Wo die E-Ci­ty ge­grün­det wird

Wer bislang einfach Häuser bauen liess, kann sich nun auch um die Infrastruktur für die dezentrale Stromversorgung kümmern. Verdrängen Immobilieninvestoren die Energieversorger? Oder tauchen neue Intermediäre auf?

Publikationsdatum
08-11-2018
Revision
08-11-2018

Im Basler Neubauquartier Erlenmatt Ost formiert sich die bislang grösste Solarstrom-Eigenverbrauchsgemeinschaft der Schweiz. Im Endausbau, in drei bis vier Jahren, sollen rund 630 Bewohner einen grossen Teil ihres Energiebedarfs direkt von den eigenen Dächern beziehen. Auf insgesamt zwölf Mehrfamilienhäusern, die verschiedenen Stiftungen, Genossen­schaften und Hausgemeinschaften gehören (vgl. «Energie- und Soziallabor Erlenmatt Ost»), erzeugen Photovoltaikanlagen den dafür erforderlichen Solarstrom. Letzten Sommer begann der Bezug des östlichen Erlenmatt-Areals; inzwischen ist ein Drittel des Gesamtvolumens realisiert.

Im Gleichschritt wird die interne Energieversorgung auf maximale Leistung (750 kWp) und auf künftige Jahreserträge von etwa 750 000 kWh Strom ausgebaut. Über ein Jahr bilanziert soll die Produk­tionsmenge etwa 40 % des Bedarfs vor Ort abdecken; möglichst viel des eigenen Ertrags ist selbst zu konsumieren, ohne Lieferumweg über das öffentliche Stromnetz (vgl. «ZEV: Eigenverbrauch oder Selbstversorgung?», Kasten unten).

Bisher lassen sich Produk­tion und Konsum von Solarstrom in Erlenmatt Ost zeitlich gut aufeinander abstimmen: Aktuell werden nur knapp 20 % exportiert; mit dem weiteren Ausbau der Überbauung und der Solaranlagen wird sich dieser Exportanteil aber wohl verdoppeln. Das ist die Krux für viele Eigenverbrauchsgemeinschaften: Allein mit der Erhöhung des selbst erzeugten Stromertrags schwindet der Anteil des Selbstkonsums, ausser man ergänzt das lokale ­Versorgungssystem mit einem Speicher, entweder in einzelnen Gebäuden oder durch ein Andocken an die Elektro­mobilität (vgl. «Geteilte E-Mobilität»).

Bei PV-Anlagen in Einfamilienhäusern, die tagsüber wenig Strom verbrauchen, lassen sich in der Regel Eigenverbrauchsquoten unter 30 % erreichen. Wird zusätzlich eine Wärmepumpe als Heizsystem betrieben, lässt sich dieser Anteil auf etwa 50 % steigern. Zur weitergehenden Optimierung sind Batteriespeicher erforderlich, die den Tagesertrag für den Konsum am Abend und in der Nacht verfügbar machen.

Netztechnisch und wirtschaftlich sinnvoller wäre aber eine zeitgleiche Stromlieferung an Nachbarn, die allenfalls derselben ZEV-Gemeinschaft angeschlossen sind. In gemischt genutzten Arealen lässt sich die Eigenverbrauchsquote durchaus auf 100 % erhöhen, wenn Wohnsiedlungen mit Gewerbebetrieben energetisch zusammengeschlossen sind. Deren jeweilige Verbrauchsprofile sollten sich dabei zeitlich ergänzen. Ideal sind Abnehmer in unmittelbarer Nachbarschaft, die die selbst erzeugte Energie jeweils in der Überschussperiode verbrauchen können.

Erproben von Komponenten und Systemen

Sowohl die angewandte Energie- und Bauforschung als auch Energieversorger haben in Pilot- und Demonstrationsprojekten begonnen, die dafür benötigten Komponenten, Technologien und Systeme auf der Ebene einzelner Gebäude oder  Quartiere zu erproben. Absehbar ist auch, dass neue Marktteilnehmer auftreten und sich neue Wertschöpfungsketten um solche Energiehubs bilden werden. Sie fordern das bisherige Businessmodell der zentral organisierten Energieversorger heraus.

Erkennbar wird dies auch an der Organisation des Eigenverbrauchsmodells in Erlenmatt Ost: Anstelle des städtischen Energieversorgers beliefert eine externe Energiegenossenschaft die Erlenmatt-Bewohner mit Strom. Sie realisiert und betreibt die Solaranlage auf eigenes unternehmerisches Risiko; zudem ist sie auch der lokale Wärmeproduzent, der das gesamte Ostareal mit Energie für die Gebäudeheizung und das Warmwasser versorgt. Daher fliesst der Grossteil des vor Ort erzeugten Solarstroms in deren Wärmezentrale, damit dort die Wärmepumpen angetrieben werden. Die Stromüberschüsse werden an die Bewohner und die Gewerbemieter der Basler Arealüberbauung zu einem günstigen Preis verkauft.

Das Eigenverbrauchsmodell beruht auf einem Gegengeschäft: Weil die Arealgemeinschaft für den Eigenstrom nicht mehr oder sogar weniger bezahlt als für importierten Netzstrom, steht dem Anbieter eine Anschlusspflicht zu. In Erlenmatt Ost lauten die Zahlen: Die Stromlieferantin, die ADEV-Energiegenossenschaft, verrechnete der Eigenverbrauchsgemeinschaft anfangs rund 18 Rp./kWh, was dem Haushaltstarif in der Stadt Basel entspricht. Aber bereits für das laufende Jahr hat der Intermediär den Tarif gesenkt. Um wie viel, kann er erst nach Ablauf des Produktionsjahrs 2018 sagen. Doch die aktuelle Benchmark für dezentral erzeugten Solarstrom liegt schweizweit bei rund 15 Rp./kWh (vgl. «Der nächste Nachhaltigkeitshype?»). Die Bewohner von Erlenmatt Ost konsumieren daher nicht nur klimafreundlichere, sondern auch preisgünstigere Energie als der Durchschnitt der Schweizer Bevölkerung.

Eigenverbrauch bei 100 %

Im Zürcher Stadtkreis 6, beim Schaffhauserplatz, ist eine vergleichbare, etwas kleinere Solarzelle aktiv. Das vom Architekturbüro Viridén + Partner sanierte Mehrfamilienhaus (vgl. «Es blinkt in alle vier Himmelsrichtungen», TEC21 48/2017) ist ebenfalls eine Eigenver­brauchsgemeinschaft. Der eigene Strom wird auf dem Dach und an den vier Gebäudefassaden produziert. Der Anlagenbetreiber ist hier gleichzeitig der Immobilien­investor.

Das städtische Elektrizitätswerk begleitet dieses Demonstrationsprojekt mit Fokus auf Technik und ­Netzstabilität. Zu untersuchen ist, wie sich Ertrags- und Einspeiseschwankungen sowie Leistungsspitzen auf die Spannung im Stromnetz des Quartiers auswirken werden. Die Hypothese lautet: Lassen sich die lokalen Einspeise-Peaks im dezentralen Energiesystem optimal steuern, kann auf einen Ausbau der Anschlusskapazitäten verzichtet werden. Die gebäudeintegrierte PV-Anlage im Zürcher Wohnhaus ist für solche Analysen besonders interessant: Die Leistungsgrösse ist im ­städtischen Umfeld bisher einmalig.

Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) will weitere Erfahrungen sammeln; für die Betriebsperiode 2017/2018 liegt bereits eine Zwischenbilanz vor: Seit Anfang Jahr wird ein 150-kWh-Akkumulator eingesetzt; das Vorjahr liefert die Vergleichswerte ohne Batterie. Dank dem Speicher wurde im Sommer eine Eigenverbrauchsquote von ­fast 100 % erreicht; im Herbst sank sie auf etwa 60 %. Mit dem Speicher lässt sich der Stromkonsum auf die Nachtstunden für die Warmwasseraufbereitung ­verschieben. Als Jahresdurchschnitt prognostiziert das ewz etwa 70 %.

Eine weitere Erkenntnis ist: Der Produktionsverlauf am Zürcher Sonnenkraftwerk unterscheidet sich von Gebäuden, die nur auf dem Dach mit Solaranlagen versehen sind. Im Vergleich zur ausschliesslichen ­Produktion auf dem Dach verschiebt sich die Strom­produktion dank der PV-Fassade um 5 bis 7 % ins Winterhalbjahr. Dies kann den Eigenverbrauch erhöhen. Aber ebenso wäre dann ein Einspeisen der Energie in lokale Verteilnetze interessant. In der kalten Saison wird generell Strom in die Schweiz importiert.

Auch anderenorts führen regionale und kommu­nale Stromversorger Tests mit Speichersystemen (vgl. TEC21 14–15/2017 «Elektrische Energie speichern») in unterschiedlichen Grössenordnungen durch. Batterien können einem einzelnen Gebäude zugeordnet werden oder einer kleineren Einheit im öffentlichen Verteilnetz, einer ZEV-Gemeinschaft oder einem Quartier. Eine andere Skala hat das Elektrizitätswerk des Kantons Zürich gewählt. Ein 18-MW-Speicher, die grösste Batterie der Schweiz, stabilisiert die Netzspannung und könnte zwei sparsame Haushalte ein Jahr lang mit Strom beliefern.

Eine interessante Speichervariante ist die Kopplung von Gebäude und Elektromobilität (vgl. «Geteilte E-Mobilität»). Sie wird auch im Basler ZEV-Verbund erprobt. Ein Forschungsprojekt, gemeinsam mit Hochschulen, soll zeigen, inwieweit der in Autobatterien gespeicherte Solarstrom nicht nur zum Fahren am Tag eingesetzt werden, sondern auch den Eigenverbrauch der Siedlung abends und in der Nacht erhöhen kann.

Am Bau Beteiligte
 

Baurechtsgeber/Bauherrschaft
Stiftung Habitat, Basel
 

Städtebau
Atelier 5 Architekten und Planer, Bern
 

Architektur
Galli Rudolf Architekten, Zürich / Atelier 5, Bern / Buchner Bründler, Basel / Duplex Architekten, Zürich / Morger Partner Basel
 

Aussenraum
w + s Landschaftsarchitekten, Solothurn


ZEV: Eigenverbrauch oder Selbstversorgung?

Das nationale Energiegesetz fördert seit 1. Januar 2018 den Eigenverbrauch und erlaubt einen Zusammenschluss unter Endverbrauchern (ZEV). Ebenso können Gebäudebesitzer den vor Ort produzierten Solarstrom der Mieterschaft direkt verkaufen. In jedem Fall braucht es dazu die Einwilligung der Mietenden. Angrenzende Gebäude dürfen ebenfalls beliefert werden, wenn die Erschliessung auf eigene Rechnung erstellt wird. Ein ZEV-Verbund misst und verrechnet den Strombezug selbst. Im Gegenzug entfallen öffentliche Anschlussgebühren.

Der Zusammenschluss mehrerer Wohnhäuser und auch von Bürobauten wird häufig über ein Contracting geregelt: Ein externer Energiedienstleister betreibt die Solaranlage und das Stromgeschäft als Vertragspartner der Eigentümerschaft. Für den Contractor und die ZEV-Gemeinschaft ergibt sich daraus eine attraktive Option: Übersteigt der Jahresbedarf die Limite von 100 000 kWh, dürfen Stromlücken mit Angeboten aus dem freien Strommarkt gefüllt werden. Das Monopol der Stromversorger wird indirekt aufgeweicht.

Als Eigenverbrauch wird derje­nige Anteil des produzierten Stroms bezeichnet, der nicht ausserhalb der Grundstücksgrenzen konsumiert wird. Dabei ist die Eigenverbrauchsquote vom Selbstversorgungsgrad zu unterscheiden: Der Eigenverbrauchsanteil gibt an, wie viel Prozent der Stromproduk­­tion einer PV-Anlage vor Ort möglichst­zeitnah verbraucht werden kann; der Autarkie­grad definiert dagegen, wie viel Prozent des Strombedarfs eine PV-Anlage übers Jahr abdecken kann. (
Paul Knüsel)


Batteriespeicher im Öko-Test

Heute werden für eine Vielzahl von Anwendungen Lithium-Ionen-Batterien (LiNCM) eingesetzt. Die Entwicklung neuer Materialien und Herstellungsprozesse führt zu einer stetigen Verbesserung der Eigenschaften. In einer Studie vom Amt für Hochbauten der Stadt Zürich wurden die Umweltauswirkungen von heutigen, zukünftigen und wiederaufbereiteten («second-life») Lithium-Ionen-Batterien für ein spe­zifisches Projekt quantifiziert und mit­einander verglichen.1

Vor allem die Energiedichte spielt eine entscheidende Rolle für die Umweltauswirkungen pro Kilowattstunde Speicherkapazität. Bei heutigen Batterien beträgt die Energiedichte 105 Wh/kg. Für zukünftige Batterien wurde in der Studie eine Verdopp­lung der Energiedichte angenommen. Das Speichersystem mit wiederaufbereiteten Batterien basiert auf Daten zu einem laufenden Projekt zur Zweitnutzung von Batterien aus Elektrorollern der Post. Der Second-Life-Batterie wurde ein Siebtel der Herstellungsaufwände einer neuen LiNCM-Batterie angerechnet. Die Energiedichte liegt bei 80 % einer neuen Batterie. (Daniela Hochradl)

Anmerkung

  1. Ökobilanz PV-Anlage und Batterie, Stadt Zürich 2018.

Vgl. Tabelle in der Bildergalerie am Anfang des Artikels.

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