«Wer sich nicht für Biodiversität einsetzt, verhindert langfristig Wirtschaftlichkeit und Lebensqualität»
Aus Sicht des SIA ist Biodiversität ein wesentlicher Bestandteil eines nachhaltig gestalteten Lebensraums. Die Biodiversitätsinitiative greift damit ein wichtiges Anliegen der SIA-Vision auf. Die Vorstandsmitglieder Barbara Wittmer und Urs Rieder antworten auf drei für Planende wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Initiative.
Wieso unterstützt der SIA die Biodiversitätsinitiative?
Urs Rieder: Als SIA haben wir und unsere Mitglieder sich der nachhaltigen Entwicklung des Lebensraums verschrieben. Eine nachhaltige Entwicklung beinhaltet auch den Schutz der Biodiversität. Die Initiative greift also das wichtigste Anliegen des SIA auf. Der Verlust der Artenvielfalt gehört neben dem Klimawandel zu den grössten Herausforderungen und muss unbedingt gestoppt werden.
Barbara Wittmer: Die Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage. Ohne die Biodiversität können wir den Klimawandel nicht stoppen. Es ist deshalb wichtig, dass die Biodiversität das gleiche Gewicht bekommt wie Massnahmen gegen den Klimawandel. Diesen gehen wir nun aktiv mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien an. Aber auch bei der Biodiversität gilt: Je später wir korrigierend einwirken, desto grösser werden die Schäden, desto höher die Kosten. Das ist bereits bei den Folgekosten im Zusammenhang mit Unwettern festzustellen. Wir müssen folglich schützen, was wir brauchen und was uns lieb ist, denn nur so können wir unseren Lebensraum in der Schweiz erhalten. Wir Planende haben die interdisziplinäre Kompetenz, Biodiversität in den gestalteten Lebensraum einzubeziehen und ihn so qualitätsvoll weiterzuentwickeln.
Die Gegner sagen, dass bei einer Annahme der Initiative das Bauen teurer und der Ausbau der erneuerbaren Energien verhindert wird. Wie schätzt der SIA diese Argumentation ein?
Urs Rieder: Natürlich verstehe ich diese Ängste. In der Praxis zeigt sich allerdings immer wieder, dass ein Bauprojekt dann teuer wird, wenn zu Beginn des Planungsprozesses etwas ausgelassen wird, das später nachgebessert werden muss. Mit der Biodiversität verhält es sich gleich, davon bin ich überzeugt. Wird sie zu Beginn des Planungsprozesses mitgedacht, erhöhen sich die Kosten nur marginal. Langfristig gesehen, ist das Einplanen von Biodiversität das günstigste Instrument für klimaangepasstes Bauen. Die Annahme der Biodiversitätsinitiative kann als Katalysator angesehen werden, damit der Klimaschutz gelingt.
Barbara Wittmer: Bereits bei der Abstimmung zum Stromgesetz im Juni 2024 hat das Schweizer Stimmvolk Ja gesagt zu den nötigen Rahmenbedingungen für den Klimaschutz. Genauso wichtig ist nun die Abstimmung über die Biodiversität am 22. September. Klimaschutz konsequent gedacht, heisst eben auch, sich für Biodiversität auszusprechen, denn die Energiewende und der Schutz der Biodiversität müssen gemeinsam gedacht werden. In der Umsetzung geht es um eine Abwägung zwischen den verschiedenen Zielsetzungen bezüglich erneuerbarer Energien und Biodiversität. Erneuerbare Energien sollen überall, ausser in den «Biotopen von nationaler Bedeutung» – zwei Prozent der Landschaften – möglich sein. Bei allen anderen Lebensräumen, in denen der Bau von erneuerbaren Energien geplant ist, ist wie bis anhin eine Gesamtinteressensabwägung vorzunehmen.
Unsere Lebensräume und unsere Ortsbilder haben eine Identität. Müssen Planende diese aktiv im Namen der Biodiversität schützen?
Urs Rieder: Der SIA wird nicht primär mit dem Einsatz für Biodiversität assoziiert. Doch im Alltag setzen wir uns schon immer implizit für sie ein, indem wir dazu aufrufen, sorgfältig mit den natürlichen Ressourcen und dem Bestand umzugehen. Biodiversität hat auch etwas damit zu tun, Bestehendes zu schützen.
Barbara Wittmer: Schützen ja, aber nicht im Sinne von verhindern, sondern von weiterentwickeln. Wie gesagt: Unser Lebensraum hat eine Identität. Wir alle fühlen uns wohl an Orten, die wir kennen, mit denen wir Erinnerungen verbinden. Aus diesem Grund ist der qualitätsvolle Umgang mit Ortsbildern, also beispielsweise einem historischen Dorfzentrum, von grosser Bedeutung. Mit dem vom SIA mitentwickelten «Davos Qualitätssystem für Baukultur» haben wir eine Grundlage, die keine Käseglocke über den Ortsbildschutz legt, sondern Baukultur mit insgesamt acht Kriterien beurteilt und so Grundlage für eine zeitgemässe Weiterentwicklung historischer Ortsteile legt. So gelingt auch die Weiterentwicklung unserer Städte und Wohnorte, ich denke da beispielsweise an die Schaffung von Wohnraum. Wenn die Qualität des gestalteten Lebensraums steigt, steigt auch die Akzeptanz für die Siedlungsentwicklung nach innen. Hierfür müssen aber Städte grüner, kühler, lebenswerter und Strassen entlastet werden. Das alles ist Biodiversität. Wer sich nicht für sie einsetzt, der verhindert langfristig Wirtschaftlichkeit und Lebensqualität.
Urs Rieder: Ein nachhaltig gestalteter Lebensraum heisst, früh die verschiedenen Interessen abzuwägen und interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Dafür steht der SIA. Er bündelt in seiner Vernetztheit enorm viel Fachwissen und -kompetenz. So können wir anstehende Herausforderungen runterbrechen und gemeinsam meistern.
Interviewpartner:innen
Urs Rieder und Barbara Wittmer sind SIA-Vorstandsmitglieder. Urs Rieder ist Präsident des Fachrats Klima und Energie; Barbara Wittmer ist Präsidentin des Fachrats Raumplanung