Wie viel wird re­di­men­sio­niert?

Revision der Raumplanung

Das Raumplanungssystem funktioniert träge und ist per se im Verzug. Das Ziel, die Ausweitung der Bauzonen zu dämpfen, wird dadurch erschwert. Allerdings verursacht die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden bereits Konflikte.

Date de publication
07-10-2015
Revision
15-11-2015

Und weiter nagt der Baggerzahn: Täglich werden etwa 6 ha Schweizer Boden überbaut. Mit einem aktuellen Tempo von 0.7 m2 pro Sekunde weitet sich das Siedlungsgebiet aus; seit der ersten Arealstatistik vor 30 Jahren ist die besiedelte Fläche um fast einen Viertel grösser geworden. Das Meiste geht dabei vom Kulturland ab.

Besonders gross sind die Verluste rund um die wachsenden Agglomerationen: Die Gemeinde Bassersdorf bei Kloten, nördlich von Zürich, ist Schweizer Meisterin im Bevölkerungswachstum und erweiterte ihre Bauzonenfläche in den vergangenen 15 Jahren um 16 %. Ähnlich stark dehnten sich die Vororte von Freiburg aus; zuletzt um mehr als 1 % pro Jahr. Und in der Region Morges westlich von Lausanne hat die Bevölkerung in den letzten 25 Jahren ebenso überdurchschnittlich viel Raum auf der grünen Wiese in Anspruch genommen.

Der Siedlungstrend der jüngeren Vergangenheit setzt die Ressource Boden mächtig unter Druck. Allerdings möchte die Regionalkonferenz von Morges die wachsenden Platzansprüche mehr als nur bremsen: Die elf Gemeinden mit knapp 40 000 Einwohnern wollen ihre Siedlungsfläche von 925 ha auf weniger als 200 ha konzentrieren. Voraussetzung dafür ist, die in den Regionalzentren vorherrschende mittelalterliche Bebauungsstruktur weiterzuführen. Die regionale Ausnützungsziffer wäre auf 2.1 zu verdichten. Weiter planlos zu wachsen würde dagegen zusätzliche 600 ha grüne Fläche kosten. Die Idee zur Siedlungskonzentration ist zwar einleuchtend, jedoch kühn und kaum umsetzbar. 

24 Jahre alte Rezepte

Zersiedelung, wuchernde Agglomerationen und Kulturlandverlust werden seit geraumer Zeit auf allen politischen Ebenen beklagt. Inzwischen hat sich auch die Bevölkerung für eine nachhaltigere Raumentwicklung ausgesprochen: In den nationalen Abstimmungen zur Revision des Raumplanungsgesetzes (2013) und zur Zweitwohnungsinitiative (2014) hat der Souverän jeweils den ungehinderten Boden- und Landverschleiss gestoppt. In mehreren Kantonen sind ergänzende Begehren zum Schutz des Kulturlands hängig respektive angenommen worden.

So neu sind die Ideen nicht: Vor 24 Jahren formulierte das Nationale Forschungsprogramm NFP 22 bereits Rezepte zur nachhaltigen Nutzung des Bodens: «Siedlungsentwicklung nach innen, keine Reservehaltung für Bauzonen und Siedlungsflächen-Kontingente.» Die Begrenzung der Siedlungsausdehnung war schon im alten Raumplanungsgesetz (RPG) enthalten; erst die revidierte Fassung wird nun konkret (vgl. Kasten unten: «Was will das RPG?»).

Seit Frühling vergangenen Jahres sind die neuen Begrenzungsregeln in Kraft. Bis 2019 haben die Kantone Bedenkzeit, den Zusatzbedarf an Siedlungsflächen für die nächsten 15 Jahre abzuschätzen und die kantonalen Richtpläne daran anzupassen. Erwartet werden ein gemässigtes Siedlungswachstum und eventuell sogar redimensionierte Bauzonenpläne. Vorderhand gilt zudem ein faktisches Neueinzonungs-Moratorium in den Gemeinden, bis der Bund die neueste Plangeneration im jeweiligen Standortkanton genehmigt hat.

Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) wacht darüber und hat bereits deutlich gemacht, wie streng es seine Kontrollaufgabe interpretieren wird: Dem Stadtkanton Genf werden die gewünschten Flächenerweiterungen im Richtplan nur zum Teil zugestanden. Basel-Stadt und Zürich haben dagegen grünes Licht erhalten, weil wirksame Massnahmen zur Siedlungsbegrenzung vorgesehen sind. Die Siedlungspläne aus Bern und Solothurn sind dem Bundesamt allerdings nicht streng genug. Neueinzonungen sind zu kompensieren, respektive die Bauzonendimensionierung ist strenger umzusetzen, kritisierte das ARE die Richtplanentwürfe der beiden Kantone im Vorprüfungsbericht. 

Beträchtlicher Bereinigungsbedarf

Doch damit nicht genug: Gegen die Einzonungsvorhaben von vier Gemeinden in der Waadt hat das Bundesamt Rekurs beim Verwaltungsgericht eingelegt. Denn die RPG-Übergangsbestimmungen verlangen, dass zusätzliche Flächen nur eingezont werden dürfen, wenn gleich viel rechtskräftig ausgezont worden ist. Um den Richtplan vom Bund genehmigen zu lassen, muss der Kanton Waadt vorgängig eine Neubeurteilung des effektiven Bauzonenbedarfs vornehmen.

Wie viele Flächen die Gemeinden zusätzlich ausscheiden dürfen oder zu kompensieren sind, respektive ob die eingezonten Reserven im Nutzungsplan für die nächsten 15 Jahre genügen, ist nun auch die Hauptfrage der übrigen Kantone. Bisherige Analysen zeigen beträchtlichen Bereinigungsbedarf, weil offensichtlich zu viele Bauzonen angehäuft worden sind: Die unbebauten Reserven sind zwischen 28 000 und 43 000 ha gross, ergab die nationale Bauzonenstatistik 2012.1

Selbst bei anhaltend starkem Bevölkerungszuwachs hätte jeder zweite Kanton immer noch ausreichende Siedlungsreserven. Im Wallis, im Jura und in Schaffhausen liegen die Anteile der unbebauten Bauzonen zwischen 12 und 24 %; in einzelnen Gemeinden sind bis zu 40 % der ausgeschiedenen Zonen als Baureserve frei. Und grundsätzlich haben auch Kantone mit gesamthaft zu geringen Reserven ein internes Verteilproblem: Ländliche Regionen und Gemeinden verfügen oft über ein Mehrfaches des Entwicklungsbedarfs, während den Zentren bisweilen die Zusatzflächen ausgegangen sind. Varianten, um Reserven kantonsintern abzutauschen, sind im Gespräch. 

Einsprachen erwartet

Einen Überhang an noch nicht überbauten Wohn- und Gewerbeflächen besitzen sehr viele Gemeinden im Mittelland. Im Aargau oder in Solothurn waren bis vor Kurzem Verhandlungen über eine Redimensionierung der Reserven im Gang. Die Gespräche zwischen Kommunen und kantonalen Planungsämtern sind jedoch nur behördenverbindlich und erst Grundlage für den Richtplaneintrag.

Auch der Kanton Thurgau setzt sich derzeit mit allen 80 Gemeinden einzeln an den Verhandlungstisch, um eine Flächenbereinigung vorzunehmen. Druckmittel sind auch hier das Neueinzonungsverbot und die Kompensationspflicht, bis der Richtplan vom Bund genehmigt worden ist. Die nächsten Schritte zur Konkretisierung sind jedoch nicht weniger hürdenreich: Sobald die Gemeindezonenpläne angepasst werden, sind die Grundeigentümer einzubeziehen. In solchen Präzedenzfällen zeichnen sich heikle Auseinandersetzungen ab.

Ein anschaulicher Bereinigungsprozess findet im Laufental statt, wo die 1200-Einwohner-Gemeinde Liesberg BL ihre Bauzonenfläche in der kommunalen Nutzungsplanung deutlich zu reduzieren hat. Die Bevölkerungszahl ist in den letzten 20 Jahren stabil geblieben; Parzellen mit einer Gesamtfläche von über 12 ha sind zwar eingezont, aber unbebaut. Seit drei Jahren verhandeln Gemeinde und Kanton, welche Flächen ausgezont werden könnten. Im Juni 2015 hiess die Gemeindeversammlung einen Verhandlungskompromiss mit Verzicht auf 4 ha Bauzonen gut. Diese Fläche ist halb so gross wie ursprünglich vom Kanton vorgeschlagen, spart aber Parzellen mit hoher Baureife aus. Ebenso ist die Zahl der Grundeigentümer gesunken, die dagegen Rechtsmittel ergreifen können. Trotzdem ist die Redimensionierung in Liesberg vorläufig blockiert, weil Rechtsmittel dagegen erhoben worden sind.

Gegen die raumplanerische Logik

Der Widerstand direkt Betroffener ist nachvollziehbar: Zum einen wird der Mehrwert ihres Baulands entzogen, obwohl in den letzten Jahren höhere Steuern zu entrichten waren. Zum anderen ist die Enteignungsfrage weitgehend offen. Das Bundesgericht hat Rückzonungen bislang als «entschädigungsfreie Nichteinzonungen» taxiert.

Dass dieses generelle Urteil für künftige Fälle gilt, halten Rechtsexperten jedoch für unwahrscheinlich. Vielmehr ist ein individuelles Abwägen von Baureife und Erschliessung auf jeder Parzelle zu erwarten. Kantone wie Basel-Stadt, Genf, Neuenburg und Thurgau haben diesbezüglich vorgesorgt und könnten Entschädigungen aus dem Topf der Mehrwertabgabe bei Neueinzonungen bezahlen. Auch einzelne Gemeinden kennen solche Regularien. Das Gros der Kantone hat ein solches Abgabenmodell allerdings noch nicht gesetzlich festgesetzt.

Die Rückzonung respektive weitere Massnahmen zur Koordination des Bauzonenbedarfs sind politisch heikle Unterfangen. Bisher brauchte es dazu meistens Druck von oben; von sich aus aktiv geworden sind Gemeinden oder Eigentümer nur in Ausnahmefällen. Zudem ist das Ausmass der Redimensionierungseffekte sehr ungewiss. Zum einen besitzen Kantone und Gemeinden weite Ermessensspielräume, um das künftige Siedlungswachstum zu quantifizieren. Zum anderen spricht die raumplanerische Logik bisweilen gegen pauschale Auszonungsaktionen. Denn die meisten unüberbauten Parzellen liegen mitten im Siedlungsgebiet und sind gut erschlossen. Um ein Pingpong zwischen Aus- und Wiedereinzonung innerhalb zweier Planungsperioden zu verhindern, wird der Nachweis des Flächenbedarfs daher vielerorts pragmatisch erfolgen.

Konzepte und Modellvorhaben

Die aktuelle Raumplanung will die Siedlungsausdehnung bremsen und zugleich die Entwicklung nach innen forcieren. Auf lokaler, regionaler und kantonaler Ebene laufen solche Planungs- und Klärungsprozesse daher parallel. Gegenseitig werden Wünsche, Prognosen und Konzepte für die räumliche und funktionale Entwicklung ausgetauscht und koordiniert. Doch auch diese informellen Aussagen erhalten neuerdings verbindlichen Charakter: Das revidierte Raumplanungsgesetz verlangt, die kantonalen Raumkonzepte durch das ARE genehmigen zu lassen.

Der Bund begnügt sich aber nicht mit Aufsichtspflichten; nachhaltige Raumnutzungsmodelle werden auch aktiv unterstützt. 33 Gemeinden und Regionen erhalten bis 2018 eine Grundfinanzierung, weil sie eine innovative Entwicklungsmethode für das ARE-Förderprogramm «Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung» erproben. Auch die Region Morges nimmt daran teil, um die Verluste von Kulturland zu stoppen. Im Fokus steht aber nicht ihre mittelalterlich dichte Wohnvision, sondern ein gemeindeübergreifendes Koordinieren von Gewerbe- und Industriezonen.

Aber für die Genferseeregion und auch anderswo gilt vorderhand: Das föderalistisch organisierte Raumplanungssystem der Schweiz funktioniert träge und ist per se im Verzug. Der Vollzug der neuen Vorgaben läuft auf Ebene Bund, Kanton und Gemeinde erst an. Die Momentaufnahme zeigt richtige Ansätze zur nachhaltigen Raumentwicklung. Doch immer noch wirken alte Kräfte: Während der Lektüre dieses Texts, inklusive Kaffeepause, ist die unbebaute Schweiz um weitere fünf Tennisplätze geschrumpft. 

Anmerkung
1 Bauzonen Schweiz: Wie viele Bauzonen braucht die Schweiz? Bundesamt für Raumentwicklung 2008.


Was will das RPG?

2013 wurde die Revision des Raumplanungsgesetzes in einer nationalen Volksabstimmung gutgeheissen. Seit 1. Mai 2014 ist die erste Umsetzungsetappe im Gang. Damit sollen überdimensionierte Bauzonen reduziert und Neueinzonungen nur noch zulässig sein, wenn die bestehenden Nutzungsreserven im Siedlungsbereich nicht ausreichen. Das Zuweisen zur Bauzone wird zudem stärker von raumplanerischen Kriterien wie zentrale Lage und gute Erschliessung abhängig gemacht. Zugleich müssen die Kantone aktiv dafür sorgen, dass eingezontes Bauland tatsächlich überbaut wird.

Sur ce sujet