Vom Bauprojekt zur Prozessentwicklung – mit SPM unterwegs im Holzbau
Unabhängig vom gegenwärtigen Holzbauboom kommt man in der Frage der Digitalisierung des Bauwesens in dieser Pionierbranche des Computer-integrated Manufacturing eigentlich nicht vorbei: Als Weiterentwicklung der zeichnerischen Programmierung von CNC-Maschinen zum Sägen, Bohren und Fräsen (CAD/CAM) gegen Ende der 1960er-Jahre bezeichnet CIM die durchgängige Datenübernahme aus der Konstruktion in die Fertigung – von BIM war damals noch keine Rede.
Auf der SPM-Exkursion am 30. September 2022 zur ERNE Holzbau AG im Fricktaler Stein bei Bad Säckingen ging es vorderhand um die Datennutzung für Robotik, Vor- und Endmontage. Nach einer Einführung in den Ingenieurholzbau durch Martin Hohberg setzten der Leiter Business Development Mike Mislin und der Leiter Robotik Sascha Schade aber noch andere digitale Akzente: Die Entwurfsunterstützung durch regelbasierte Expertensysteme, und den Aufbau von Datenbanken im BIM zur Berechnung nicht nur des Bauteilgewichts, sondern auch von dessen CO2-Fussabdruck. Die verwendeten Holz- und Metallprofile erhält ERNE fertig bearbeitet von seinen Zulieferern, mit denen sie im Datenverbund stehen.
Man möchte denken, ERNE unterhalte eine ständige R&D-Abteilung – dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr resultieren alle Entwicklungen aus Kundenprojekten und sollen sich dank steiler Lernkurve schon im ersten Projekt amortisieren. Dazu werden im ERP-System alle wichtigen Produktionskenndaten bis hin zu Down- und Umrüstzeiten der Fertigungsanlagen erfasst und ausgewertet, so dass der in der Halle verfahrbare Portalroboter als Engpass-Ressource optimal ausgelastet ist.1
Die Ingenieurabteilung mit 25 Spezialisten (inkl. Brandschutz und Bauphysik) sorgt für die Übertragung des erarbeiteten Wissens ins nächste vergleichbare Projekt und sitzt mit den Architekten zusammen, wenn diese ihre ersten Entwurfsideen auf Machbarkeit abklären. Dabei spielen der Bau von Prototypen, wie z.B. Mock-ups ganzer Fassadenausschnitte und der Probezusammenbau im Werk eine wichtige Rolle. Neben dem Fertigungswissen und diesem interdisziplinäre Teaming mit Architekten bzw. industriellen Co-Entwicklern spielt eine flexible Arbeitsumgebung zum Ausprobieren eine Rolle, wie z.B. eine Zelle mit Montagerobotern für Hochschulstudenten.2
Ein Beispiel einer Co-Entwicklung mit Sanitas-Troesch war die Programmierung des Konfigurators Easy Dock für Nasszellen im Rahmen des Projekts Bären-Tower in Ostermundigen.3 Dabei wurde die bestehende Erfahrung mit parametrischer Planung4 um Regeln und Randbedingungen (bis hin zum Wendekreis von Rollstühlen) so erweitert, dass mittels Monte-Carlo-Simulation 95 unterschiedliche Nasszellenentwürfe resultierten – vorbei die Zeit kongruenter Grundrisse. Es handelt sich aber immer noch um ein programmiertes Expertensystem, von ERNE zutreffend als «Planungsroboter» bezeichnet. Selbständiges Maschinenlernen aufgrund der Erfahrung wäre aber ein denkbarer nächster Schritt.5
Jede Nasszelle wird vollständig ausgerüstet auf die Baustelle geliefert und als Modul im Trockenbau versetzt. Andere Beispiele für die Modulbauweise sind Schulbauten, mit denen ERNE in Deutschland erfolgreich ist. Eine weitere sehr interessante Entwicklungslinie betrifft Deckensysteme in Holz-Beton-Mischbauweise, wobei die tragende Betonplatte die thermische Masse (Kapazität) liefert und zwischen den Holzträgern zur Bauteilaktivierung entsprechende Heizungs/Kühl-Technik installiert und mit fortschreitendem Stand der Technik ohne Eingriff ins Tragwerk erneuert werden kann. Als erstes Bauprodukt in der Schweiz errang das Deckensystem SupraFloor ecoboost2 die Cradle-to-cradle-Zertifizierung in Bronze.6
Beim Rundgang in der Fertigung wurden auch Fragen zur Robotik als Change-Projekt gestellt. Ersetzt werden vorrangig Arbeitsplätze des Typs «dull, dusty, dangerous & dear» in einer Zeit, in der ohnehin zu wenig Personal zu finden ist. Mit «dear» sind besonders qualitätskritische Schritte gemeint, umgesetzt mit einem Kleberoboter, bei dem die Durchlaufzeit auf den Kippzeitpunkt des Inhibitors des 2-Komponenten-Klebstoffs abgestimmt ist, so dass ohne nachträgliche Prüfung eine perfekte oder gar keine Klebung resultiert. Diese industriellen Herausforderungen unterscheiden sich freilich von den gestalterischen mittels Rhinoceros-Grasshopper-Software im Freiform-Schalenbau, einem anderen sehr renommierten Ast der schweizerische Holzbranche.7
Anmerkungen
1 Theory of Constraints (Toc), vgl. z.B. E.M. Goldratt & J. Cox: Das Ziel – ein Roman über Prozessoptimierung (Campus 2013).
2 H. Plattner, C. Meinel & U. Weinberg: Design Thinking – Innovationen lernen, Ideenwelten öffnen (mi-Vlg. 2009). Mit Anklang an Heinz Hossdorfs mentalen Prozess des Entwerfens als „dialektische Iteration zwischen Intuition und Verifikation“ (Das Erlebnis Ingenieur zu sein, Birkhäuser 2003).
3 Burkhard Meyer Architekten: Bäretower Ostermundigen.
4 Zur parametrischen Planung siehe Worin unterscheiden sich die parametrische und die direkte Modellierung? – Deutsch Engineering.com
5 Betreffend Artificial Intelligence in Architecture, Engineering & Construction vgl. z.B. die Konferenzen des finnischen Ingenieurverbands RIL: https://www.ril.fi/en/events/ai-in-aec-2023.html
6 The Cradle to Cradle Products Innovation Institute in Oakland CA, vgl. https://www.c2ccertified.org/products/ scorecard/suprafloor-ecoboost-erne-holzbau-ag
7 Beispiel: La Seine Musicale (2014–16), sowie Erläuterung von F. Tschümperlin & H. Blumer (2010) in https://www.nextroom.at/building.php?id=33631