«Die Na­tur vor sich sel­ber schüt­zen»

Am Seeufer von Brunnen in der Gemeinde Ingenbohl wird geplant und gebaut. Die Projektbeteiligten tauschen sich aus über Ansprüche, die sie zu erfüllen, und über Interessen, die sie zu vertreten haben. Wo waren und sind die Hürden, was wünscht man sich am Seeufer, und was ist unmöglich zu realisieren?

Date de publication
22-11-2018
Revision
22-11-2018

TEC21: Sie haben am Seeufer des siedlungsdichten Raums von Brunnen gebaut (vgl. «Die Promenade am See»), und Sie planen bauliche Aufwertungsmassnahmen rund um ein benachbartes Naturschutz­gebiet, das Flachmoor Hopfräben (vgl. «Ein schmaler Pfad für mehr Natur»). Zwei sehr gegensätzliche Gebiete am Seeufer mit unterschiedlichen Anforderungen an die Eingriffskonzepte. Ohne ins Detail zu gehen, ist ihnen aber ein langjähriger Planungs­prozess gemeinsam.
Albert Auf der Maur: Das ist in der Tat so. Verbauungen am Seeufer dauern lang – in unserem Fall dauert die Planung bereits Jahrzehnte. Die erste Etappe in Brunnen ist nun aber umgesetzt. Beim Hopfräben sind wir noch in der Planung.
Beat Schuler: Kernelement ist der Zugang zum Wasser. Insgesamt sollen beide Orte an Attraktivität gewinnen und trotzdem den Sicherheits- und ökologischen Anforderungen entsprechen.
Richard Staubli: Wir sind oft bei Seeufer­planungen involviert und bemerken, dass nicht unbedingt der schlechte Zustand beispielsweise von ­Hafenmauern der Auslöser für eine Erneuerung ist, sondern im Siedlungsgebiet vielmehr der Nutzungs­druck durch die Bevölkerung. Um 1900 baute man an vielen städtischen Uferbereichen Prome­naden rund 2 m über dem Seespiegel. Man flanier­te, hatte aber keinen eigentlichen Bezug zum Wasser. Heute wird gerade dieser Punkt zum Thema. Die Be­völkerung möchte näher ans Wasser. Nicht nur an Seen, auch an Flüssen. Die Uferanlagen sind an schönen Tagen teilweise so rege genutzt, dass man sie erweitern und attraktiver gestalten möchte. Bei einem Eingriff ist man mit den bestehenden, 50 bis 100 Jahre alten Strukturen konfrontiert und ent­sprechend mit den Werten, die es zu erhalten gilt. Andererseits ist ein Grossteil der See- und Fluss­ufer in der Schweiz künstlich verbaut, und man ist bestrebt, solche Uferzonen wo möglich zu renaturieren.

TEC21: Steht die Zugänglichkeit zum Wasser denn nicht im Widerspruch zu Sicherheitsfragen?
Albert Auf der Maur: Das war in der Tat der grosse Dis­kussionspunkt für die lokale Bevölkerung. Die Ufer­promenade ist exponiert. Ein Föhnsturm am Quai bedeutet, alle Kursschiffe ­fahren in den Föhn­hafen, und die Wellen schwappen bis über die Kantons­strasse. Baumstämme und Holz werden in Massen an­geschwemmt. Die erste Erneuerungs­etappe der Ufer­zone im Siedlungsbereich von Brunnen aber schafft Zugänglichkeit und ist sicher zugleich. Die Sicher­heit von früher ist auch heute noch gewährleistet.
Richard Staubli: Es gibt verschiedene Arten von Sicherheit. Für den Ingenieur ist gewiss die Tragsicherheit der Bauwerke wichtig. Im Wasser sind Bauwerke über längere Zeiträume wenig belastet, doch plötzlich treten bei Sturm Spitzenbelastungen auf. Das Bauwerk sollte auf die­se Extreme ausgelegt sein und ­keinen Schaden nehmen. Welche Wellen kom­men mit welcher Jährlichkeit aus welcher Richtung? Wenn wir das Bauwerk entsprechend dimensionieren, müssen wir unter Umständen relativ harte Verbau­ungen einplanen. Das steht aber mit ökologischen As­pekten im Konflikt – insbesondere in einem ökologisch wertvollen Raum wie den Uferzonen. Zudem gilt es die Sicherheit der Bevölkerung zu beachten. Wie na­h darf der Mensch – insbesondere das Kind – ans Wasser? Braucht es ein Geländer? Die politische Behörde muss die verschiedenen Ansprüche abwägen und entscheiden, welche Risiken sie übernehmen kann.
Stephanie Matthias: Speziell die Frage, ob es ein Geländer benötigt, ist individuell zu beurteilen. Bei Rampenabgängen gewährleistet dieses die Absturzsicherheit. An der Uferkante von Brunnen ist die ­­Absturzhöhe allerdings so gering, dass man sich bewusst gegen ein Geländer entschieden hat.

TEC21: Wie werden die ökologischen Aspekte berücksichtigt?
Kuno von Wattenwyl: Die Fischereigesetzgebung ist besorgt um Fisch, Krebs und Fischnährtiere – also alles, was Fische fressen – und um deren Lebens­raum. Bei Verbauungen und auch bei der ­Neugestaltung von Verbauungen fordert sie eine ökologische Verbesserung dieses Lebensraums. Dabei weiss man: Kiesstrände oder Flachuferzonen, even­tuell mit Schilf bepflanzt, sind ökologisch viel wert­voller als ein harter Abschluss durch eine Mauer. Meine erste As­­so­ziation zum gestalterischen Plan, das Wasser am Ufer von Brunnen erlebbar zu machen, war daher ein Kies­strand. Man kann direkt ans Wasser gehen, sieht vielleicht einen Fisch, kann Steine ins Wasser werfen, zugleich wird aber auch der Fisch­lebensraum aufgewertet. Doch diese vielleicht naive Vorstellung stiess auf ­Widerstand. Daher war zu ­verhandeln, welche Aufwertungsmassnahmen den ökologischen Zustand tatsächlich verbessern können.

TEC21: Welche Aufwertungsmassnahmen sind das?
Kuno von Wattenwyl: Grundsätzlich können das unterschiedliche Massnahmen sein. Sie reichen vom totalen Rückbau der Ufermauer über die Schaffung neuer Laichplätze und einer neuen Uferbestockung bis zum Anlegen einzelner Fischunterstände. In Brunnen hat man sich für eine Treppe entschieden, die ins Wasser reicht und hohl ist. Der Hohlraum – ein ­Fischunterstand – ist für aquatische Lebewesen erreichbar. Das ist aber eine Kompromisslösung, weil damit der vorhandene aquatische Lebensraum nur minimal aufgewertet wird.
Richard Staubli: Die Schüttung eines grossflächigen Flachstrands wäre aufgrund des steil abfallenden Seegrunds nicht möglich gewesen, ohne die Stabilität des Geländes zu beeinträchtigen. Uferzonen in städtischen Gebieten bergen diesen typischen Konflikt zwischen verschiedensten Interessen. Einerseits haben wir den Menschen, der das Gebiet nutzen möchte und mit seinen Verbauungen und Nutzungen die Ökologie stört. Andererseits sollen wir die Öko­logie verbessern.
Stephanie Matthias: Auch an die Schifffahrt mussten wir denken. So wollte man auf keinen Fall badende Gäste in der Nähe des Anlegestegs. Ein Badeverbot ist aber schwierig umzusetzen, wenn der Strand zum Baden einlädt. Eine Badestelle ist nun etwas ausserhalb der Quaizone, im Umfeld des Naturschutzgebiets Hopf­räben, vorgesehen.
Kuno von Wattenwyl: Ein Knackpunkt ist auch, dass Flachuferverbauungen mehr Platz an Land ­benötigen. Und dieser war beim vorliegenden Projekt schlicht nicht vorhanden.

TEC21: Auf welche Variante konnte man sich einigen?
Kuno von Wattenwyl: Für die harte Verbauung im Siedlungsraum bediente man sich eines Kunst­griffs: Dem Projekt wurde eine nahe gelegene­ Aufwertungsmassnahme am See zugeschlagen. In der Bewilligungspraxis ist es nicht verboten, Aus­­gleichsmassnahmen ausserhalb des eigentlichen Projektperi­meters umzusetzen. Allerdings ist eine naturräumli­che Nähe zum Projekt sinnstiftender als eine weit entfernte Ausgleichsmassnahme.

TEC21: Oft wirken ökologische Massnahmen aufgesetzt ­beziehungsweise kommen zu einem späten Zeitpunkt hinzu. Sind sie denn nicht gestalterisch in die Architekturplanung eingebunden?
Richard Staubli: Bei Projekten dieser Grössenordnung werden Wettbewerbe für Architektur oder Landschaftsarchitektur durchgeführt. Im Siedlungsgebiet sind es städtebauliche und architektonische Überlegungen, die zur Gestaltung führen; das Projekt basiert weniger oder kaum auf ökologischen Aspekten. Erst nachträglich beginnt man örtliche Massnahmen wie Fischnischen oder Blocksteine anzuordnen. Der gestalterische Spielraum für solche späteren Einzelmassnahmen im Gesamtkonzept ist klein. Hier müss­te man ansetzen und die ökologischen Gesichtspunkte bereits frühzeitig in den Wettbewerb einbringen.
Kuno von Wattenwyl: Entwickelt man ein technisches Bauwerk und baut am Schluss die Ökologie ein, die ebenso notwendig ist, dann sieht das Projekt aus ökologischer Sicht ganz anders aus, als wenn man es als Ökologieprojekt beginnt und nachher die Hochwassersicherheit einbaut. Es war hier kein wirkliches Ökologie-, Renaturierungs- oder – was es eigentlich hätte sein sollen – Revitalisierungsprojekt.
Sandro Betschart: Aus Sicht des Gewässerschutzes war der erweiterte Perimeter durchaus ­zweckerfüllend. Denn es ist schwierig, den Raum in städtischen Gebieten so aufzuwerten, dass er der Natur stark dient. Es liegt an uns Verantwortlichen, sich auf einen Kompromiss einzulassen und zu ­schauen, wo es sich lohnt zu kämpfen. Die Seeufer­verbauungen im Zentrum von Brunnen und im ­naturnahen Gebiet Hopfräben bilden daher sich gut ergänzende Gegensätze.
Albert Auf der Maur: Diese Kombination wurde auch möglich, weil Gemeinde und Kanton eng zusammengearbeitet haben.
Stephanie Matthias: Allerdings war es Zufall, dass die jahrzehntelangen und aufwendigen Planungspro­zesse der beiden an und für sich getrennten Projekte zeitlich schliesslich zusammengefallen sind.

TEC21: Die Uferverbauung beim Flachmoor Hopfräben ist erst noch in Planung.
Stephanie Matthias: Das Projekt nahm seinen Anfang vor 40 Jahren. Wie die Uferzone in Brunnen ist auch die Landzunge vor dem Hopfräben künstlich aufgeschüttet worden. Dieses Gebiet war immer ein beliebter Rückzugsort für die Bevölkerung. Nun ist ­ge­plant, dass knapp 100 m des öffentlich zugänglichen Damms zurückgebaut werden, um das geschützte Flachmoor mit dem offenen Gewässer aquatisch wieder zu vernetzen. Für die Bevölkerung sollen Badebuchten erstellt werden, und zudem wird eine grössere Liegewiese geschaffen. Mit einer konsequenten Besucherlenkung trennt man Naturschutzgebiet und öffentliche Nutzung.
Albert Auf der Maur: Aber Nachbarn und Schutz­organisationen werden Einsprachen machen.
Stephanie Matthias: Wir führen bereits Einigungs­gespräche. Die Interessen des Menschen und der Ökologie widersprechen sich: Camping, Erschliessung der Ufer, Kieswerk, Kiesgewinnung bei der Muotamün­dung, Flachmoor und so weiter. Der bereits in Kraft gesetzte Teilzonenplan hilft, die Interessen gegeneinander abzuwägen. Zusammen mit dem Nutzungsplan und der Schutzverordnung ist es dieser Abwägung und einer guten Kommunikation zu verdanken, dass wir das Projekt überhaupt umsetzen können.

TEC21: Kann man trotz der künstlichen Verbauung an ­beiden Orten von guten ökologischen Beispielen ­sprechen?
Sandro Betschart: Durchaus. Wir haben die Situa­tion sicher nicht verschlechtert. Der Dialog fand statt, und die unterschiedlichen Disziplinen haben sich ausgetauscht. Früh miteinander reden heisst früh selber denken und eruieren, wie man die einzelnen Fach­aspekte in das Projekt konstruktiv einbinden kann.
Richard Staubli: Auch in der naturnahen Zone müssen wir verhindern, dass das Ufer durch Wellen weg­erodiert wird. Aus Sicht der Wellenbelastung finden wir beim Hopfräben eine ähnliche Ausgangslage vor wie am Quai von Brunnen. Es handelt sich um eine exponierte Lage mit einer starken Wellenbelastung bei Sturm. Aber während wir bei der Seeufer­gestaltung in Brunnen eine harte Kante dagegen ­setzen, nutzen wir im Hopfräben weichere und naturnähere Mittel. Mit einem vorgelagerten Riff werden ein Teil der Wellenenergie vernichtet und die Ufer­zone geschützt.
Kuno von Wattenwyl: Es ist eine schizophrene ­Situation. Man schützt die Natur vor sich selber, weil man sie vorher so eingeengt hat, dass sie sich nicht mehr ausbreiten kann. Wir haben der Natur die Dynamik weggenommen.

TEC21: Wie stehen die Erfolgsaussichten?
Kuno von Wattenwyl: Ob es ein Erfolg wird, ist gar nicht so einfach zu sagen. Beim Hopfräben besteht die Möglichkeit einer Erfolgskontrolle. Bei der Verbau­ung im Zentrum von Brunnen gibt es weder Vor- noch Nachaufnahmen – das war damals noch nicht not­wen­dig. Es wäre mir für weitere Projekte ein wichtiges Anliegen, dass das Ziel der ökologischen Aufwertung definiert wird. Dazu gehören entsprechende Massnahmen und messbare Indikatoren. Bei Aufwertungen ist es wichtig, kleine Strukturen für die Flora und Fauna zu schaffen.
Richard Staubli: Wir Ingenieure verfassen für unsere Projekte jeweils eine Nutzungsvereinbarung. Darin ist zum Beispiel festgehalten, wie weit das Seeufer erodieren darf. Auch in der Ökologie sind solche klaren Zielvereinbarungen wichtig; sie sollten dann mit einem Monitoring überprüft werden.

Das Interview führten Clementine Hegner-van Rooden und Paul Knüsel.

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