Zum Beispiel Jean Prouvé: technische Objekte erneuern
Ab den 1930er-Jahren entwickelte der französische Architekt und Konstrukteur Jean Prouvé (1901–1984) Gebäude als modulare Konstruktionen in Metallleichtbauweise. Umgeformtes Blech war sein wichtigster Baustoff. Als gelernter Kunstschmied war er handwerklich begabt, arbeitete aber mit den damals modernsten Maschinen zum Biegen und Runden und nutzte Autogen- und Elektroschweissgeräte.
Eine internationales Kolloquium an der EPF Lausanne, organisiert von Franz Graf und Giulia Marino im Rahmen des Instituts TSAM (Techniques et Sauvegarde de l'Architecture Moderne), versammelte am 21. September 2018 rund 80 Fachleute und präsentierte 14 Vorträge. Im Blick auf Jean Prouvés intensives Engagement im Bereich der Notunterkünfte stellen sich heute diverse Fragen zur Demontierbarkeit und zur weiteren Nutzung dieser modularen Strukturen. Neben dem Unterhalt liegen die Probleme bei grösseren Bauwerken in den notwendigen Anpassungen, die zwar das ursprüngliche Konzept zu wahren suchen, die Bauten aber gleichzeitig auf den aktuellen Stand der Technik und Bauphysik bringen sollen.
Neu nutzen oder als Zeitzeugen bewahren?
1939 erhielt Jean Prouvé für seine Portalrahmenkonstruktion aus Stahlblech ein Patent. Die darauf beruhenden Modulbauten waren aber stets auch Prototypen, deren Entwicklung und Fertigung fortwährend zu neuen Details und Veränderungen am ursprünglichen Konzept führten. Auch die unterschiedlichen Nutzungsansprüche aus den grösseren und kleineren daraus gefertigten Raumkonzepten und die Anforderungen der seriellen Fertigung zogen regelmässig Anpassungen nach sich.
So wurde das «Maison Tropicale», ein Bau, der in idealer Weise die Prinzipien von Prouvés Konstruktionen verkörpert und an die 50 Jahre lang in Brazzaville (Kongo) gestanden hat, im Jahr 2000 wieder nach New York zurückgebracht, um restauriert und anschliessend dort, in Paris und London gezeigt zu werden. Ursprünglich sollte das Haus in hoher Stückzahl für die französischen Kolonien gefertigt werden. Daher war es einfach zu montieren, leicht und transportabel. Material und Konstruktion hatten mit der afrikanischen Bauweise allerdings denkbar wenig gemein – der Entwurf, der für die klimatischen Bedingung im Kongo und in Niger entsprechend ungeeignet war, muss heute als ein Symbol kolonialer Bevormundung betrachtet werden. Der Zustand des erhaltenen Exemplars (eines von nur drei gebauten) liess entsprechend zu wünschen übrig: Es wurde demontiert, die Teile auf Paletten liegend verschifft, allerdings ohne Pläne und Montageanweisungen.
Bei dieser doch recht voluminösen Struktur stellten sich bezüglich des Wiederaufbaus zahlreiche Fragen. Was tun mit teils verrotteten Elementen? Wie umgehen mit Gebrauchsspuren, teils auch Schusslöchern aus Kriegshandlungen? Welche Ersatzstoffe für die nicht mehr tauglichen Dämmschichten einsetzen? Und überhaupt: wo damit beginnen, dieses grosse und dreidimensionale Puzzle aufzubauen? Der theoretisch so einfach konzipierte Bau enthüllte so seine ganze Komplexität. Nach einer aufwendigen Rekonstruktion wurde es in grossen Museen ausgestellt und gilt nun als ein kostbares Kunstobjekt, das Designenthusiasten begeistert. Seine beabsichtigte Funktion als sozialer Beitrag ist zunächst fehlgeschlagen und jetzt verloren gegangen.
Nomadisierende Bauwerke von Jean Prouvé
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Jean Prouvé den Auftrag, rund 400 Notunterkünfte zu konstruieren. Diese industriell gefertigten Objekte mit einem Grundriss von 8 x 8 m liessen sich durch Teams von vier Monteuren innert Stunden und ohne mechanische Hilfsmittel aufstellen. Ihre Nutzung blieb auf die dafür notwendige Zeit beschränkt. Im Lauf der Zeit wurden die Pavillons überflüssig und anderweitig genutzt – als Gartenhäuschen, Fischerhütten oder kleine Ateliers. Und sie erhielten «Verbesserungen» und Verzierungen aus der Hand der jeweiligen Nutzer. Nach etwas länger als vier Jahrzehnten geschah Eigenartiges: Die Pavillons wurden von Sammlern und Galeristen als Objekte der Begierde und Handelsware im Designmarkt entdeckt, in der Folge aufgekauft und zunehmend kostspielig gehandelt. Ein baukonstruktives Konzept mit klarer Nutzungsvorgabe wurde zur begehrten Designikone.
Auch die gesamte Struktur der von Prouvé für die Konservenfabrik «Ferembal» konstruierten Büros lagerte geraume Zeit bei einem Brocanteur – ungenutzt und unerkannt. Dank dem Engagement des Pariser Galeristen und Prouvé-Spezialisten Patrick Séguin und der Konzeption zur Umnutzung als eingeschossiger und transportabler Pavillon durch den Architekten Jean Nouvel kam der Bau «Ferembal» zu einem zweiten Leben. Präsentiert wurden zudem der Schulpavillon in Vantoux (Henri und Jean Prouvé) und der Pavillon «Métropole» in Tourcoing, beide fest installiert, aber ursprünglich als bewegliche Objekte konzipiert.
Instandsetzen von Bauten als technische Archäologie
Erhalten sind aber auch diverse ortsgebundene Bauwerke von Jean Prouvé. So etwa in der Schweiz die 1968/1974 von ihm konzipierte Fassadenkonstruktion der Bürobauten an der Place Chauderon in Lausanne (AAA architectes) und in Tours (F) die Druckerei von Alfred Mame, gebaut 1950–1953 nach den Plänen von Bernhard Zehrfuss und Jean Drieu. Prouvé konstruierte dafür 672 Sheds aus Aluminium, die den über 5000 m2umfassenden Raum mit Tageslicht versorgen. Die Renovation solcher Werke werden nun mit Sorgfalt angegangen, beschränkt auf das strikt Notwendige.
Kaum bekannt ist die Tatsache, dass es ebenfalls Jean Prouvé war, der beim Bau des 1967 fertiggestellten «Centre Le Corbusier»(Heidi Weber Museum) in Zürich die Fassaden konzipiert hat. Das markante Dach ist aus verschweissten Stahlteilen konstruiert, die darunter gestellten Raumelemente sind verschraubt. Die 2017 begonnene Instandsetzung des Baus bedingt eine Art technische Archäologie, die Gebäudetechnik und Dichtigkeit der Hülle unter beibehaltener Bausubstanz zu restaurieren verlangt detaillierte Fachkenntnis. (Zum Bau: «Der letzte Corbusier», TEC21 22/2015).
Als eine weniger bekannte Seite des Schaffens von Prouvé kam am Anlass auch das Kunststoffhaus Saint-Gobain zur Sprache, ein Bau, der 1965/1967 realisiert wurde. Allzu verwunderlich ist diese Beschäftigung mit Kunststoff nicht, denn Prouvé liess sich nicht nur auf Stahl und Aluminium ein. Er baute auch mit Holz und Holzplatten und natürlich mit Glas. Der Versuch, mit Kunststoff zu bauen, lag zu jener Zeit nah – Prouvé fasste auch dies als Montagebauweise auf.
Bei der damit in Gang gekommenen Ertüchtigung ortsfester Objekte haben die Spezialisten kaum mit verloren gegangenen Bauteilen zu tun, wie das bei nomadisierenden Objekten nur allzu oft der Fall war und noch ist. Es sind indes heikle Veränderungen, wenn an diesen bis ins Detail durchdachten Bauwerken nun den heutigen Vorschriften entsprechende Dämmschichten und Verglasungen anzubringen sind und neue Hausinstallationen zusätzlich Platz einfordern.
Das Detail ist entscheidend
In Bezug auf die Trinkhalle «Prouvé-Novarina» in Evian-les-Bains brachte es Giulia Marino vom TSAM EPFL auf den Punkt: «Jeder Bolzen und jede Fuge sind wesentlich.» Und Frankreichs oberster Denkmalschützer François Goven (Conservateur Général du Patrimoine) gab der nicht selten zwiespältigen Haltung von Bauherren und Behörden gegenüber Prouvés Werken mit der zweischneidigen Formel «zwischen Vandalismus und Verehrung» Ausdruck. Prouvés Können wird bei allen seinen Baukonzepten, Konstruktionen und auch Möbeln sichtbar. Er verknüpfte das Handwerk mit der Industrie, Architektur mit Design. Eigentlich ist das Werk von Jean Prouvé nur vor dem Hintergrund seiner handwerklichen Ausbildung als Kunstschmied zu verstehen.
Neue Publikationen zu Jean Prouvé
La buvette d’Évian - Maurice Novarina, Jean Prouvé, Serge KetoffAutoren: Franz Graf und Giulia Marino. Fotografien: Claudio Merlini. Wissenschaftliche Koordination und Herausgeberin: Giulia Marino, Institut TSAM (Techniques et Sauvegarde de l'Architecture Moderne) der EPF Lausanne. Texte in Französisch, umfangreiche englische Zusammenfassung. Reich illustriert. 296 Seiten, Format 22x31 cm, gebunden. CHF 45.- / EUR 35.- Verlag infolio, Golllion. ISBN 978-2-88474-475-1. Erhältlich ab Anfang Dezember 2018.
Zu Beginn 2019 werden in der Reihe «Cahier du TSAM» die Vorträge des Kolloquiums vom 21. September 2018 (Restaurer les Objets Techniques – Jean Prouvé) publiziert. Dieses Heft 3 der Reihe kann bei PPUR Presse polytechniques et universitaires romandes bezogen werden.