist: Ein Standesgericht kann nicht zugleich anklagende und richtende Instanz sein. Neu ist ferner die Verfahrensbestimmung, dass die Entscheidungsfindung des Gremiums durch Mehrheitsbeschluss erfolgen muss. 

Fast unverändert: die Sanktionen

Die in der alten Standesordnung ­aufgeführten Sanktionen wurden nahezu unverändert übernommen. Das zeitlich befristete Verbot, im Fall eines Verstosses gegen die SIA-Wettbewerbsordnung ein Preisrichteramt anzunehmen, kann neu kumulativ zu einer anderen Sanktion ausgesprochen werden. Es wird nur in gravierenden Fällen ­verhängt und ist dann auch in den Vereinsorganen zu publizieren. 

Die Gliederung der Standesordnung wurde grundlegend überarbeitet. Dabei wuchs sie von 54 auf 103 Artikel an – dieser Zuwachs rührt aber zum grössten Teil daher, dass die Arbeitsgruppe viele Absätze in mehrere kurze Artikel umgeformt hat, sodass das Werk nicht länger wurde, jedoch an Übersichtlichkeit gewonnen hat und dadurch für Aussenstehende bedeutend zugänglicher geworden ist.

Berufskodex in Kürze 

Der mit der Erneuerung des Regelwerks befasste Arbeitsgruppe lag daran, dass die Standesordnung als Berufskodex des SIA besser bekannt wird. Zu diesem Zweck verfasste das Gremium eine nur ein A4-Blatt ­umfassende Kurzfassung des Regelwerks. Diese Grundsätze der Standesordnung des SIA sollen demnächst zusammen mit der Langfassung der Standesordnung an alle bisherigen und neu eintretenden SIA-Mitglieder verteilt werden. 

Schweizerische Ingenieure und Architekten scheinen übrigens mit ihrer Arbeit höchst selten Veranlassung zu Beanstandungen zu geben: Für die Berufsgruppe Architektur wurden der Standeskommission zwischen 2001 und 2013 nur 27 Fälle überwiesen. Zwölf davon wurden eingestellt oder zurückgezogen, zwei sind sistiert wegen laufender Prozesse vor zivilen Gerichten. 

Somit führten nur 13 Fälle zu einem Verfahren mit abschliessendem Urteil eines Standesgerichts. Bei der Berufsgruppe der Ingenieure gab es einen Fall, in den Berufsgruppen Technik und Umwelt gar keine. Allzu oft musste das Standesgericht also nicht zusammentreten.

Die revidierte Standesordnung 151 und ihre Kurzfassung werden voraussichtlich im Herbst 2014 publiziert und dann unter www.sia.ch/ius/ abrufbar sein.

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