Uri will nicht ab­ge­hängt wer­den

Alptransit Gotthard

Der Kanton Uri leidet unter Abwanderung und trägt nationale Transitlasten. Für die Alpentransversale will man aber nicht nur Landverluste oder Lärm in Kauf nehmen, sonderndie neue Infrastruktur für ein überschaubares Wachstum nutzen.

Publikationsdatum
08-09-2016
Revision
08-09-2016

Erstfeld im Kanton Uri erstreckt sich über 59.75 km2; die Gemeindefläche ist grös­ser als die Stadt Bern. Das Meiste davon nehmen «wunderschöne Alp­gebiete und stolz in den Himmel ragende Berge» ein, lockt die Tourismus­werbung. Dagegen sind nicht einmal 10 % des Grund und Bodens dort, wo sich das flache untere zum schroffen oberen Reusstal verengt, als Wirtschaftsraum nutzbar. Die aktuelle Einwohnerzahl beträgt 3836.

Zuletzt wurde ein Rettungs- und Unterhaltszentrum für den neuen Gotthard-Basistunnel gebaut, was neue Arbeitsplätze im Dorf schafft. Die SBB sind zwar grösste Arbeitgeberin, doch die Bedeutung der Gotthardbahn für das Eisenbahnerdorf schwindet stark: Die Bevölkerungszahl ist seit den 1970er-Jahren fast ununterbrochen gesunken.

Die viertgrösste Urner Gemeinde darf somit als Spiegelbild für die schwer einschätzbaren Verän­derungen gelten, die die Eröffnung der Gotthard-Trans­versale (vgl. TEC21 18–19/2016) dem Berg­kanton bringen wird. Das Nordportal zwar im Blick, wird die Bahnfahrt von Uri ins Tessin um keine einzige Minute verkürzt. Zudem werden Erstfeld und der südliche Kantonsteil vom Schnellzugverkehr ganz abgehängt.

Allerdings gibt es auch Stimmen, die den Rückzug der Bahn positiv kommentieren. Weil es ruhiger werde, könne Neues entstehen. Tatsächlich wird in und um Erstfeld derzeit auffallend viel Wohnungsbau realisiert.

Abwanderung aus den Seitentälern

Ansonsten konzentriert sich das Wachstum im Kanton Uri auf Lagen mit Seeblick und in der Reussebene. Drei Viertel der Wohnbevölkerung leben im Talboden. Aus den Berggemeinden wandern die Menschen dagegen ab; die Einwohnerzahl im oberen Reusstal hat sich seit 1970 beinahe halbiert. Als besonders dramatisch werden die Perspektiven für die jüngeren Generationen beurteilt. Die Schülerzahlen auf Primarstufe und in den Gymnasien brechen regelrecht ein: Die Abnahme zwischen 2006 und 2013 liegt bei 15 % respektive über 20 %. 

Zusätzlich kehrt jeder zweite Universitäts- oder Fachhochschulabsolvent nicht mehr zurück. Der Kanton hat ­daher ein Pilotprojekt lanciert, um dem Manko an Ausbildungsplätzen für Jugendliche entgegenzuwirken. Beispielhaft zeigt auch die Gemeinde Unterschächen in ihrem Siedlungsleitbild 2015 auf, wie die «Abwanderung gestoppt werden soll». Bemerkenswerterweise sind die Wünsche der ortsansässigen Jugendlichen in dieses Raumplanungsdokument eingeflossen.

Erreichbarkeiten mit öV verbessern

Die grössten Hoffnungen, von der ausgebauten Nord-Süd-Bahnachse zu profitieren, werden an den «Kan­tonalbahnhof» Altdorf gerichtet. Dieser geplante öV-Knoten soll den Urner Anschluss an den internationalen Bahnverkehr sichern und eine Verbindung zum überregionalen, regionalen und lokalen Transportnetz herstellen. Die Kantonsbehörde muss mit den SBB und dem Bund eine Vereinbarung finden, damit der auf­gewertete Bahnhof Altdorf ab 2021 die letzte Sta­tion vor dem Eintauchen in den Basistunnel wird.

Zum einen sind bis dann die Bahninfrastruktur und der Standort als Drehscheibe für den überregionalen und kantons­internen Busverkehr auszubauen. Zum anderen ist das angrenzende Areal neuerdings ein Entwicklungsschwerpunkt, das zum gemischten Dienstleistungs- und Wohnquartier umgenutzt und verdichtet werden soll.

Die SBB haben bereits mitgeteilt, die Bauherrschaft über den Umbau des Bahnhofareals übernehmen zu wollen; die übrigen, definitiven Verkehrs- und Investitions­beschlüsse sind nicht vor Mitte 2017 zu erwarten. Es gibt hier einiges zu tun: Aktuell ist das Bahnhofareal von Altdorf eine städtebauliche ­Wüste, mit dispersem, disparatem und unausgegorenem Charakter.

Arealumnutzung im Talboden

Eine weiter gehende Perspektive bietet die Umnutzung des bahnhofsnahen Gebiets «Eyschachen», das an der Gemeindegrenze Altdorf-Schattdorf liegt. Das ehemalige Getreidemagazin des Bundes besteht aus teilweise geschützter Bausubstanz und steht auf einem 12 ha grossen Areal im Besitz des Kantons und des Militärs. 

Die Lagerhäuser des Ingenieurs Robert Maillart sollen erhalten bleiben, so das Resultat einer Testplanung. Das Hauptinteresse an dieser Arealentwicklung ist jedoch wirtschaftlicher Natur: Aus dem «Eyschachen» soll eines der grössten Gewerbe- und Industriequartiere in Uri entstehen. Das Architekturforum Uri setzt sich bisher dafür ein, dass der gesamte Gebäudebestand er­halten bleibt und dessen vollumfängliche Umnutzung Teil des Entwicklungsprojekts werden kann. 

Agglomerationsprogramm für das Reusstal

Die angestrebte räumliche und wirtschaftliche Entwicklung im unmittelbaren Einflussbereich des Bahnhofs Altdorf soll mit dem «Agglomera­tionsprogramm Unteres Reusstal» untermauert werden. Damit will die Kantonsbehörde das funktionale Profil des Talbodens als eigenständiger, qualitativ wertvoller Siedlungs-, Verkehrs- und Landschaftsraum schärfen. Beabsichtigt sind eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit, das Verdichten der Ortszentren sowie die Koordination ­zwischen Siedlung und Verkehr.

Herausforderungen sind dabei das Beleben selbst grosser Dorfzentren und das Korrigieren der üblichen Raumplanungsfehler: Die Talgemeinden Flüelen, Altdorf, Bürglen und Schattdorf wachsen vor allem an den peripheren Lagen; der Siedlungsbrei ist auch im Urnerland angekommen. Die Pläne zum Agglomerationsprogramm sollen Gegen­steuer geben; sie sind vor wenigen Monaten in die öffentliche Vernehmlassung gegeben worden.

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