Weiterbauen in Wankdorf: die gestapelte Stadt
Wankdorfcity 3; Anonymer, einstufiger Projektwettbewerb im selektiven Verfahren
Der Projektwettbewerb für Wankdorfcity 3 in Bern, mit vorgeschaltetem Richtprojekt als Qualitätsmassstab, ist entschieden. Die Siegerteams werden in einer kollaborativen Werkstatt an der weiteren Projektierung und Ausführung arbeiten – ein Experiment beginnt.
Im Norden Berns entstanden zwischen Autobahn und Gleisen bis 2020 die beiden ersten Etappen des neuen Quartiers Wankdorfcity. Mit der dritten Etappe möchte die Zürcher Baurechtnehmerin Immofonds/Immosol gemeinsam mit der Burgergemeinde Bern als Baurechtgeberin auf dem heutigen Gewerbeareal (34 000 m2) neue Wege gehen: Die hermetischen Gebäudekomplexe der beiden ersten Etappen (2014–2016; 2017–2020) sollen um einen lebendigen, bunten und vielfältigen Quartierteil ergänzt werden. Das Ziel ist, das monofunktionale und ausserhalb der Bürozeiten unbelebte Quartier durch Wankdorfcity 3 aufzuwerten. Ein kollaborativer Prozess soll dem Ort eine neue Identität als Ort zum Arbeiten, Wohnen und Verweilen verleihen.
Diese Erwartungen bündelte die Baurechtnehmerin in einem Wettbewerb. Die ideenreichen Projekte, die er hervorbrachte, finden Sie ausführlich in Plan und Bild dokumentiert auf unserer Website (vgl. Link unten). In diesem Artikel fokussieren wir auf die übergeordneten Ziele und auf das Verfahren. Die Idee eines Städtebaus, bei dem verschiedene Teams im Rahmen einer Werkstatt trotz ihrer heterogenen Einzelperspektiven nicht nebeneinander, sondern miteinander arbeiten, soll die kommenden Phasen der Projektierung und Realisierung bestimmen.
Urbane Koexistenz
Nach einer Phase der städtebaulichen Testplanung (2019–2020), bei der drei Teams Masterpläne entwickelten, folgte das Richtprojekt (2020). Das Planungsteam um Rolf Mühlethaler Architekten aus Bern wurde beauftragt, seinen Ansatz zu konkretisieren. Das Richtprojekt besticht durch seine fundierte theoretische Auseinandersetzung und übt Kritik am aktuellen Städtebau von Wankdorfcity 1 und 2.
Die prägendsten Bauten des Gewerbeareals bleiben als das städtebauliche Muster bestimmende Grundelemente erhalten und werden im Osten um ein dichtes, gestapeltes Hochhausensemble ergänzt. Für die Verfasser des Richtprojekts bedeutet Urbanität nicht nur bauliche Dichte und Höhe, sondern eine Vielfalt von Nutzungen und Lebensformen. Im Sinne von Lucius Burckhardt sollen unsichtbare Qualitäten, d.h. Systeme der sozialen Begegnung und Interaktion, aktiviert werden. Vorbild für die bauliche Umsetzung solle nicht das fertige Bild eines städtebaulichen oder architektonischen Vokabulars sein, sondern eine vieldeutige Komplexität gemäss Robert Venturi.
Das Konzept der gestapelten Stadt ermöglicht auf unterschiedlicher Höhe Zwischenräume für Austausch und Aneignung. Auskragungen, Baukörperschichtungen und Höhenstaffelungen schaffen ein differenziertes Raumgefüge. Auf Stadtebene entstehen öffentliche Plätze und Gassen; auf 30 m Höhe eine Stadtterrasse, die die unterschiedlich hohen Baukörper verbindet. Über dem durchlässigen Erdgeschoss stapeln sich zu ungefähr gleichen Anteilen Arbeits- und Wohnnutzungen. Die Geschosse bis auf eine Höhe von 30 m werden Büroflächen aufnehmen, über diesen entsteht eine durchgrünte Dachlandschaft, zu der sich die Wohnungen orientieren.
Kollaborative Werkstatt
Zur Weiterentwicklung wurde ein Projektwettbewerb nach SIA142 lanciert. Aus den zwölf teilnehmenden Teams wurden vier Siegerteams bestimmt. Diese analysierten den städtebaulichen Richtplan und haben ihn weiterentwickelt und optimiert. Der Lärmproblematik begegnen die Projekte mit innovativen Grundrisstypen, die Loggien, Innenhöfe oder das Durchwohnen thematisieren. Mit Holzhybrid- oder Holzbauweise beziehungsweise Vorfabrikation oder Modulbauweise will man Ressourceneffizienz in Erstellung und Betrieb erzielen.
Die einzelnen Projekte
Das erstrangierte Projekt «Amélie et Monsieur Hulot» von Bauart Architekten entwirft die Stadtterrasse als fliessenden Aussenraum für vielfältige Nutzungen und integriert Wohnformen in unterschiedlichem Massstab. Die Stapelung wird durch das Nebeneinander vielfältiger Farben und Materialien gestaltet.
Der zweitrangierte Entwurf «This is next to that» von E2A Architekten stellt bei räumlicher Nähe eine grosse Vielfalt her und definiert zehn Regeln für die gestapelte Stadt. Er schafft eine inhaltliche Vertiefung mit Bezug zur sozialen Idee des «Fun Palace» des britischen Architekten Cedric Price. Die Stadtterrasse wird Bezugsraum für diverse halböffentliche Nutzungen.
«Segantini» von Meili, Peter & Partner Architekten auf Rang 3 verleiht dem Areal eine kulturelle Anziehungskraft. Auf Erdgeschossebene wird die Shedhalle als öffentlicher Raum aktiviert. Auf der Hochebene der Stadtterrasse werden niveauweise Möglichkeiten zu vielfältigen Aneignungen geschaffen.
Das viertrangierte Projekt «Collegato» von Bob Gysin Partner Architekten entwickelt durchgrünte Freiräume von der Stadtebene bis zur Stadtterrasse. Nach dem Prinzip der Schwammstadt wird das Stadtklima durch gezielte Verdunstung, Versickerung und Retention begünstigt.
Das etwas andere Verfahren
Ziel des Wettbewerbs war einerseits eine qualitative Validierung des Richtprojekts und andererseits die Ermittlung von drei bis vier Architekturbüros für die künftige kollaborative Projektierung und Realisierung des Gesamtvorhabens mit eigenen Projektvorschlägen. Dieses Vorgehen habe sich gemäss Preisgericht und Veranstalterin mehr als gelohnt: Es habe das Verständnis für das grosse Ganze bei den Teilnehmenden und beim Preisgericht gefördert. Die Co-Autorenschaft soll das Prinzip der Koexistenz auf dem Areal bereichern. Für die weitere Zusammenarbeit wird ein Planungsteam bestehend aus den vier Siegerbüros Rolf Mühlethaler Architekten, Maurus Schifferli Landschaftsarchitekten, S + B Baumanagement, HRS Real Estate sowie bereits ausgewählten Fachplanern und Spezialisten gebildet. Diesem Team wird zudem ein Begleitgremium aus externen Fachleuten und Vertretern der Stadt zur Seite stehen.
Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch
Weiterbearbeitung
«Amélie et Monsieur Hulot»
Bauart Architekten und Planer, Bern; wh-p Ingenieure, Basel; Gartenmann Engineering, Bern
«This is next to that»
E2A Piet Eckert und Wim Eckert Architekten, Zürich; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich; Kopitsis Bauphysik, Wohlen; GRP Ingenieure, Rotkreuz; Durabel Planung und Beratung, Zürich
«Segantini»
Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich; Makio Wiederkehr, Beinwil am See; Venon Projects, Zürich; Gartenmann Engineering, Luzern
«Collegato»
Bob Gysin Partner Architekten, Zürich; Walt Galmarini, Zürich; Planikum, Zürich; BDS Security Design, Bern
Fachjury
Donat Senn, Architekt, GWJ Architektur (Vorsitz); Mark Werren, Stadtplaner, Stadt Bern; Rolf Mühlethaler, Architekt, Mühlethaler Architekten; Mathis Güller, Architekt, Güller Güller architecture urbanism; Barbara Holzer, Architektin, Holzer Kobler Architekturen; Andreas Geser, Landschaftsarchitekt, A. Geser Landschaftsarchitekten
Sachjury
Gabriela Theus, Geschäftsführerin, Immofonds Asset Management; Alex Jenny, Vizepräsident und Verwaltungsrat, Immofonds Asset Management; Kim Riese, Leiter Entwicklung, Immofonds Asset Management; Ueli Grindat, Domänenverwalter, Burgergemeinde Bern; Barbara Emmenegger, Soziologin, Soziologie & Raum Zürich