Um­klei­de­ka­bi­ne auf Stel­zen

Der Denkmalpflegepreis 2017 des Kantons Bern geht an ein verstecktes Kleinod des «Neuen Bauens» im Berner Oberland, ein Badehaus am Ufer des Thunersees. Das Augenmerk der Besitzer lag auf der Wiederherstellung und Pflege der historischen Substanz im konstruktiven Austausch mit Denkmalpflege und Handwerk. 

Publikationsdatum
17-05-2017
Revision
19-05-2017

Das dunkelrote Türmchen steht auf einer grossen Wiese. Zusammen mit seinen blaugrünen Fensterläden und ein paar gelben Akzenten, die aus dem Inneren herausblitzen, erinnert der Farbenkanon des Badehauses an die Arbeiten des deutschen Architekten Bruno Taut.

Der Architekt Jacques Wipf schuf es 1930 als bescheidenen Unterschlupf für die Wochenendausflüge seiner Familie. Zu dem Zeitpunkt ist er bereits mit den Bauten der Kraftwerke Oberhasli und dem Hospiz am Grimselpass bekannt geworden. Seine Werke fallen zwar auch schon durch eine aufmerksame Farb- und Materialwahl auf, ihren Ausdruck erhalten sie aber über eine deutlich rustikale Architektursprache.

Durch seine einfache Funktion steht das Badehaus inhaltlich noch im Einklang mit der Reformbewegung des frühen 20. Jahrhunderts. Die konstruktiven Materialien wie Beton und Stahlbänder sind sichtbar und funktional verwendet. Zusammen mit der kubischen Formensprache und der ausdrucksvollen Farbgestaltung erhebt es einen baukünstlerischen Anspruch.

Wie sein Enkel berichtet, hat Wipf seinerzeit die Weissenhofsiedlung in Stuttgart besucht und zunächst geringschätzig über die neuen Ideen zu Raum und Farbe gesprochen. Auf die Dauer haben die progressiven Entwürfe offenbar doch einen Einfluss auf sein Denken genommen – wenn auch zunächst nur als Experiment an einem privaten Bauplatz.

Kurz darauf manifestiert er seine Position im internationalen Architekturdiskurs durch den Bau des benachbarten Thuner Strandbades und bekennt sich damit auch öffentlich zur Moderne.

Der nun prämierte Bau besteht aus nicht viel mehr als einem aufgeständerten Raum von rund 25 m2 mit begehbarem Flachdach und einem zusätzlichen Ausguck. In dieser Einfachheit liegt sein ganzer Reiz. Untypischerweise steht der Turm mit dem geschlossenen Rücken zum See. Er öffnet sich zur Wiese und schützt damit die Intimität des Familienlebens.

Da das Gebiet häufig überschwemmt wird, ist das Erdgeschoss als offener Unterstand für allerlei Gerät ausgeformt. Eine schmale Betontreppe führt durch ein sonnengelbes Treppenhaus in den  Raum mit Fenstern zum Garten. Ein paar weitere Stufen führen auf die Dachterrasse. Nur zwei Öffnungen in der rückwärtigen Mauer erlauben gerahmte Ausblicke auf das Wasser. Mit einer Leiter lässt sich das Turmdach erklimmen. Aber auch von hier aus ist der Blick auf See und Alpenpanorama nicht frei, sondern fällt auf die hohen Bäume der Ufereinfassung. Es wirkt, als hätte der Architekt der Postkartenidylle da draussen nicht ganz über den Weg getraut.

Sanft renoviert        

Der Architekt Karl Müller-Wipf, Sohn des Architekten und Bauherrn, erweiterte 1954 das Hüsli, das im Grunde nur eine komfortable Umkleidekabine ist, um einen eigenwilligen Baukörper mit Küche, Bad und Wohnraum samt Kamin. Seither kann das Ensemble als unabhängiges Wochenendhaus benutzt werden. Der Anbau ist in sich schlüssig, fein detailliert und nimmt sich respektvoll aus der Hauptansicht vom Garten her zurück. Damit ist seine Einbindung in die Auszeichnung durch den Denkmalschutz bestens gerechtfertigt. Dennoch nimmt es dem Turm ein wenig von seiner Stringenz.

Den heutigen Nutzern, Enkel des Architekten – einer davon wiederum ein Baukünstler – ist es hoch anzurechnen, dass sie auf jede weitere Ertüchtigung in Richtung Komfort oder Energetik verzichtet haben. Der Raum bleibt unbeheizt, die Verglasung einfach und das Flachdach hat nach wie vor keinerlei Abfluss. Durch die sanfte Art der Renovierung ist der Baukörper gerade soweit wieder hergestellt, dass er zukünftige Spuren der Zeit aufnehmen kann, ohne konstruktiven Schaden zu nehmen. Ein Schwerpunkt lag dabei auf dem sensiblen Umgang mit den Farben.

Am Bau Beteiligte
 

Planung und Ausführung
Architekt Christoph Müller, Thun
 

Bauberatung Denkmalpflege
Fabian Schwarz, Denkmalpflege des Kantons Bern
 

Farbuntersuchung
Fritz & Fehringer Restauratoren, Bätterkinden
 

Restaurator
Roger Tinguely, Steffisburg
 

Farbberatung
Keimfarben, Diepoldsau
 

Malerarbeiten
Dähler, Steffisburg
 

Schreinerarbeiten
Erich Liechti, Amsoldingen
Fritz Linder, Gwatt

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