Im­pulse für er­neuer­bares Hei­zen im gros­sen Masss­tab

Die Umrüstung auf ein neues Heizsystem stellt bei grösseren Mehrfamilienhäusern eine Herausforderung dar. Das Programm «erneuerbar heizen» und eine spezifische Impulsberatung von energieschweiz bieten Unterstützung für Planer und Bauherrschaften an.

Date de publication
02-12-2021

Nach 45 Jahren war Schluss mit der fossilen Wärme­erzeugung am Luzerner Stadtrand. Die grossen Mehrfamilienhäuser im Eichenstrasse-Quartier sind seit September 2020 an ein Fernwärmenetz angeschlossen. Die Energie für die 88 Wohnungen kommt aus einer nahe gelegenen Kehrichtverbrennungsanlage. Der pensionierte Heizwart Alois Kiser, Stockwerk­eigentümer in der Siedlung, zieht eine positive Bilanz: «Der Umstieg auf CO2-arme Wärme fiel allen Beteiligten leicht; zurück möchte niemand.» Die Zahlen sprachen für sich: «Als ich sah, dass allein die Heizung unserer Mehrfamilienhäuser jährlich 298 t CO2 verursacht, lief es mir kalt den Rücken runter», erklärt Kiser die Motivation für den Umstieg.

Das Modernisierungsprojekt an der Eichenstrasse zeigt exemplarisch das Potenzial erneuerbarer Energien für die Heizsysteme grosser Wohnbauten auf. Mit der Gebäudegrösse nimmt nicht allein der Nutzen, sondern auch der Abklärungsbedarf zu, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Daher hat das BFE im Rahmen des Programms «erneuerbar heizen» die Impuls­beratung entwickelt.

Moritz Kulawik, externer Beauftragter des Programms «erneuerbar heizen» für die operative Begleitung, erklärt dessen Nutzen: «Impulsberaterinnen und Impulsberater in der ganzen Schweiz können die Ausgangslage innert kurzer Frist und für wenig Geld klären.» Der Beratungsumfang beträgt einschliesslich Vor- und Nachbereitung etwa zwölf Stunden, fünf davon bei der Eigentümerschaft vor Ort. Die Kosten von 1500 bis 2000 Franken werden in vielen Kantonen mit einem Förderbeitrag unterstützt.

Offener Blick

Eine Impulsberatung für Mehrfamilienhäuser umfasst zwei Besuche vor Ort durch ausgebildete Fachleute. Dazu gehört eine Bestandsaufnahme des vorhandenen Heizungssystems mit all seinen Komponenten sowie der finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen. Auf dieser Basis wird eine projektspezifische Lösung erarbeitet. Eine besondere Stärke sieht Kulawik im Umfang der Betrachtung: «Wir achten dabei stets auch auf die Wirtschaftlichkeit der Systeme. Deshalb müssen wir unseren Blick offenhalten, beispielsweise für einen Zusammenschluss mit Nachbargebäuden.»

Beim zweiten Besuch präsentiert die Impulsberaterin oder der Impulsberater eine Empfehlung sowie verschiedene Varianten und ermöglicht somit eine Diskussion über das weitere Vorgehen. «In den meisten Fällen können wir damit eine fundierte Entscheidungsgrund­lage anbieten», erzählt Kulawik. «Teilweise wünscht die Eigentü­merschaft noch vertiefte Variantenvergleiche, die auf dieser Grundlage dann ausserhalb der Impulsberatung erstellt werden können.»

Eine soziale Sondierung

Die Impulsberatung existiert seit 2020 für Einfamilien- und Mehr­familienhäuser bis zu sechs Wohn­einheiten, seit diesem Sommer nun auch für grössere Mehrfami­lien­häuser mit mehr Einheiten. Während die Situation in Einfamilien- und kleinen Mehrfamilienhäusern oft eine geringe Komplexität aufweist, «ergeben sich bei grossen Mehrfamilienhäusern zwei wesentliche Unterschiede», hält Kulawik, selbst ein erfahrener Impulsberater, fest.

Einerseits befinden sich diese oft in einer dichter besiedelten ­Umgebung. Da ist es technisch ­anspruchsvoller, eine geeignete erneuerbare Heizlösung zu finden. Andererseits haben Mehrfamilienhäuser oft komplexe Eigentumsverhältnisse. «Das ist insbesondere bei Stockwerkeigentum oder der gemeinsamen Nutzung der Heizung über mehrere Gebäude der Fall.»

Entsprechende Herausforderungen bei der Entscheidungsfindung müssen deshalb bereits bei der Impulsberatung berücksichtigt werden, damit die Beratung für die Eigentümerversammlung Lösungsansätze und entscheidende Argumente für den Wechsel auf ein erneuerbares Heizsystem liefern kann. Architektinnen und Planern bietet die Impulsberatung von «erneuerbar heizen» insofern eine Erleichterung, als sie für eine ausführliche Klärung der heizungstechnischen Ausgangslage sorgt und dadurch Transparenz für alle schafft.

Im sehr grossen Massstab

Von den ersten Abklärungen bis zur Inbetriebnahme der neuen Heizung vergehen oft zwei bis drei Jahre. Wie eine Impulsberatung den notwen­digen Anstoss für ein zielführendes Vorgehen bieten kann, zeigt auch ein Beispiel aus dem Kanton Genf. Ein Block an der Rue de la Montagne in Chêne-­Bougeries mit 260 Wohnungen wird seit 2019 nach Minergie-Standard renoviert und um zwei Stock­werke ergänzt. Zuvor heizte man mit Gas, nun gewährleisten sieben auf dem Dach angebrachte Luft-Wasser-Wärmepumpen 90 % der Heizkraft und der Warmwasserversorgung.

Der Einsatz von Wärmepumpen auch in gros­sen Mehrfamilienhäusern ist keine Ausnahme. Seit 2017 setzen die Services industriels de Genève SIG regelmässig Pilotprojekte mit ­Wärmepumpen zur Wärmeerzeugung in grossen Mehrfamilienhäusern um. Matthias Rüetschi, Leiter des Bereichs eco21-Immobilien bei SIG: «Die Rückmeldungen zeigen, dass eine Luft-Wasser-Wärmepumpe bei gleichem Wärmekomfort und zu gleichen Kosten für die Mieter auch in einem nicht renovierten Mehrfamilienhaus einen Gas- oder Ölkessel ganz oder teilweise ersetzen kann.»

Rüetschi weiter: «Ein Projekt mit mehr als sechs Wohnungen ist komplex. Es ist keine Routinearbeit mehr, das Projekt muss von Anfang an bis hin zum Betrieb begleitet werden, um den Betrieb und die Leistung zu optimieren.» Die neue Anlage in Chêne-Bougeries geht in diesem ­Winter in Betrieb.

Unparteiisch beraten im Sanierungsprozess

 

Dass energetische Sanierungen nicht allein die Technik betreffen – eine neue Heizanlage, Wärmedämmung oder Raumlüftung –, sondern auch die beteiligten Menschen, wird in Fachkreisen und seitens des Bundesamts für Energie BFE zunehmend bewusst. Eine Hemmschwelle für die Ertüchtigung von Wohnbauten ist die Verun­sicherung sowohl der Eigentümerschaft als auch von Mieterinnen und Mietern, wenn die eigene Wohnung zur Baustelle wird oder man die Kosten einer Sanierung als Bauherrschaft nicht abschätzen kann.

 

Das BFE und das Bundesamt für Wohnungswesen BWO haben nun zwei Websites lanciert, die beide Personengruppen über den Ablauf, Aus- und Nebenwirkungen energetischer Sanierungen informieren: www.renovabene.ch wendet sich an die Eigentümerschaft von Wohnbauten, www.locabene.ch an Mieterinnen und Mieter. Interessant ist nicht nur die doppelte Perspektive, sondern auch die umfassende Darstellung des gesamten Prozesses: von der Planung über den Umbau im bewohnten Zustand bis hin zum Betrieb des fertig sanierten Gebäudes.

 

Welche finanziellen Auswirkungen eine Sanierung nicht allein auf die (möglicherweise steigende) Miete, sondern auch auf die (idealerweise sinkenden) Nebenkosten haben kann, wird hier erläutert, und zuletzt finden sich Tipps für den richtigen Umgang mit einer Komfortlüftung – und miteinander: Beide Parteien bekommen hier sogar Hinweise zur fruchtbaren Kommunikation.

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