Vor al­ler Au­gen pri­vat

Publikationsdatum
24-04-2021

So ein Bad in der Aare peitscht selbst im Sommer den Puls hoch, und es kostet fast immer Überwindung, sich in den eisigen Strom zu werfen. Nur die Härtesten wagen es, auch im restlichen Jahr regelmässig abzutauchen. In diesen Zeiten, in denen eine Hitzewelle noch in weiter Ferne liegt, müssen wir gut zu uns sein. Das hat ein findiger Mensch erkannt und eine Badewanne an einem Berner Uferweg aufgehängt. Gebrauchsanweisung samt Holz für die Feuerstelle darunter liegen bereit, und in den Ästen ringsum schaukeln Windlichter. Wem das Einheizen zu mühsam ist, dem bietet sich sogar ein Service an, der diese Arbeit übernimmt.

Das alles ist verlockend, doch es bleibt ein Vorbehalt: Der Fluss trägt jeden Schwimmenden so schnell, dass sich Kommentare der Passanten elegant ignorieren lassen. In der fest vertäuten Badewanne dagegen ist man ihnen ausgeliefert. Die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit sind hier nicht auszumachen: Eines der intimsten Rückzugsmöbel schwingt ausgerechnet neben der beliebtesten Laufstrecke. So wirkt der Ort, als wolle er eines der Tiergehege vorwegnehmen, die den Uferweg ein paar Schritte später säumen. Auf dem Schild zu den Badenden müsste dann vermutlich stehen: «Homo ignavus» – Weichei. Zu schade.

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