Ga­brie­le Ba­si­li­co: Mei­ne Städ­te

Die schönen und die hässlichen Seiten von Mailand als Einheit zu sehen und zu lieben, verlangt Vertrautheit, Sensibilität und den wachen Blick. Über diese Eigenschaft im besonderen Masse verfügte der Fotograf und Architekt Gabriele Basilico (1944-2013). Eine Doppelschau in der Triennale Milano zeigt aktuell sein Werk.

Publikationsdatum
20-11-2023

Geboren und aufgewachsen in Mailand, konstatierte Basilico, dass die Metropole seine Leidenschaften, Hoffnungen und Ängste geformt hätte, er sei folglich der Stadt zugehörig und sie ihm. Trübte eine solche Liebe zur Heimatstadt das Auge des Fotografen? Keineswegs. Basilico sezierte den Corpus dieser Liebe durch die Linse der Kamera mit einem scharfsichtigen Blick, der den Mailänder Stadtkörper und die vielfältige Bedeutung urbaner Transformation einfing, von den 1970er-Jahren an bis 2013. Auf welche Weise er die gebaute Lebens- und Arbeitswelt nicht bloss darstellte, sondern zu einer kritischen Sicht auf Stadtentwicklung anstossen wollte, vermittelt die sehenswerte Doppelschau «Gabriele Basilico. Le mie città».

Nah- und Fernsicht

Warum eine Doppelschau und Stadt im Plural? Diese Entscheidung ist durch die Werkentwickung bedingt. Denn im Lauf der Jahre empfand Basilico seine Heimatstadt, wie er sagte, als «un porto di mare», von dem aus er aufbrach, um metropolitane Architektur global zu erforschen. Vor diesem Hintergrund teilte Giovanna Calvenzi die Doppelausstellung in die beiden Stränge «lokal / global».

Unter dem Aspekt «lokal» präsentiert die Triennale hunderte Aufnahmen und dreizehn Fotoserien zum Wandel Mailänder Urbanität, während im Palazzo Reale Basilicos fotografische Sicht auf globale Metropolen im Fokus steht. In der Triennale sticht Mailänder Industriearchitektur ins Auge. Vierzig Aufnahmen aus der Serie «Milano. Ritratti di fabbriche», 1978/1980, finden sich zu einem Tableau angeordnet, das in puncto konzeptuelle Sachlichkeit kaum zu überbieten ist. Insgesamt umfasst die von Basilico systematisch angelegte Typologie «Fabriken» rund viertausend Schwarz-Weiss-Fotografien. Konsequent präferierte er hierfür die Frontalperspektive auf Shedhallen, Tonnendächer, Silos, Flachbauten, Kamine, Fabrikstrassen. Menschen kommen nicht in Sicht.

Leere ins Bild gesetzt

Die gespentisch anmutende Abwesenheit menschlichen Lebens macht die Ersetzbarkeit von Industriearbeit durch Maschinen bewusst, und die vom Leben abgespaltete Wesensart der Gehäuse industrieller Produktion. Das ist eine von mehreren Lesearten. Darüberhinaus spielt die Abwesenheit von Personen im Werk von Basilico auf «Leere» als integrales Element der Architektur an.

Die Sogkraft der Leere zu verbildlichen, war eine der Intentionen des Fotografen, sie wird sichtbar auf der Fotografie «Mailänder Dom». Ebenso bewies er meisterhaft, wie sich durch fein abgestimmte Nuancen von Schwarz, Weiss, Grau, Licht und Schatten, die Gestalt zeichenhafter Bauwerke des Zeitenwandels und der Stilbrüche in der Moderne hervorheben lässt.

Betrachtet man exzellente Aufnahmen, glaubt man, dem Fotografen bei der Arbeit vor Ort und in der Dunkelkammer über die Schulter sehen zu können. So verstärken Blickwinkel und Tonalität der Fotografie von Luigi Morettis keilartigem Gebäudekomplex, Mailand 1955, den Eindruck, wie Neues buchstäblich durch Gestriges pflügt. Dies geschieht in jüngster Zeit auf dem Riesenareal am Bahnhof Garibaldi. Mit Fotos von Basilicos Langzeitprojekt, Transformation der Brache zum prestigereichen Viertel Porta Nuova, endet die Schau in der Triennale. Schlusspunkt: das Hochhaus «Bosco Verticale» von Stefano Boeri, noch ohne Grün, im Rohzustand.         

Le mie città. Meine Städte

Ehrt die Triennale Basilico als Chronisten der Mailänder Stadtentwicklung, so begegnen wir im Palazzo Reale dem Fotografen als Weltreisenden. Doch halt, als Bindeglied zwischen lokal/global sehen wir ihn zunächst noch auf Recherchetour durch Italien reisen. Zusammen mit Stefano Boeri nahm Basilico die Thematik «Mobilität» und die Unwirtlichkeit entlang der Verkehrswege von A nach B aufs Korn. «Sezioni del paesaggio italiano», 1996, beleuchtet die Realität abseits von Bella Italia-Sehnsuchtsorten, und fern von fotogen flimmernden Leuchttürmen der Architektur.

Doch auch Signature Buildings nahm Basilico ins Visier, wenn er in Weltstädten unterwegs war. Wie ein bedrohlicher Fremdkörper wirkt Jean Nouvels Glories-Turm, Barcelona, auf der Schwarz-Weiss-Fotografie. In ein weicheres Licht tauchte Basilico die Londoner Tate Gallery und umschmeichelte die Umbauarbeiten mit einer Farbfotografie. Und, soweit das Auge schweift, die Vogelperspektive auf Shanghai dokumentiert die labyrinthische Textur wuchernder Urbanität.

Auch ein Zürich-Bild findet sich im Katalog der Schau. Abgebildet ist dort der Escher-Wyss-Platz, 1996, ohne Verkehrsfluss, menschenleer. Die Fotografie verdeutlicht einmal mehr, mit welcher Klarheit und Ästhetik analoger Fotokunst Gabriele Basilicos Werk dazu anregt, gebaute urbane Realität anders, menschlicher zu denken.

«Gabriele Basilico: Le mie città» in der Triennale Milano bis 7. Januar 2024. Palazzo Reale bis 11. Februar 2024.