Pon­tre­sina zähmt sei­nen Haus­berg

Die Bedrohung durch Lawinen am Schafberg ist altbekannt. Seit 130 Jahren schützen zahlreiche Kunstbauten das Engadiner Dorf. Doch nun führt die Klimaerwärmung zu neuen Risiken. Mächtige Schutzdämme sollen Murgänge aufhalten, die das Siedlungsgebiet bedrohen.

Date de publication
06-02-2020

Am 16. Februar 2000 bewilligten die Stimmberechtigten von Pontresna einen Kredit in Millionenhöhe für den Bau eines Auffangdamms oberhalb des Dorfes. Umfangreiche Abklärungen am Schafberg ergaben zuvor, dass eine Erwärmung des Permafrosts ein beträchtliches Risiko für Pontresina darstellt. Taut der Boden in tieferen Schichten auf, könnte es zusammen mit Starkniederschlägen zu gewaltigen Materialverfrachtungen kommen. Das Schadenpotenzial aufgrund von Murgängen und Lawinen bezifferte man auf rund 250 Mio. Franken.

Das 2003 fertig erstellte Bauwerk kostete knapp 8.2 Mio. Franken. Die Dämme können entweder bis zu 240'000 m3 Lawinenschnee oder 100'000 m3 Murgangmaterial auffangen. Letzteres entspricht gemäss der Einschätzung von Fachleuten einem sehr seltenen Ereignis.

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden mit dem aufblühenden Alpentourismus viele neue Hotels. Auch Pontresina dehnte sich aus. Die neuen Gebäude kamen in den freien Stellen zwischen den alten Häusergruppen zu stehen. Leider auch an Orten, die nicht so sicher waren, wie man alsbald erkennen musste. Bereits um 1890 wurden deshalb am Hang oberhalb des Dorfes die ersten Lawinenschutzmauern aus aufgeschichteten Steinen erstellt, finanziert durch einen Hotelier, der auch im Winter Gäste beherbergen wollte. Wenig später startete das erste eigentliche Schutzprojekt mit mehreren Bauphasen. Bis 1914 entstanden 434 Trockensteinmauern mit einer Länge von 8,8 km. Heute sind es insgesamt 12,5 km.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind am Schafberg nur noch wenige Steinmauern erstellt worden. Man erkannte, dass ihre Wirkung ungenügend ist. «Steinmauern vermögen die Schneemassen nur bis zu einem Ereignis, das alle 10 bis 30 Jahre auftritt, zurückzuhalten», sagt Gian Cla Feuerstein, der Leiter des Amts für Wald und Naturgefahren Südbünden. Deshalb setzte man auf gegliederte Stützbauwerke, ab 1952 auf Schneebrücken aus vorgespanntem Beton.

Die Betonwerke sind dem rauen alpinen Klima jedoch nicht gewachsen. Steinschlag führte zu Rissen, Wasser drang in die Betonelemente ein, worauf Korrosion einsetzte. Die ursprünglich knapp 1,6 km Betonwerke müssen deshalb sukzessive ersetzt werden. 1980 projektierte der Forstdienst die ersten Schneebrücken aus Stahl. Von diesen sind ursprünglich 1,9 km gebaut worden. Wegen Ergänzungen und des Ersatzes der Betonbauwerke nimmt die Länge dieser bewährten Bauwerke laufend zu.

Nachdem die Auffangdämme 2003 erstellt waren, kümmerten sich die Verantwortlichen wieder vermehrt um die Schutzbauwerke am Schafberg. Eine Vorstudie ermittelte 2006 die erforderlichen Instandsetzungsarbeiten an den alten Steinmauern sowie den Bedarf an Ergänzungen mit neuen Werken und veranschlagte dafür Kosten von insgesamt 6 Mio. Fr. Ab 2008 begann die Umsetzung. In zwei bis drei Jahren kommt das Projekt zum Abschluss.

Die umfangreichen Verbauungen mit Steinmauern oberhalb von Pontresina, aber auch an vielen anderen Orten, bewogen die Expertenkommission Lawinen und Steinschlag des Bundes, ihre Jahrestagung 2008 dem Thema der Steinmauern im Lawinenverbau zu widmen. Der Umgang mit den Trockensteinmauern sowie die Möglichkeiten und Grenzen ihres Unterhalts sind als zentrale Herausforderung erkannt worden. Der Praxis steht seit 2011 ein Leitfaden des Bundes zur Verfügung.1


Anmerkung

[1] Umgang mit Lawinenverbauungen aus Steinmauern und Mauerterrassen, Umwelt-Wissen, Bundesamt für Umwelt, 2011.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21  4/2020 «Leben mit Lawinen».

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