Qua­litäts­wett­be­werb dank re­vi­dier­tem BöB

Am 1. Januar 2021 tritt das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) in Kraft. Künftig soll das vorteilhafteste Angebot den Zuschlag erhalten. Damit der Paradigmenwechsel hin zum ­Qualitätswettbewerb Realität wird, ist unser aller Einsatz gefordert.

Date de publication
04-03-2020

Im Sommer 2019 genehmigte das eidgenössische Parlament das revidierte Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB). In Zukunft soll das vorteilhafteste Angebot – statt dem wirtschaftlich günstigsten – den Zuschlag erhalten. Angebote werden auf ihre Plausibilität hin bewertet, und Tiefpreisangebote müssen überprüft werden. Damit der Grundsatz «Qualität vor Preis» tatsächlich flächendeckend zur Anwendung gelangt, sind grosse Anstrengungen notwendig. Der SIA wird dafür Informationsmaterial bereitstellen und seine Mitglieder im Rahmen von Veranstaltungen über die Chancen des revidierten Gesetzes aufklären.

Den Auftakt dieser Massnahmen machte die Veranstaltung «Neue Chancen für Planende und Auftraggebende im veränderten regulatorischen Umfeld» an der Swissbau 2020. Nach einer Keynote Speech von Michel Kaeppeli, Co-Bereichsleiter Normen SIA, diskutierten ­Werner Binotto, Kantonsbaumeister St. Gallen, Michel Bohren, Vorsitzender der Geschäftsleitung CRB, Erich Offermann, Architekt und Präsident der Zentralkommission für Ordnungen SIA, sowie Bundesverwaltungsrichter Marc Steiner darüber, was es braucht, damit dieser Paradigmenwechsel Realität wird.

Was ist neu am revidierten BöB?

Weltweit hat sich das Beschaffungswesen seit einigen Jahren in Richtung des Qualitätswettbewerbs ­weiterentwickelt. Breit setzt sich die Erkenntnis durch, dass die alleinige Ausrichtung auf den tiefsten Preis zu unerwünschten Resultaten führt. Das revidierte BöB ist denn auch als Ausdruck des gesellschaftlichen Willens unserer Zeit zu ver­stehen. Dies umso mehr, als der Paradigmen­wechsel hin zu mehr Qualität nicht durch die Hintertür ins Gesetz geschmuggelt wurde. Nein, er war von Anfang an und ­während des gesamten Gesetzgebungsprozesses offen als Ziel ausgewiesen.

Das Gesetz führt eine ganze Liste von qualitativen Kriterien auf, die neben dem Preis über den Zuschlag entscheiden: Als qualitative Kriterien gelten beispielsweise Lebenszykluskosten, Nachhaltigkeit, Innovation, Ästhetik und Zweckmässigkeit. Damit steckt der Gesetzgeber den Rahmen ab. Die Vergabestellen sind nicht mehr sich selbst überlassen; sie haben klare Grundlagen, auf die sie ihre Ausschreibungsbestimmungen und Zuschlagskriterien ausrichten müssen.

So weit, so gut. Allerdings gibt es zwei Knackpunkte, die für die Planerinnen und Planer nicht unerheblich sind. Erstens: Die Vergleichbarkeit intellektueller Dienstleistungen stellt eine grosse Her­ausforderung dar. Zweitens: Das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen regelt die Prozesse der Auftraggeberseite. Die Qualität selbst muss durch die Beauftragten geliefert werden.

Die Akteure in den Diskurs bringen

Was braucht es also, damit Anfang 2021 tatsächlich eine neue Ära anbricht? Marc Steiner rief in Erinnerung, das Wichtigste sei, dass die Verbände verstehen, dass das Spiel erst jetzt beginne. Das Gesetz verpflichte nicht zur radikalen Nachhaltigkeit – es öffne nur die Spielräume. Man müsse sich dafür einsetzen, dass sich die Vergabekultur ändere, indem man sich mit den grossen Bauherrschaften an einen Tisch setze und sage: «Jetzt will ich sehen, wie ihr das umsetzt.»

Bezüglich einer Massnahme waren sich die vier Podiumsteilnehmer einig: Es braucht einen Diskurs mit allen Beteiligten. Dazu Erich Offermann: «Die Planenden müssen immer wieder an der Front wirken. Das andere Denken durch Diskus­sionen einbringen. Der Mindset ­Change wird nicht von heute auf morgen passieren. Es ist keine Revolution, sondern eine Evolution.»

Werner Binotto machte sich dafür stark, dass Planende und Bauherren wieder näher zusammen­rücken, auch in der Wertschätzung. Denn der Planer allein könne den Paradigmenwechsel nicht richten. Es brauche Bauherrschaften mit der gleichen Idee von Baukultur – im Sinn der qualitativen Kriterien – wie der Planer, der diese Idee vertrete. Auch wenn wieder enger mit den Unternehmern zusammenge­arbeitet werde, öffne sich ein grosses Potenzial. Man müsse wieder pragmatischer, einfacher und klarer werden in der Konzeption und nicht die Komplexität eines Bauwerks als Marktsegment bewirtschaften.

Werte benennen – und messbar machen

Worte allein werden nicht genügen – auch da waren sich alle einig. Offermann, Präsident der Zentralkommission für Ordnungen SIA, will den SIA in die Pflicht nehmen. Er forderte, der SIA müsse ein Nachweisverfahren für die Qualität ­entwickeln: Gerade beim SIA sei ­Pionierarbeit zu leisten. Während der Planung sei beispielsweise die ­Nachhaltigkeit immer eine Behauptung. Und Behauptungen könne man nur untermauern, indem sie vergleichbar ­werden.

Marc Steiner forderte mehr Professionalisierung – und zwar auf beiden Seiten. Je mehr Qualitätsfaktoren bewertet werden sollen, desto mehr brauche es Ausbildung und Professionalisierung.

Auf die Frage, wie man sicherstelle, dass Nachhaltigkeit ohne Kostenexplosion eingehalten werde,  antwortete Michel Bohren mit einem ähnlichen Ansatz. Er sieht zudem auch Chancen in der Digitalisierung: Dadurch entstehe Transparenz und damit Vergleichbarkeit. Er forderte: «Nicht über Nachhaltigkeit sprechen, sondern diese beschreiben und einfordern.» Summa summarum könnte man diese Ansätze mit Werner Binottos Worten «die Werte klar benennen» umschreiben.

Alleinstellung und Mut

Eine weiterer Ansatz liesse sich ­vielleicht unter dem Titel «Selbstwirksamkeit» zusammen­fassen. Unter «Selbstwirksamkeit» versteht die Psychologie die Überzeugung einer Person, schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. ­Michel Bohren forderte mehr Eigenverantwortung – die Planenden sollten sich über Innovationen positionieren, Alleinstellungsmerkmale ausarbeiten und aufzeigen und so ihr persönliches Profil schärfen.

­Immer wieder fiel das Stichwort ­«Innovation». Erich Offermann brachte in einem eindringlichen ­Plädoyer auf den Punkt, was er sich von den Beteiligten wünscht: «Was alle Seiten brauchen, ist Mut. Mut ist für mich ein besseres Wort als Innovation. Für Innovation brauche ich Mut. Ich brauche Mut, mir eine Leistung ehr- und redlich vergüten zu lassen, und Mut, die Qualität in den Vordergrund zu stellen und nicht den Preis. Bewusst einen anständigen Preis zu fordern, von dem ich finde, das ist mein Beitrag wert; im Wissen darum, dass meine Qualität im Rahmen des neuen BöB ­richtig bemessen und bewertet wird. Und dass ich so den Zuschlag be­komme und nicht über den tiefsten Preis.»

Revision der SIA-­Ordnungen gestartet

Diese Ansätze können nur als Leitplanken betrachtet werden. Was für Planerin A erfolgversprechend sein mag, ist für Planer B kein gangbarer Weg. Wie so oft gilt auch hier, dass Planende und Bauherrschaften Erfahrungen sammeln müssen. Das unterstrich auch Michel Kaeppeli: «Je mehr Erfahrungen wir machen, desto mehr Sicherheit gewinnen wir, desto normaler wird die nachhaltige Beschaffung. Es wird Durchhaltevermögen brauchen. Doch es wird sich lohnen!»

Der SIA hat die ordentliche Revision seiner Ordnungen gestartet und richtet diese am neuen BöB aus. Werden die SIA-Ordnungen vollständig berücksichtigt, ist der überwiegende Teil der im BöB enthaltenen Kriterien bereits erfüllt. Das revidierte BöB stärkt die LHO, und die LHO sichern die Umsetzung des BöB. Die Grundlage ist gelegt zur Überwindung der unsäglichen Praxis, dem günstigsten Anbieter den Zuschlag zu geben. Die Rückkehr zu Beschaffungen, die auf langfristigen Erfolg ausgerichtet sind, wird Tatsache.