Der Designpionier, der Schule machte
Willy Guhl (1915–2004) hat nicht nur weltbekannte Designikonen entworfen, sondern auch Generationen von Schweizer Gestalterinnen und Gestaltern als Lehrer geprägt. Das Zürcher Museum für Gestaltung ehrt ihn aktuell mit einer grossen Werkschau.
Ein ausgesprochener Konstrukteur sei er gewesen, sagt Innenarchitekt und Designer Hansrudolf Vontobel, und dabei bescheiden und selbstbewusst zugleich. «Er war ein Vorbild für uns», sagt Gestalter Stefan Zwicky über ihn. Und als handwerklich gebildet sowie introvertiert, beschreibt ihn Innenarchitektin Verena Huber. Die Rede ist von Willy Guhl, dem grossen Schweizer Gestalter und Vermittler. Mit Geschichten über ihn eröffnet die Ausstellung «Willy Guhl – Denken mit den Händen». 13 ehemalige Schüler:innen erinnern sich in Videos an ihre Zeit an der Zürcher Kunstgewerbeschule.
Mit seiner langjährigen Lehrtätigkeit hat Guhl eine Sonderstellung in der Schweizer Designgeschichte inne. Folgerichtig teilt sich die grosse, von Renate Menzel kuratierte Schau in zwei Teile, die sich auch farblich voneinander abheben. Ein Part der luftigen Inszenierung von Sebastian Marbacher widmet sich Willy Guhl als Lehrer. Er trug sein eigenes Schaffen direkt in die Lehre, und die Themen der Lehre prägten wiederum seine Entwürfe.
Die Fachklasse «Innenausbau», wie er sie selbst unter Wilhelm Kienzle an der Zürcher Kunstgewerbeschule (heute ZHdK) in den 1930er-Jahren noch besucht hatte, wurde unter seiner Leitung erweitert zur Klasse «Innenarchitektur und Produktgestaltung». Über vier Dekaden gab Guhl sein Wissen und seine Haltung an die Designer:innen weiter, noch heute orientieren sich Kreativschaffende an seiner Lehre.
Alltagstaugliche Gestaltung
Die Arbeiten seiner Schülerinnen und Schüler können an der Ausstellungsstrasse direkt in Augenschein genommen werden. In Guhls Klasse entstanden nicht nur Möbel und Innenräume, sondern auch Produkte für die Industrie – von der Zahnbürste bis zum Fahrzeug.
So finden sich in der Ausstellung Möbel wie Bruno Reys Entwurf (1970–80) eines Stuhlmodells für Dietiker, aber auch Urs Bachmanns und Fritz Kellers Vorschlag eines Billetautomaten für die VBZ Zürich (1987–88) und, besonders eindrücklich, ein Modell eines zweigeschossigen Ateliers für die Zürcher Viaduktbögen von Silvio Schmed (1977).
Viele Entwürfe seiner Schüler fanden den Weg in den Alltag – sei es ein massenhaft hergestellter Wäschekorb aus Kunststoff, der Wasserfarbenkasten von Benedikt Rohner oder Kurt Thuts Aluschrank Nr. 380. Ausserdem entwarf Willy Guhls Klasse für den Basar der Kunstgewerbeschule regelmässig Spielzeug für den Verkauf – darunter Puzzles, Spielfiguren und Geschicklichkeitsspiele.
Vom Zeichenbrett zum Modell
Unter Guhl, das kann man an den Entwürfen der Schüler und Schülerinnen verfolgen, wurde nicht mehr ausschliesslich am Zeichenbrett konzipiert, sondern auch in der Werkstatt. Dort bauten sie Modelle, um ihre Vorstellungen zu überprüfen. Dieses Entwerfen im Machen ist eine eigene Denkart, die im Ausstellungsprojekt als «Denken mit den Händen» bezeichnet wird. In Worte niedergeschrieben habe Guhl nur wenig, so Renate Menzi. Was der Schweizer Entwerfer nicht in Texten erfasste, kann man in der Schau um so stärker an Zeichnungen, Modellen und Fotografien ablesen.
Der andere Teil der Ausstellung inszeniert Guhls Werk als Gestalter. Der gelernte Schreiner gründete nach seinem Studium 1939 sein eigenes Atelier in Zürich. Bereits während des Zweiten Weltkriegs begann er, Kleinmöbel zu entwerfen, die er in der väterlichen Schreinerei selbst herstellte. Er zeichnete Notmobiliar für den Wiederaufbau in Europa und entwickelte zerlegbare Paketmöbel. Dabei setzte er für die Tische und Schränke kostengünstige Materialien wie Hartfaserplatten ein und achtete auf eine einfache Montage im Selbstbau.
Sein Gestaltungsansatz lautete, ein am Menschen und seinen Bedürfnissen orientiertes, nützliches, materialgerechtes, langlebiges und für alle zugängliches Design zu entwickeln. 1948 nahm Guhl gemeinsam mit seinem Bruder Emil am vom Museum of Modern Art in New York ausgeschriebene Wettbewerb «International Low-Cost Furniture Design» teil. Die Sitzschalen der Guhl-Brüder leiteten sich aus menschlichen Körperabdrücken ab und basierten auf drei Sitzpositionen. Der grosse Raum im Saal zeigt, welchen Materialexperimenten Guhl dabei nachging.
Drei Gipsmodelle waren schliesslich die Grundlagen für Stuhlentwürfe aus unterschiedlichen Materialien. Die ursprüngliche Idee, eine zweifach gewölbte Schale aus Kunststoff seriell zu fertigen, konnte aber erst 1951 in Zusammenarbeit mit der Firma Scott Bader umgesetzt werden – ein Jahr, nachdem das Ehepaar Eames ihren Fiberglass Chair auf den Markt gebracht hatten.
Materialexperimente und eine Ikone
Konnte Guhl hier nicht die Pionierrolle behaupten, so tat er dies mit dem «Strandstuhl», einem Entwurf aus dem Jahr 1954, der längst eine Designikone ist – und in der Schau eine zentralen Platz beansprucht. Die Vorgeschichte: Um die Eigenschaften von Faserzement in ungebundenem Zustand zu simulieren, verwendete Guhl in Gips getränkten Jutestoff. 1952 entwickelte er mit seiner Klasse erstmals neue Pflanzgefässe für die Niederurnener Firma Eternit – spindelförmige Pflanzschalen, Spielkisten und Hocker.
Auch das beliebte Blumenkistchen der Schweizer erfuhr eine Modernisierung. Der grosse Wurf war schliesslich der „Strandstuhl“, dessen dynamische Schleifenform bis heute überzeugt und seit 1977 mit asbestfreiem Faserzement produziert wird. Bis heute ist die «Sitzschleife», wie der Stuhl auch genannt wird, das meistbeachtete Designprodukt der Eternit Schweiz AG.
Eternit, Dietikier und Aebi – die Schau bietet anhand von Guhls Entwürfen für kleine und mittlere Handwerksbetriebe einen Streifzug durch verschiedene Designepochen: von der Hochblüte der «guten Form» in den 1950er-Jahren über den Nonkonformismus der 1970er- bis hin zur boomenden Designindustrie der 1980er-Jahre. Gerade das wohlproportionierte Möbelprogramm (ab 1959) für die Dietiker AG in Stein am Rhein zeigt exemplarisch, wie vielseitig einsetzbar seine Entwürfe waren. Dabei blieb Guhl sich und seinen Werten immer treu und war doch zugleich offen für neue Technologien und die sich wandelnden Herausforderungen der Zeit.
Wer selbst erproben will, wie Guhls Gestaltungsansatz funktioniert, kann dies direkt in der Ausstellung tun: An einem runden Tisch kann man beim Flechten, Knüpfen oder Knoten den eigenen Händen bei Denken zusehen.
Willy Guhl – Denken mit den Händen.
Museum für Gestaltung Zürich, bis 26. März 2023. www.museum-gestaltung.ch