Sichere Fähre statt zweiter Röhre
Abschied vom Selbstfahrtunnel
Raumplaner und Architekt Hugo Wandeler verfolgt die Diskussion um den Gotthard-Strassentunnel seit den 1960er-Jahren. Er plädiert für die rollende Strasse über die Dauer der Sanierung hinaus.
Auf die Frage «Wie legt man die Strecke Göschenen–Airolo im Auto am schnellsten, billigsten, sichersten und komfortabelsten zurück?» hat Hans Grob, Professor für Strassen-, Eisenbahn- und Untertagebau, schon 1967 die sachlich richtige Antwort gefunden: auf einer «rollenden Strasse». In seiner Einführungsvorlesung als Professor für Verkehrswesen an der ETH Zürich hat er das Konzept im Februar 1967 vorgestellt und dessen Machbarkeit überzeugend nachgewiesen.
Die Politik ist diesem weitsichtigen Vorschlag nicht gefolgt und hat dem «Selbstfahrtunnel» den Vorzug gegeben. Die Folgen dieses politischen Bauchentscheids haben wir heute als aufwendigen Sanierungsfall drastisch vor Augen. Und obwohl Umweltschutz und Nachhaltigkeit heute einen anderen Stellenwert haben als 1970, sind Verwaltung und Politik erneut nicht bereit, sachlich konsequent zu handeln und den damaligen Fehlentscheid zu korrigieren.
Gemäss Verfassung und Gesetz dürfen nach Eröffnung der Neat am Gotthard noch 520.000 Lastwagen pro Jahr verkehren. Getreu dem Grundsatz «Für Güter die Bahn!» ergibt sich für den Verkehr am Gotthard das folgende konsequente Betriebskonzept: Der Gotthard-Basistunnel wird primär für den Güterverkehr genutzt. Auch die Lastwagen, die am Gotthard noch zulässig sind, werden zwischen Erstfeld und Biasca auf einer rollenden Strasse für Lastwagen durch den Tunnel transportiert. Der übrige Nord-Süd-Güterverkehr wird von Grenze zu Grenze auf der Bahn abgewickelt.
Personenzüge werden im Basistunnel nur so viele geführt, wie mit dem Güterschwerverkehr vereinbar sind. Die übrigen Personenzüge verkehren weiterhin auf der Bergstrecke, ebenso leichtere Güterzüge. Mit Ausnahme der wenigen Lastwagen, die für die lokale Versorgung zwischen Erstfeld und Biasca noch nötig sind, dient der Strassentunnel Göschenen–Airolo damit ausschliesslich dem Personenverkehr. Das eröffnet für die Sanierung des Gotthard-Strassentunnels neue Perspektiven.
In eine «rollende Strasse» umbauen
Vom Gotthard-Strassentunnel kann nach 35 Betriebsjahren lediglich die nackte Röhre weiterverwendet werden. Die Fahrbahn, die gesamte Technik und insbesondere die aufwendige Lüftung müssen vollständig neu erstellt werden. Weil eine elektrisch angetriebene Bahn keine Lüftung braucht, reicht der bestehende Tunnelquerschnitt (vgl. Abb. rechts) aus, um eine rollende Strasse mit zwei Normalspurgleisen einzurichten. Für Personenwagen werden zweistöckige Transportwagen eingesetzt, für grössere Fahrzeuge (Cars, Lieferwagen und Lastwagen bis vier Meter Eckhöhe) einstöckige.
Das Rollmaterial wird speziell für diesen Zweck entwickelt und verkehrt ausschliesslich auf dieser kurzen Strecke, was eine hohe Betriebssicherheit garantiert. Die rollende Strasse ist die sicherste Lösung, die möglich ist, weil die Autos transportiert werden, und menschliches Versagen von Autolenkenden damit ausgeschlossen ist. Mit modernem, speziell für diesen Zweck entwickeltem Rollmaterial werden technische Pannen und Mängel auf ein Minimum reduziert. Nach nur zehn Minuten Fahrt bleiben die Züge jeweils 20 Minuten stehen, womit ausreichend Zeit für Kontrolle und laufenden Unterhalt zur Verfügung steht.
Wenn trotzdem auf einem Zug ein Brand entstehen sollte (das schlimmste mögliche Ereignis in einem Tunnel), ist die Wahrscheinlichkeit gross, den Zug noch aus dem Tunnel ziehen zu können, weil die Züge als Pendelzüge über Lokomotiven an beiden Enden verfügen. Für einen Notfall steht der Sicherheitsstollen nach wie vor zur Verfügung.
Mit 500 m Nutzlänge transportiert ein zweistöckiger Autozug 200 Personenwagen. Die reine Fahrzeit Göschenen–Airolo beträgt zehn Minuten, mit je zehn Minuten für das Beladen und das Entladen der Züge ergibt sich eine gesamte Reisezeit von 30 Minuten.2 Wenn die Autozüge im Zehnminutentakt verkehren, kann die rollende Strasse 6 × 200 = 1200 Pkw pro Stunde transportieren; das sind 300 mehr, als im heutigen Strassentunnel maximal zulässig sind.
Erste Überlegungen zu den Kosten ergeben rund 800 Mio. Fr. für die Investition und rund 50 Mio. Fr. pro Jahr für den Betrieb. Damit kostet diese Lösung deutlich weniger als jede andere. Weil der Transport auf dem Autozug eine Dienstleistung ist, rechtfertigt sich eine Tunnelgebühr. Mit 20 Franken pro Fahrt resultiert bei rund 5 Mio. Fahrten ein Ertrag von 100 Mio. Fr. pro Jahr. Der Tunnel wird finanziell selbsttragend.
Leistungsfähige Verladeanlagen
Wichtig für einen reibungslosen Betrieb sind leistungsfähige Verladeanlagen. Dazu sind vier Gleise erforderlich: ein Gleis für das Entladen, zwei Gleise für das gleichzeitige Beladen von zwei Zügen und eines als Reserve. Damit steht ein Zug immer für das Beladen bereit, sodass ohne Wartezeit direkt von der Autobahn auf den Autozug gefahren werden kann. In Spitzenzeiten fährt dieser weg, sobald er voll beladen ist. In Randzeiten mit wenig Verkehr wird nach Taktfahrplan gefahren, sodass sich die Autofahrenden darauf ausrichten können.
Für diese vier Gleise steht auch in den etwas engen Verhältnissen in Göschenen auf der Autobahn vor dem Tunnel ausreichend Platz zur Verfügung. Der Autobahnanschluss wird in der heutigen Form nicht mehr benötigt und kann weitgehend zurückgebaut werden. In Airolo, wo mehr Raum zur Verfügung steht, können weitere Reservegleise und ein Verbindungsgleis zur SBB-Linie erstellt werden. Die Tunnelgebühr wird auf Stationen weit vor den Tunnelportalen erhoben, um den Betrieb der Verladeanlagen nicht zu beeinträchtigen.
Mit dem Gotthard-Basistunnel steht eine leistungsfähige Alternative zur Verfügung, die während der Bauzeit genutzt werden kann. Der Umbau wird von beiden Seiten aus gleichzeitig vorgenommen und kann in zwei Jahren abgeschlossen sein. Diese Zeit reicht auch aus, um die Verladeanlagen zu erstellen.
Der Gotthard ist ein natürlich gegebenes Hindernis. Das darf in der Verkehrsinfrastruktur zum Ausdruck kommen und spürbar werden. Die rollende Strasse ist jedoch kein Wechsel des Verkehrsmittels, sondern die zeitgemässe, sichere, umweltfreundliche und wirtschaftliche Lösung. Trotzdem gilt sie als politisch chancenlos. Nicht einmal die Alpeninitiative und der VCS wagen es, dieses einleuchtende Konzept zu vertreten. 1967 wurde diese Idee wenigstens noch mit einem Lehrstuhl an der ETH ausgezeichnet!
Anmerkung
1 Die Fahrzeit Göschenen–Airolo beträgt gemäss SBB-Fahrplan für Personenzüge genau zehn Minuten. Bezogen auf 18 km Distanz von Bahnhof zu Bahnhof ergibt das eine mittlere Geschwindigkeit von 108 km/h, die auch Autozüge erreichen.