«Das ganze Pro­jekt ist ein Ex­pe­ri­ment»

Sicht der Planungsverantwortlichen

Die WerkBundStadt wird in einem dialogischen Verfahren entwickelt. Paul Kahlfeldt, Vorsitzender des Deutschen Werkbunds und Mitverantwortlicher des Projekts, erläutert diesen ungewöhnlichen Weg und die nächsten Schritte in der Planung.

Date de publication
19-01-2017
Revision
20-01-2017

TEC21: Herr Kahlfeldt, wie lang geht die Geschichte dieser WerkBundStadt zurück?
Paul Kahlfeldt: Die ersten Ideen im Werkbund Berlin, sich zu aktuellen Fragen der Stadt und der Wohnungen zu positionieren, entstanden schon 2004/2005 anlässlich der Vorbereitung zu «100 Jahre Werkbund». Als dann der bayerische Werkbund eine Werkbundsiedlung plante, haben wir das erst einmal aufgegeben. Da dieses Vorhaben aber scheiterte, haben wir die Gründe dafür analysiert, um diese Probleme zu umgehen.

TEC21: In welcher Form haben Sie darauf reagiert?
Paul Kahlfeldt: Uns wurde bewusst, dass es ein kleines Entscheidungsteam braucht und keine unkontrollierbaren Eingriffe von aussen stattfinden dürfen. Wir haben daher einen privaten Grundstückseigentümer mit einem geeigneten Areal gesucht. Alle Massnahmen sollen ohne staatliche Förderung erfolgen – die gesetzlichen Vorgaben für den geförderten Wohnungsbau sind in Deutschland äusserst restriktiv –, und sämtliche Verfahren sollen ebenfalls nur von uns gesteuert werden. Daher haben wir keinen Wett­bewerb ausgelobt. Zudem wurden die politischen Entscheidungsträger und Interessenvertretungen vom ersten Tag an eingebunden, um alle Prozesse so transparent wie möglich zu gestalten. Letztlich versuchen wir, die gesamten Projektkosten sofort zu benennen, um schon früh grösstmögliche Transparenz zu erreichen.

TEC21: Wie kam es dann zu dem Projekt WerkBundStadt?
Paul Kahlfeldt: Konkret ist die WerkBundStadt Teil einer Untersuchung zur «Moderne» in der heutigen Zeit. Das Konzept entstand 2012/2013 zuerst ohne genaue Idee zu dem Projekt. Wir haben dann als Beitrag des Deutschen Werkbunds für die Architekturbiennale 2014 in Venedig das Thema «This is modern» herausgegeben und mit Architekten zum Deutschen Pavillon gearbeitet. Danach entstand als Resümee die Idee ­ der WerkBundStadt: die konkrete Umsetzung eines Konzepts zum Wohnen in der Grossstadt. Auch stand anfangs die Idee im Raum, anlässlich des 2019 stattfindenden Jubiläums «100 Jahre Bauhaus» den Werkbund wieder stärker zu positionieren und aus der musealen Betrachtung herauszuführen. Salopp formuliert: «Schaut euch das Bauhaus an – die Aus­bildungsabteilung des Deutschen Werkbunds. Es existierte nur ein paar Jahre und wird sentimental bis heute gefeiert, alles retro! Aber den Werkbund gibt es noch, und der zeigt ein reales Vorhaben.» Leider dauern die Planungsprozesse doch etwas länger als angenommen, und wir werden die WerkBundStadt wohl erst 2021 fertiggestellt haben.
 
TEC21: Sie haben ein kooperatives Konzeptions-, Entwurfs- und Planungsverfahren gewählt – und keinen ­Wettbewerb. Dieser Weg ist eher ungewöhnlich. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Paul Kahlfeldt: Eigentlich ist ein Wettbewerb kein ideales Instrument zur Qualitätsfindung in der Architektur. Eine Jury – oft falsch besetzt – entscheidet an einem oder zwei Tagen hektisch und einigt sich auf einen Konsens oder Kompromiss, somit fast immer auf Mittelmass. Mies van der Rohe hat bis auf das späte, nicht realisierte Mannheim-Projekt keinen Wettbewerb gewonnen, alle bekannten und guten Gebäude waren Direktaufträge. Auch die berühmte Weissenhofsiedlung in Stuttgart ist nicht aus einem Wett­bewerb entstanden. Mies hat die Teilnehmer nach klaren Kriterien ausgewählt. Alle Werkbundsiedlungen sind nicht Ergebnis eines Wettbewerbs, sondern direkt beauftragt. So haben wir auch die Teilnehmer nach verschiedensten Aspekten ausgesucht und angefragt. Nicht alle Wunscharchitekten haben zugesagt, aber wir haben einen bewusst an Qualität arbeitenden Kreis zusammengestellt, nicht eine stilistische Verbindung, sondern Büros mit Erfahrung im Wohnungsbau und in der Stadtbaukunst.

TEC21: Die Projekte des Werkbunds entstanden immer vor einem ideellen Hintergrund. Welchen Beitrag liefert hier die WerkBundStadt?
Paul Kahlfeldt: Die ganze WerkBundStadt ist ideell entstanden. Wir wollen einen Diskussionsbeitrag zur Frage des heutigen, modernen Städtebaus liefern und uns der Herausforderung nach heutiger Modernität stellen. Es ist sehr spannend zu sehen, dass ein Teil der architektonischen Kritik bemängelt, dass wir heute nicht mehr weisse Kisten mit Flachdächern auf eine Wiese stellen. Eine andere Kritik bemängelt das vermeintliche Fehlen von Experimenten. Das macht mich nachdenklich, denn natürlich ist das ganze Projekt ein Experiment. Warum muss man jedes Jahr eine neue Betonmischung erdenken oder krampfhaft funktionierende Grundrisslösungen infrage stellen? Wir wollen aus den Erfahrungen und Erkenntnissen der letzten 100 Jahre lernen und nicht in die Falle oberflächlicher Innovations- und Nachhaltigkeits­floskeln tappen. Heute ist vermutlich das «Normale» das «Besondere»: unspektakulär, nützlich, nachhaltig und auch «schön».

TEC21: In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Bearbeitungszeit liegt ein beeindruckender Zwischenstand vor. Wie und in welcher Form möchten Sie die Wohnungen und Stadträume dieser WerkBundStadt weiterentwickeln?
Paul Kahlfeldt: Wir wollen das Projekt kontinuierlich weiterbearbeiten. Es kommen jetzt die Fachplaner dazu. Dann erstellen wir zusammen mit Entscheidungs­trägern aus der Politik, den städtischen Behörden und Anwohnern den Bebauungsplan. Dafür wird der vorliegende Vorentwurf weiter konkretisiert, um ­möglichst in zwei Jahren mit dem Bauen beginnen ­zu können. Es gibt noch einige planungsrechtliche Hürden zu nehmen. Besondere Aspekte des Lärmschutzes sind wegen des benachbarten Kraftwerks in den Bebauungsplan zu integrieren. Viele Juristen diskutieren die beste Lösung. Der städtebauliche Rahmenplan wird Anfang 2017 überarbeitet werden, und die Ergebnisse fliessen dann in den Bebauungsplan ein. Dieser wird keine Baukörperfestsetzungen vorsehen, um spätere Modifikationen beim Entwurf der Fassaden und Gebäude zu ermöglichen. Wir diskutieren dann sicherlich noch das Mass der Freiheit der Gebäude und deren mögliche Anpassungen an eine einheitliche Haltung. Das wird noch ein spannender Dialog werden. Auch die Grundrisse sind noch nicht in Stein gemeisselt. Sobald die Bauherren der einzelnen Parzellen ermittelt sind, werden wir deren Interessen berücksichtigen. Die Vielfalt an Wohnungsgrössen und Art der Nutzungen werden wir konkretisieren. Neben der Mischung ist der lang­fristige Erhalt der Flexibilität von grosser Bedeutung.

TEC21: Im Hinblick auf die Realisierung ist die Investorenfrage essenziell. Wie waren diese bislang in das Verfahren eingebunden? Wie wollen Sie zusammen mit den Investoren und der Vielzahl an Architekten die WerkBundStadt weiterentwickeln?
Paul Kahlfeldt: Die Grundstückseigentümer waren von Anfang an dabei. Die erste «Grundfinanzierung» der WerkBundStadt übernahmen die Besitzer des Tank­lagers. Jetzt erarbeiten wir ein Bauherrenkonzept zur Realisierung. Die Idee ist, dass am Schluss jede Parzelle oder jedes Haus einem Eigentümer gehört: von Baugenossenschaften bis zum privaten Eigennutzer. Wenn wir das durchhalten können, wäre es ideal. Dafür gründen wir eine WerkBundStadt-Realisierungsgesellschaft, in der alle Entscheider vertreten sind und das Areal übernehmen. Weiter wird es eine Planungsgesellschaft geben, in der die Architekten vertreten sind und gemeinsam planen. Diese Konstellation verspricht eine effiziente Struktur.

TEC21: Wo stehen Sie jetzt gerade, und welche Schritte wollen Sie als Nächstes angehen?
Paul Kahlfeldt: Augenblicklich sprechen wir mit geeigneten Institutionen, um die finanziellen Mittel für die nächsten Planungsstufen bereitstellen zu können. Im kommenden Jahr soll dann mit dem Abbau der Tankanlagen begonnen werden. Im Anschluss er­folgen die Bodenuntersuchungen, um die Gründung festzulegen. Verunreinigungen aus dem Tankbetrieb sind glücklicherweise nicht zu erwarten. Parallel werden wir ein Verkehrsgutachten erstellen lassen, um die Fragen der Mobilität, Erschliessung und des ruhenden Verkehrs zu erörtern. Das bildet die Grundlage für die Vorplanung der einzelnen Häuser. Die Architekten werden dann in kleineren Teams die übergreifenden Themen der Dachflächen als öffentliche Freiflächen bearbeiten, und gemeinsam wollen wir kritisch untersuchen, welche Angleichungen in der Gestaltung der Gebäude möglich und notwendig sind. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat den Entwurf zur WerkBundStadt in vorbildlicher Weise planungsrechtlich durchleuchtet und in einem umfangreichen «Stresstest» einige städtebauliche Schwachstellen definiert. Diese werden gemeinsam mit dem Stadtplanungsamt diskutiert. Im Ergebnis soll im nächsten Jahr eine konkrete Vorplanung vorgestellt werden.

TEC21: Wie wird die Öffentlichkeit weiter in diesen Prozess eingebunden sein?
Paul Kahlfeldt: Ziel ist eine kontinuierliche Information und Einbindung der Öffentlichkeit in alle Verfahrensschritte und Entwurfsstände. Eine kritische Debatte zu allen Aspekten sehen wir als Qualitätssicherung im Rahmen der Realisierung der WerkBundStadt. Darüber hinaus wollen wir mit den Unternehmenspartnern die Zusammenarbeit ausbauen. Es sollen 2017 im WerkBundHaus Musterwohnungen realisiert werden, und durch das Zusammenwirken von Produktgestaltern, Architekten, Herstellern und Ver­arbeitern werden konkrete Lösungen präsentiert und erprobt. Die Erkenntnisse sollen in die Planung einfliessen. Ausstellungen, Tagungen und Vorträge im WerkBundHaus werden das Verfahren begleiten.
 

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