Wo sich Tra­di­ti­on und Prä­zi­si­on tref­fen

Für den neuen Firmensitz der Schokoladenmanufaktur Max Felchlin entwickelten Meili, Peter & Partner Architekten und die Ingenieure von Pirmin Jung Schweiz einen fünfgeschossigen ­Hybridbau. Dabei fallen vor allem die Dachhauben auf: Ihr Tragwerk knüpft an ­traditionelle ­Zimmermannsarbeiten an und besticht in Ausdruck und Ausführung.

Publikationsdatum
21-11-2019

Über 100 Jahre Familiengeschichte im Schokoladengeschäft – nun hat das Unternehmen Max Felchlin diese Historie in seinem neuen Gewerbebau auf dem 11 000 m2 grossen Areal im schwyzerischen Ibach SZ sinnbildlich umgesetzt: Bestand trifft auf Neubau, klassischer Holzbau auf ­moderne Verbundkonstruktionen und Zimmermanns­tradition auf zeitgenössische Präzision.

Dabei knüpften auch die Holzbauingenieure von Pirmin Jung Schweiz an die Dualität aus Alt und Neu an. Sie verflochten die althergebrachten, früher von Hand gefertigten Knotenverbindungen aus der Zimmerei mit der hochpräzisen maschinellen Herstellungsmethode der Gegenwart.

So entwickelten sie die auf den Kräftefluss abgestimmten Holzverbindungen mit modernen Ausführungsmethoden weiter, behielten – oder bekräftigen – damit aber den architektonisch wertvollen Ausdruck der «Einfachheit» von Holzverbindungen. Mit dieser Einfachheit im Sinn von Schlichtheit entstand ein überraschend stringentes, klar strukturiertes und nicht von Knotenblechen verunklärtes Stabtragwerk.

Hybrid aus Beton und Holz

Für den neuen Firmensitz kombinierten die Architekten drei Volumen miteinander: Ein neuer fünfgeschossiger Hybridbau für die Administration steht mit 12 m Abstand quer zur bestehenden Produktionshalle von 2014. Als eigenständiges architektonisches Element kommt ein Attikariegel hinzu, der die beiden Gebäude miteinander verbindet. So konnte man die drei Geschäftsbereiche Produktion, Verwaltung sowie Kunden- und Schulungszentrum an einem Ort bündeln.

Der Neubau mit dem Haupteingang in der Südfassade ist in Skelettbauweise konzipiert. Keller-, Erd- und die beiden ersten Obergeschosse sind in Ortbeton erstellt. Rundstützen tragen Flachdecken mit bis zu 8 m Spannweite. Zwei betonierte Kerne ziehen sich im 13 m × 55 m grossen Grundriss durch alle Geschosse. Zusammen mit einer Querschotte am westlichen Ende steifen sie das gesamte Gebäude horizontal aus.

Zwischen drittem und viertem Obergeschoss wechselt die Tragkonstruktion von Massiv- zur Holzbauweise. Während die Stützen im 3. OG noch Betonfertigteile mit rundem Querschnitt sind, ist die Decke nun eine Holz-Beton-Verbundkonstruktion. Im Abstand von jeweils 5.44 m sind Brettschicht­holzträger angeordnet, die südseitig 3.33 m und nordseitig rund 2 m weit über die Fassadenebene auskragen. Diese Erweiterung des Grundrisses schafft Zusatzfläche, vor allem für die Schulungs- und Gastronomieräume im 4. OG.

Wegen der für Holz typischen geringen Leitfähigkeit und der damit einhergehenden isolierenden Wirkung können die Träger nahtlos ohne thermische Brücken nach aussen geführt werden. Die beidseitige Auskragung ist nicht nur architektonisch begründet, sie ist auch statisch vorteilhaft, weil so das Biegemoment in den beiden Feldern reduziert und der hölzerne Biegeträger über seine gesamte Länge effizienter ausgenutzt wird; Feld- und Stützmomente werden ausgeglichen.

Auf diesen zweifeldrigen Primärträgern mit beidseitiger Auskragung liegen alle 1.25 m Pfetten längs zur Gebäudeachse auf. Der Abstand dieser Sekundärträger verringert sich in der Auskragung und somit in der von aussen sichtbaren unteren Fassade auf 0.625 m. Darüber wurden innerhalb des Sockelgrundrisses Filigranbetonelemente von 5 cm Stärke verlegt und mit 9 cm Überbeton ausgegossen.

Die auskragende Rippendecke ist nicht betoniert. Formschlüssige Schubkerven1 gewährleisten zusammen mit eingeklebten Bewehrungsbügeln die statische Verbundwirkung der Rippen mit dem Beton. So entstand eine Holz-Beton-Verbund-Rippendecke, die effizient trägt und in sichtbar materialisierter Form den Übergang zum reinen Holzbau im obersten Geschoss bildet.

Wie die Tragkonstruktion ändert sich auch die Fassade im Übergang vom 3. zum 4. Obergeschoss. Die Ebene unter dem Attikageschoss ist mit selbsttragenden, vorgehängten Holzelementen eingefasst, die Attika hingegen geschosshoch verglast. Der verglaste Eingangsbereich und die repräsentativen Räume ganz oben verknüpfen sich so formal über die Geschosse hinweg.

Anmerkungen
1 Als Kerve bezeichnet man in der Zimmerei eine Auskerbung in einem Holzträger, in die sich ein zweiter Holzträger – oder wie hier der Überbeton – verzahnt. Eine Verbindung zweier Tragelemente entsteht, die Schub übertragen kann.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 47/2019 «Schokoladenmanufaktur Max Felchlin».

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