Iden­tität der Ar­chi­tek­tur: Kons­truk­tion

Was ist Konstruktion? Nur Statik oder auch Raumkonstruktion, gar das Konstruieren von Bildern? Mit diesen Fragen setzten sich 32 Architektinnen und Architekten am 4. Symposium «Identität der Architektur» an der RWTH Aachen Ende Januar auseinander.

Date de publication
08-05-2020

In den einzelnen Vorträgen über konkrete Projekte der Referenten wurden ganz unterschiedliche Auffassungen deutlich. Das ist zum Beispiel das Fügen von einzelnen Teilen zu einem Ganzen, bei dem die Konstruktion eine dienende Rolle einnimmt. Auf der anderen Seite ist Konstruktion aber untrennbar mit Architektur verbunden. Je besser man sich mit ihr auskennt, umso grösser wird der Spielraum beim Gestalten. So wird aus einer rein technischen Aufgabe eine künstlerische, denn das virtuose Zusammenspiel von Material und Tektonik zeigt sich in der Qualität eines Baus.

Ist es überhaupt möglich, Architektur zu denken, ohne sich mit deren tragender Struktur auseinanderzusetzen? Oder, anders gedacht, wenn die Konstruktion lediglich eine symbolische Form darstellt? Was hat dann das Innere noch mit dem Äusseren zu tun?

Klar ist, dass sich die Planung und Ausführung der Konstruktion zwar delegieren, aber nicht vermeiden lässt. Faktoren dafür sind nicht zuletzt die Schwerkraft, aber auch die verwendeten Materialien, die einem Formwillen unterliegen und so die Konstruktion vorgeben. Aber hinter der Suche nach einer Ordnung, einem Prinzip steckt noch weitaus mehr. Denn weil Architektur städtische Räume massgeblich prägt, ist es auch Aufgabe des Architekten, Bezüge zu finden zwischen den Themen des Städtebaus, der Stadträumlichkeit und dem oft als spröde verstandenen Konstruieren. Aus den Anforderungen der architektonischen Möglichkeiten ist es zwingend nötig, über Form und Gestalt zu reden und diese zu moderieren.

Markus Peter hat mit seinem Bau der Schokoladenmanufaktur Max Felchlin vorgeführt, dass die grob gefasste Skizze, die eine konstruktive Idee im Zusammenhang mit der dahinter liegenden Landschaft zeigt, durchaus die Statik und damit auch das Prinzip, nach dem das Gebäude funktionieren kann, bereits im Kern erfasst und abbildet.

Konstruktion pur

Ein Ideal der Moderne war und ist es bis heute, wenn die funktionale Struktur zur architektonischen Gestalt wird. Die klare Form ist mit einer Strategie des Weglassens erreichbar und ermöglicht, dass die Funktion des Gebäudes für die Nutzerschaft ablesbar ist. Eine nach aussen gewandte Konstruktion nimmt dem Betrachter gegenüber eine offene Haltung ein, während eine nach innen gewandte Konstruktion die Menschen ausschliessen kann.

Genau hier liegt heute die grösste Schwierigkeit bei der Darstellung des Tragwerks. Die Planerschaft ist durch zahlreiche energetische und gebäudetechnische Vorgaben gezwungen, die eigentliche Architektur zu umhüllen. Es ist eine Herausforderung, den nötigen Wärmedämmschutz so zu gestalten, dass er die Architektur nicht verunklärt oder gar versteckt. In diesem Sinn liegt die Zeit der konstruktiven Ehrlichkeit hinter uns – und ist mit dem Bestreben nach einer Rückkehr zu einfachen Standards wieder Avantgarde.

Konstruktion als Symbol

Es wurden Beispiele von klassisch gemeinten Häusern gezeigt, bei denen das Stützen und Lagern auf den zweiten Blick kein System ergibt und sich als Camouflage enttarnt. Vermeintliche Tektonik wird als Bild benutzt, ohne mit dem Tragwerk in Verbindung zu stehen. Derartige Vorspiegelungen sind spürbar und stören das Vertrauen, das der Betrachter dem Gebäude gegenüber entwickeln möchte.

Ein interessanter Ansatz ist es, mit dieser meistens ungeliebten Isolationsschicht, mit Brandschutzelementen und mit der Gebäudetechnik kreativ umzugehen, ihnen eine eigene Identität zu verleihen und die Mehrschichtigkeit mit der Konstruktion in Einklang zu bringen oder in ein Spannungsverhältnis zu setzen. So kann eine vorgeblendete Ziegelfassade die Massivität betonen, die die Betonwand dahinter durchaus erfüllt, oder aber sich mit Durchblicken auf die tragende Wand selbst als Dekoration zu erkennen geben.

Konstruktion als integraler Teil der Architektur

Besonders im Zusammenhang mit dem Bauen im Bestand ergeben sich hier reizvolle Aufgaben. Es gilt, räumliche Qualitäten im Vorgefundenen zu entdecken. Dazu gehört es auch, die vorhandenen Materialien auf eine neuartige Verwendbarkeit zu überprüfen. Statt bei Instandsetzungen auf moderne Gebäudetechnik zu verzichten, kann man versuchen, sie als Teil der Architektur mitzudenken.

Diese Offenheit, die Lust am Experiment führt bisweilen über ernsthaften Forschungen zu neuen Bauelementen, sei es in der Materialität oder in der normierten Form. Anstelle von Aufbauten, die die Haustechnik verstecken, kann sie als identitätsstiftendes Bauteil eingebunden oder sogar exponiert und zu einer gestalterischen Stärke erklärt werden. Technischer Ausdruck ist heute oft unabhängig vom ästhetisch gewünschten Ausdruck. Es ist die Aufgabe der Architektenschaft, diese beiden Ziele durch Vereinfachungen einander wieder anzunähern.

Konstruktion als Experiment

Mit der Idee, Architektur zu erschaffen, um möglichst komplizierte Konstruktionsweisen als Fragestellung vorzuführen, beschäftigen sich manche Architekten, deren geistige Heimat akademisch ist. Es gilt, Grenzen des Machbaren auszuloten und manchmal zu überschreiten. Diese Denkweise sucht ihre Berechtigung im Aufbrechen von Sehgewohnheiten und Bautraditionen.

Die gebauten Ergebnisse erleben wir im Moment als nicht gelungen. Das Ziel, einen schönen Baukörper zu erschaffen, tritt in den Hintergrund. Das löst Fragen nach Sinn und Moral der Architektur aus. Möglicherweise ist eine gestalterische Verstörung nötig, um Wege zu neuen Ansätzen aufzuzeigen. Es ist wichtig, Materialien, Formen und Verbindungen auszuprobieren, deren Kompatibilität nicht auf der Hand liegt, eine «Virtuosität des verrückten Zusammenfügens» zu entwickeln, wie Jean Prouvé dies nannte. Ein Scheitern darf Teil dieser Versuche sein.

Konstruktion als Schmuck

Die sichtbare Konstruktion eines Gebäudes kann auch dekorativ sein. Zum Beispiel dort, wo sie auf bestehende Baukörper reagiert, deren Form aus einer anderen Materialität entstanden ist. Orangerien aus Stahl und Glas zum Beispiel imitieren die geschwungenen Formen der barocken Schlösser, denen sie zugeordnet sind.

Jüngere Bestandsbauten aus der Postmoderne oder dem Dekonstruktivismus können entsprechend zeitgenössische Interpretationen erfahren. In solchen Konstruktionen kommt eine technikaffine Feierlichkeit zum Ausdruck.

Konstruktion als Korsett

Veränderliche Materialien zwingen zu einem Planungsprozess, der mit dem Unpräzisen umgehen kann. Ausdehnungen oder schwankende Belastbarkeit einzelner Elemente, z.B. aus thermischen Gründen, verlangen nach einem Gerüst, das derartige Schwankungen kompensiert.

In der Folge können Konstruktionen entstehen, deren Volumen zunächst überdimensioniert wirkt. Es ist eine Herausforderung, gerade diese Unverhältnismässigkeit in eine starke Form zu betten und damit die vermeintlichen Schwächen in gute Architektur zu verwandeln.

Fazit

All diese Themen führten zur Frage der Qualität der Architektur und der Behauptung, dass 80 bis 90% dessen, was entsteht, die hier behandelten Überlegungen nicht berührt. Was können Architekten also in der Praxis bewirken? Und was ist Aufgabe der Hochschulen in Bezug auf Kompetenz und Können der nachfolgenden Generationen?

Gerade heute in einer Zeit, in der Fragen um die Ökologie und die Zukunft allgegenwärtig geworden sind, ist eine Auseinandersetzung damit, wofür jeder Einzelne mit seinen Bauten einstehen will, zentraler als zuvor. Zu 100% ökologisch ist jedoch nur das Nichtbauen. Ist es also möglich, dass sich auch Architekten bei Klimafragen häufiger zu Wort melden und nicht nur Schülerinnen und Schüler auf die Strasse gehen, um für einen anderen Umgang mit den Ressourcen dieser Erde einzustehen?

Gegenwärtig behindern gerätetechnische, energietechnische und brandschützende Bedürfnisse die Sichtbarkeit und Entwicklung von Konstruktionen als Teil einer architektonischen Identität. Es ist die einhellige Meinung der Referenten, dass eine umfassende Kenntnis der Materialqualitäten nötig ist und in der Lehre eine grössere Rolle spielen muss, als bisher. Die Suche nach vielseitig einsetzbaren Elementen bietet den Schlüssel zu einer ganzheitlichen Architektur.

Mit diesen Instrumenten wird das Narrativ greifbar, die sinnvolle Erzählung, die viele Architekten ihren Bauten mitgeben möchten. Wichtig ist dabei vor allem eine geistige Sorgfalt. Eine weitere Forderung ist die nach der technischen Abrüstung. Dies würde die Sichtbarkeit der Tektonik vereinfachen. Damit wäre das Gebäude verständlicher für den Nutzer und erleichterte ihm eine Identifizierung mit seiner gebauten Umgebung.

Ökologische und ökonomische Aspekte sind dabei von grösster Bedeutung. Dafür ist der ständige Dialog mit Fachingenieuren unabdingbar. Wenn es gelingt, Einfachheit wieder wettbewerbsfähig zu machen, kann auch die Poesie wieder in der Architektur Einzug halten.

Alle Referate der Veranstaltung sind hier als Video abrufbar.

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