«Wir se­hen das CO2-Ge­setz als Zwi­schen­etap­pe»

Am 13. Juni stimmt die Schweiz über das CO2-Gesetz ab. Adrian Altenburger, SIA-Vizepräsident und Präsident des Fachrats Energie, erklärt im Interview, weshalb sich der SIA für das Gesetz einsetzt und wo die Knackpunkte sind.

Publikationsdatum
03-05-2021


SIA: Herr Altenburger, weshalb sagt der SIA Ja zum neuen CO2-Gesetz?

Adrian Altenburger: Wir sind überzeugt, dass das neue Gesetz zu einer Dekarbonisierung im Gebäudepark beiträgt und deshalb einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet, aber auch eine nachhaltige Gesamtenergieversorgung in der Schweiz sicherstellt. Der SIA setzt sich schon seit Langem für einen intelligenten Umgang mit der Energie ein. Das Pariser Klima­abkommen ist unser Leuchtturm. Wir sehen das CO2-Gesetz als Zwischenetappe auf dem Weg zum Ziel Netto-Null-Emissionen bis 2050.


SIA: Was sind die wesentlichen Elemente des Gesetzes?

Adrian Altenburger: Für den SIA steht der Gebäudebereich im Zentrum. Erstmals gibt es auch für Bestandsbauten einen verbindlichen Absenkpfad bis ins Jahr 2030. Über den Gesetzgeber wird so ein aktives Handeln ausgelöst. Wesentlich ist, dass im Gesetz flankierende Massnahmen definiert sind, beispielsweise zur Erhöhung der CO2-Abgaben, die die Reduktion der CO2-Emissionen beschleunigt. Und das Gesetz zwingt die Baubranche zu grundlegenden Fragen, beispielsweise: «Wie können wir die Vorgaben auch ökonomisch optimiert einhalten?» Denn es passiert noch zu oft, dass ein Heizkessel ausfällt und einfach gegen einen neuen ausgetauscht wird. Dieser steht dann wieder zwanzig Jahre im Gebäude, ohne dass Alternativen überhaupt in Betracht gezogen werden.


SIA: Sie sprechen indirekt von Zwang – ein Argument, das die Gegner ins Feld führen …

Adrian Altenburger: Das sind dogmatische Aussagen von Personen und Institutionen, die meist sehr selektiv sind und auf kurzfristigen Eigeninteressen basieren. Sie spielen mit dem Begriff «Zwang» und bewirtschaften eine Denkblockade in den Köpfen der Leute. Das löst Abwehr aus, und dann greifen fachliche und sachliche Argumente leider oft nicht mehr.


SIA: Braucht es Vorschriften, um im Klimaschutz etwas zu erreichen?

Adrian Altenburger: Nicht nur. Nachhaltige Sanierungen ergeben über den ganzen Lebenszyklus eines ­Gebäudes einen ökologischen und ökonomischen Mehrwert. Aber das bedingt eine fundierte und rechtzeitige Analyse, die oft nicht vorgenommen wird. Wir haben das Privileg, dass wir über Vorschriften und Gesetze abstimmen können – das relativiert den «Zwang». Ausserdem enthält das Gesetz ein zeitliche Staffelung zur CO2-­Reduktion, es ist also kein Verbot.


SIA: Weshalb ist es schwierig, eine Gegnerin oder einen Gegner von der Notwendigkeit des CO2-­Gesetzes zu überzeugen?

Adrian Altenburger: Strategisch ist inzwischen der Zwanziger gefallen: Die meisten wissen und akzeptieren, dass das fossile Zeitalter keine Zukunft hat. Aber wenn es um die operative Umsetzung geht, kann es zudem schwierig sein, ein bislang erfolgreiches Unternehmen davon zu überzeugen, dass man das Geschäftsmodell ändern und in die Weiterbildung der Mitarbeitenden investieren muss. Wieso etwas ändern, wenn es gut läuft? Es ist einfacher, die Menschen mit Verbotsbegriffen zu verunsichern, als sie mit technischen und öko­nomischen Argumenten zu überzeugen. Ich setze meine Hoffnung vor allem in die jüngeren Gene­rationen, die das Thema noch direkter betrifft als uns.


SIA: Sie müssten dann aber auch an der Abstimmung teilnehmen …

Adrian Altenburger: Die Mobilisierung der jüngeren Generation ist eine unserer Hauptaufgaben. Ich hoffe, sie erkennt, dass die Abstimmung sehr wichtig ist. Aber wir müssen generell eine hohe Stimmbeteiligung erreichen.


SIA: Ein weiteres Gegenargument ist die Finanzierung der Sanierungen, die Wohneigentümerinnen und -eigentümer in ihrer Existenz bedrohen könnte.

Adrian Altenburger: Sanierungen werden wegen des CO2-Gesetzes nicht teurer. Nach dem 13. Juni muss nicht jeder fossile Heizkessel sofort entfernt werden. Zudem ist die Finanzierung beispielsweise über ein sogenanntes Contracting möglich. Wir leasen Autos und Fernseher – warum nicht auch Wärmepumpen? Die meisten Contracting-Anbieter haben als Energieversorger einen politischen Auftrag, und ihre Preise sind moderat. Entlastung bietet zudem das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen. Das bedingt aber, dass man sich mit dem Thema auseinandersetzt. Da gibt es noch viel Nachholbedarf bei Wohneigentümern, aber auch bei Fachleuten. Heute sind wir in «Silos» gefangen: Die Heizungsmonteure kümmern sich um die Heizung, die Elektroinstallateure machen das Elektrische – aber der systemische, ganzheitliche Ansatz fehlt. Dafür braucht es mehr qualifizierte Fachleute.


SIA: Sind die Fachleute zu wenig gut ausgebildet?

Adrian Altenburger: Nicht alle. Aber wir brauchen Fachleute, die die Bauherrschaft in einer frühen Phase konzeptionell umfassend beraten. Wenn der meist überdimensionierte Heizkessel in die Jahre gekommen ist, kann die neue Heizung vielleicht mit einer Fen­s-­tersanierung kombiniert werden. Und dann reicht bei der neuen Heizung eine sehr viel kleinere Leistung, die auch mit den bestehenden Heizkörpern und tieferen Heizwassertemperaturen den Komfort gewährt.


SIA: Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass das CO2-Gesetz abgelehnt wird?

Adrian Altenburger: Das Risiko ist nicht gering. Wir müssen die unheilige Allianz durchbrechen zwischen jenen, die sich komplett gegen ein Gesetz stellen, und jenen, denen es zu wenig weit geht.


SIA: Welche Seite verstehen Sie besser?

Adrian Altenburger: Diejenige, die mehr will und das schneller. Aber es ist besser, diesen ersten Schritt mit dem neuen Gesetz zu gehen, als im Hier und Jetzt zu verharren. Letzteres wäre ohnehin unverständlich: Wenn die Schweiz in den Innovationsrankings top platziert ist, sind wir stolz darauf.
Die Schweiz ist eine Bildungs- und Wissensnation – eine Vorreiterin und keine Nachzüglerin. Wer uns hier ausbremsen will, betreibt nicht nur Verhinderungspolitik, sondern untergräbt ein bewährtes Prinzip.


SIA: Was würde sich bei einer Annahme der Vorlage für die Planenden ändern?

Adrian Altenburger: Die ganze Baubranche muss das Gesetz als Chance erkennen und sicherstellen, dass die fachliche Kompetenz vorhanden ist. Letztlich haben unsere Bestellerinnen und Besteller Erwartungen an die Branche. Es wäre unverzeihlich, wenn die Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer die Vorlage tragen würden, die Baubranche aber nicht fähig wäre, das Gesetz umzusetzen. Schlimmer wäre nur noch eine Mehrheit, die das Gesetz am 13. Juni ablehnt. Warum warten, wenn wir uns sowieso mit diesem Thema be­fassen müssen?


SIA: In seinem Positionspapier «Klimaschutz, Klimaanpassung und Energie» fordert der SIA unter anderem, dass die globale Klimaerwärmung auf 1.5 °C beschränkt werden muss. Reichen die Massnahmen im CO2-Gesetz dafür?

Adrian Altenburger: Das Gesetz ist ein operativer Beitrag zur Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030. Es kann das globale Problem nicht allein lösen. Aber es ist ein Beispiel auch für andere Länder. Wenn wir das Etappenziel bis 2030 erreichen, haben wir zunächst unsere Hausaufgaben gemacht und den Weg für die nächsten Schritte vorbereitet.

SIA führt zwei Web-Podien durch


Am Dienstag, 18. Mai 2021 finden zwei Web-Podien zum CO2-Gesetz statt: von 12.15 bis 13.15 Uhr in französischer Sprache und von 16 bis 17 Uhr in deutscher Sprache.

 

Befürworterinnen und Befürworter diskutieren mit Gegnerinnen und Gegnern, was der Klimaschutz für den Alltag, das Wohnen und die Städte bedeutet. Die Teilnahme ist kostenlos.


Mehr Informationen: www.sia.ch/inform

Verwandte Beiträge