Technische Innovation geschickt verpackt
Die gelungene Verbindung von Konstruktion, Gestaltung und Technik hat aus zwei Hochhäusern aus den 1970er-Jahren eine Wohnmaschine im besten Sinn gemacht. Die neue Aussenhülle mit integrierten Photovoltaikmodulen deckt rund 30 % des Strombedarfs der über 150 Wohnungen. Gleichzeitig ermöglicht sie eine zeitgemässe Raumkonzeption im Innern. Gegen aussen ist ein wechselhaftes Fassadenbild entstanden, das den ursprünglichen Charakter der Häuser in Sichtbeton neu interpretiert.
Die beiden 60 m hohen Wohnhochhäuser der Baugenossenschaft Zurlinden in Zürich Leimbach sind mit ihren 17 und 19 Stockwerken weitherum sichtbar. Auf Stadtzürcher Boden gelegen, bilden sie eine Art visuelle Marke auf dem Weg ins Sihltal. Die 1976 und 1978 in Sichtbeton erbauten Türme sind typische Vertreter einer Bauweise, bei der die Dämmung der Aussenhülle (noch) keine oder nur eine minime Rolle spielte: Sie waren bis auf eine dünne Korkschicht auf der Innenseite der Sichtbetonwände praktisch ungedämmt.
Die 2000-Watt-Gesellschaft als Leitlinie für die Erneuerung war deshalb eine der Vorgaben der Bauherrschaft, die sich als Schrittmacherin im zukunftsorientierten Wohnungsbau versteht. Mit dem ebenfalls der 2000-Watt-Gesellschaft verpflichteten, sechsgeschossigen Holzbau an der Badenerstrasse in Zürich Albisrieden hat sie dies bereits unter Beweis gestellt. Weitere Neubauprojekte mit ähnlichen Zielsetzungen sind in Planung oder im Bau.
Ebenso wichtig wie eine nachhaltige Bauweise ist dabei der Anspruch auf eine qualitativ hochstehende Architektur. Das galt auch für die Erneuerung der beiden Wohngebäude Sihlweid. Zusätzlich bestand der Wunsch der Bauherrschaft, die Sanierung der Häuser in bewohntem Zustand durchzuführen. Bei 167 Wohnungen bedingt dies eine sehr gut organisierte Baulogistik, das genaue Einhalten der Termine sowie eine umfassende und frühzeitige Information der betroffenen Mieterinnen und Mieter.
Die verantwortlichen Architekten Harder Haas Partner AG als Gesamtplaner und Bauleiter gingen noch einen Schritt weiter und entwickelten ein architektonisches Konzept, das neben der Energieeffizienz und einer dem Baubestand adäquaten Formensprache konstruktive Lösungen vorschlug, die die bewohnten Räume möglichst wenig tangierten.
Individuelle Lösung mit Standardmodulen
Die Hülle, die die beiden Wohntürme neu umgibt, ist ein kleines Kraftwerk. Denn in die vorgehängte Metallfassade sind gegen alle vier Himmelsrichtungen Photovoltaikmodule mit amorphen Solarzellen eingelassen. Damit macht das Gebäude seinen Beitrag zur 2000-Watt-Gesellschaft sichtbar. Durch die Art der Konstruktion allerdings erst auf den zweiten Blick: Im Zusammenspiel mit den speziell für die Fassade angefertigten, stranggepressten Profilen in hellem Aluminium, die die standardmässig produzierten Module fassen, wirken die dunklen Elemente mit den integrierten Solarzellen je nach Lichteinfall wie ein herkömmliches Plattenmaterial.
Erst wenn man direkt vor der Fassade steht, erkennt man die technische Innovation, die sich dahinter verbirgt. Dadurch, dass die Module im Bereich der Brüstung quer und zwischen den Fenstern hochformatig angeordnet sind, entsteht über den Verlauf der Fassade ein Muster. Dieses erhält durch die in der Ebene zurückversetzten Bleche zwischen den einzelnen Modulen, die der Revision dienen, eine zusätzliche Tiefe. Die ebenfalls in eloxiertem Aluminium gehaltenen Balkonbrüstungen mit schräg gestellten Blechen, die Schutz und Durchlässigkeit gleichzeitig bieten, korrespondieren mit den leicht schräg gestellten Revisionsblechen.
Dass die Aluminiumteile der Fassade in zwei leicht unterschiedlichen Farbtönen eloxiert wurden, erkennt man nur, weil man es vom Architekten erfahren hat. Das Detail zeigt aber dennoch die gestalterische und konstruktive Sorgfalt, die hinter dem neuen Kleid der beiden Häuser steckt. Das Resultat ist eine Fassade, die je nach Lichteinfall und Blickwinkel mit der Umgebung in Verbindung tritt, sich von ihr abgrenzt oder manchmal sogar ganz aufzulösen scheint. Gleichzeitig ist der horizontal und vertikal strukturierte Charakter der beiden Häuser in rohem Beton hinter der völlig neuen Aussenhaut spürbar geblieben.
Raum gewonnen
Nicht zu vergessen ist dabei die technische Leistung der Fassade: Die Solarzellen liefern rund ein Drittel des Strombedarfs der Wohnungen – dank der Ausrichtung auf alle vier Seiten gleichmässig über den Tag verteilt. An der Nordfassade, die 13 % des Ertrags liefert, kamen Silizium-Dünnschichtmodule zum Einsatz; diese sind für tiefe Einstrahlungswerte und damit für Stellen mit ungünstier Exposition besonders geeignet; zudem erleiden sie durch die Erwärmung keine Leistungseinbusse.
Mit allen umgesetzten Massnahmen konnte der Heizwärmebedarf der beiden Häuser nach der Erneuerung um 83 % gesenkt werden, dies bei einer Zunahme der Nettowohnfläche von insgesamt 16 %. Denn nachhaltig ist die realisierte Lösung nicht nur in Bezug auf den Energieverbrauch: Im Innern wurde im Zusammenhang mit der neu gestalteten äusseren Schicht eine Anpassung der Grundrisse möglich. Die Architekten schoben die Balkone, die ehemals an den vier Ecken der Gebäude lagen, in die Mitte der Fassadenflächen: So entstand die Chance, die meisten Wohnungen um rund 18 m2 zu vergrössern.
Neu liegen die grosszügigen Küchen dort, wo früher die Balkone waren. Zusammen mit dem angrenzenden Wohnzimmer und dem zusätzlichen Raum anstelle der alten Küche ist ein Raumgefüge entstanden, das sich je nach individueller Situation flexibel gestalten lässt. Der Blick von der Wohnküche geht über Eck ins Freie, je nach Ausrichtung und Lage der Wohnung Richtung Alpen oder Stadt Zürich.
Überdies hatte die gewählte Lösung beim Bau einen entscheidenden Vorteil: Die Wohnungen konnten von aussen mit den neuen Küchen ergänzt werden, ohne die Mieter allzu stark zu behelligen. Die übrigen Räume wurden sanft erneuert, frei nach dem Motto: so viel wie notwendig, so wenig wie möglich. Dies betraf vor allem die Badezimmer und je nach Bedarf auch die Bodenbeläge. Damit konnten die Preisanstiege der Mietwohnungen in einem erträglichen Rahmen gehalten werden: Die monatliche Miete für eine grosse 4 ½-Zimmer-Wohnung liegt heute bei 2500 Franken.
Bauprojekt: Wohnhochhäuser Sihlweid, Zürich
Baujahr: 1972, Umbau 2012–2013
Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft
Baugenossenschaft Zurlinden, Zürich
Architektur
Harder Haas Partner AG, Eglisau ZH
Tragkonstruktion
Henauer Gugler AG, Zürich
HLKS-Planung
RMB Eningeering AG, Zürich
Nachhaltigkeit
Architekturbüro H. R. Preisig, Zürich
Bauphysik
Mühlebach Partner AG, Wiesendangen ZH
Elektroplanung
Kälin & Müller AG, Zürich
Fensterplaner
Fentech AG, St. Gallen
Technische Angaben
Energiebedarf vor dem Umbau
Heizung 83.3 kWh/m2a
Warmwasser 19.4 kWh/m2a
Lüftung, Beleuchtung,
Betriebseinrichtungen 20.5 kWh/m2a
Primärenergie nicht erneuerbar (Betrieb): 183.3 kWh/m2a
Treibhausgasemissionen (Betrieb): 30.2 kg/m2a
Energiebedarf nach dem Umbau
Heizung: 13.6 kWh/m2a
Warmwasser: 13.9 kWh/m2a
Lüftung, Beleuchtung, Betriebseinrichtungen: 14.1 kWh/m2a
Primärenergie nicht erneuerbar (Betrieb): 35 kWh/m2a
Treibhausgasemissionen (Betrieb): 3.1 kg/m2a
Eigen-Energieversorgung
Photovoltaik-Fassade (1235 m2 Silizium-Dünnschichtmodule): 45 000 kWh/a
Gesamtproduktion: 45 000 kWh/a
Auszeichnungen
Schweizerischer Genossenschaftspreis; Auszeichnung Stadt ZH «Nachhaltig Sanieren»
Zertifizierung
2000-Watt-kompatibel nach SIA-Effizienzpfad Energie SIA 2040