Skulptur und Maschine
Studienauftrag Ersatz der Kehrichtverwertungsanlage in Zuchwil
Die Kehrichtverwertungsanlage in Zuchwil SO soll in wesentlichen Teilen ersetzt werden. Die drei dafür eingereichten Projekte erfüllen zwar dieselbe Funktion, unterscheiden sich jedoch stark in Ausdruck und Form.
Als die Kehrichtverbrennungsanlage in Zuchwil 1979 in Betrieb ging, markierte sie einen Wendepunkt in der Abfallentsorgung. Neu war, dass der Abfall nun verbrannt statt wie zuvor in Deponien gelagert wurde. Mit der Zeit wandelte sich die Entsorgung von der reinen Verbrennung zur nachhaltigen Abfallverwertung. Heute ist Kehricht eine wertvolle Ressource. Rund 220 000 Tonnen davon landen jedes Jahr in Zuchwil. Aus dem Abfall werden Wärme und Strom, aber auch Metalle gewonnen.
Die Kehrichtverwertungsanlage liegt am Zusammenfluss von Emme und Aare, zwischen der Abwasserreinigungsanlage im Norden und einem Kieslagerplatz im Süden. Sie umfasst das Aufnahmegebäude für den Kehricht – den sogenannten Bunker –, vier Feuerungslinien und eine Rauchreinigungsanlage. Dazu kommen Gebäude für die Verwaltung, die Stromproduktion und das Recycling.
Effizienz durch Neubau
Die Anlage soll bis auf die Energiezentrale und einen Teil des Bunkers vollständig ersetzt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bauarbeiten bei laufendem Betrieb erfolgen müssen. Die vier bestehenden Feuerungslinien sollen gegen drei effizientere ausgetauscht werden. Diese Vorgaben der technischen Installationen haben das Layout weitgehend bestimmt.
Die Kebag als Betreiberin der Anlage hat drei Architekturbüros zu einem Studienauftrag eingeladen. «Form follows function» war dem Auslober nicht genug. Das neue Gebäude soll nicht nur «uneingeschränkt funktional» sein, sondern auch «zu einem Identifikationswert beitragen». Die Projekte mussten zudem flexibel sein und mit zwei Feuerungslinien genauso funktionieren wie mit drei.
Die Auslober stellten an die Fassaden keine besonderen Anforderungen bezüglich Wärmedämmung, da die Abwärme nicht weiter verwertbar ist und abgeführt werden muss. Die Gebäudehülle muss so ausgelegt sein, dass sich bei Stillstand der Anlage kein Schwitzwasser bilden kann, keine Frostschäden eintreten können und die Schallemissionen eingedämmt werden.
Flexibel
Die Jury empfiehlt den Entwurf von Penzel Valier einstimmig zur Ausführung. Die Basis des Projekts bildet ein kräftiger Betonsockel, der zusammen mit dem Bunker, der Verwaltung und dem Kamin skulptural durchgeformt ist. Um das Gebäude zu erden und grossräumig am Jurafuss zu verankern, wird dem Beton Jurakalk als Zusatz beigemischt. Das auskragende Dach des Bunkers überdeckt den Entladebereich, hat sich aber in der Vorprüfung als unwirtschaftlich herausgestellt. Trotzdem überzeugt die Skulptur, insbesondere mit dem Kamin, der auch über eine Aussichtsplattform verfügt. Die Kehrichtverwertungsanlage am Jurasüdfuss erhält damit ein weithin sichtbares Zeichen.
Das eigentliche Prozessgebäude mit den Feuerungslinien sitzt als Maschine auf dem massiven Sockel. Das Tragwerk aus Stahlträgern gleicht einer Karosserie beim Fahrzeugbau und ist mit Sandwichplatten verkleidet. Ein Prägerelief versteift die Platten und strukturiert die Oberfläche. Die Maschine ist vom Sockel durch ein umlaufendes Fensterband abgesetzt, das das Innere des Gebäudes belichtet. Die soliden Bestandteile des Projekts sind zu einer überzeugenden Gesamtkomposition zusammengefügt. Gleichzeitig ist die Gestaltung mit dem skulpturalen Sockel und dem einfachen Kubus des Prozessgebäudes flexibel ausgelegt. Auch eine Variante mit zwei statt drei Feuerungslinien ist ohne formale Beeinträchtigung machbar.
Zurückhaltend
Das Projekt von Giuliani Hönger Architekten geht von einer ähnlichen Disposition aus. Auch hier bilden Sockel, Bunker und Verwaltung ein massives Rückgrat. Dem Beton ist Flugasche beigemischt, um die Materialeigenschaften zu verbessern. Die dunkle Einfärbung verankert das Volumen zudem in der Erde und verweist gleichzeitig auf den Verbrennungsprozess im Innern. Wie beim Beitrag von Penzel Valier schwebt das Prozessgebäude als leichtes, modular aufgebautes Volumen auf dem Sockel und ist durch ein Fensterband von diesem abgesetzt. Der Leichtbau ist mit matt verchromtem Stahlblech umhüllt. Je nach Wetterlage scheint er sich im Himmel aufzulösen. Der Entwurf setzt ganz auf die Kontraste von leicht und schwer, von Himmel und Erde. Der schwere Sockel und das leichte Prozessgebäude teilen das Gesamtvolumen in zwei Einheiten. Der sorgfältig ausgearbeitete Beitrag besticht durch seine Einfachheit und Zurückhaltung. Doch gerade dies wurde dem Projekt zum Verhängnis. Laut Jury sind die drei schlanken Kamine zu zerbrechlich und weisen betriebliche Mängel auf.
Selbstbewusst
Der Auftritt des Projekts von Graber Pulver Architekten ist selbstbewusst. Drei hohe Kamine und die markanten Betonkerne auf beiden Seiten des Prozessgebäudes betonen die orthogonale Ausrichtung der Anlage. Die Betonkerne übernehmen die Vertikallasten und die senkrechte Erschliessung. Sie befreien das Gebäudeinnere und erleichtern so den Einbau der komplexen Betriebseinrichtungen. Zwischen den Betonkernen besteht die Fassade aus doppelwandigem Profilglas mit transparenter Wärmedämmung. Damit wird die vertikale Ausrichtung auch nachts sichtbar. Die Jury vermisst bei diesem Vorschlag eine kohärente Durchbildung der Gebäudehülle auf der Westseite. Sie kritisiert «das auskragende Schweben der mächtigen Kamine über einer filigranen Lochfassade ohne funktionalen Zusammenhang zur dahinterliegenden grossräumigen Energiezentrale». Wegen des grossen Wärmeeintrags bedingen die Glasfassaden einen höheren Luftaustausch. Auch die Flexibilität und die Erweiterbarkeit können bei diesem Projekt nicht überzeugen.
Robustes Konzept
Trotz rigider Vorgaben mit Prozessabläufen, die wenig gestalterischen Spielraum boten, zeigen die drei Beiträge deutliche Unterschiede. Weder der zurückhaltende Beitrag von Giuliani Hönger noch der selbstbewusste Ansatz von Graber Pulver konnten die Jury überzeugen. Gewonnen hat das Projekt von Penzel Valier, weil es mit nur einem Kamin ein markantes Zeichen setzt und grosse Flexibilität aufweist. Das gestalterische Konzept aus expressiver Betonplastik und modular zusammengesetztem Prozessgebäude erweist sich als so robust, dass die Anlage angepasst werden kann, ohne an Widererkennungs- und Identifikationswert zu verlieren.
Weitere Informationen finden Sie unter der Rubrik Wettbewerbe.
Auszeichnungen
Zur Weiterbearbeitung empfohlen:
Penzel Valier, ZürichWeitere Teilnehmende:
Giuliani Hönger, Zürich
Graber Pulver, Zürich
FachJury
Pius Flury, Architekt; Andrea Roost, Architekt; Fritz Schär, Architekt; Thomas Urfer, Architekt (Ersatz)
SachJury
Markus Juchli, Direktor Kebag; Richard Kaufmann, Vizepräsident VR Kebag