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Szenografietreffen Helga

Auch gut 20 Jahre nach seiner Erfindung ist der Begriff der Szenografie nicht ganz klar umrissen. Das Helga Luzern Team nutzte das zu seinem Vorteil, indem es Vortragende aus einem inhaltlich weiten Umkreis zur «Helgatopie», dem Treffen für «Szenografie und Kommunikation im Raum»  in die Viscosistadt, Standort des Fachbereichs Spatial Design der Hochschule Luzern, einlud.

Date de publication
23-10-2024

Dass die Beteiligten sich aufs Inszenieren verstehen, wird schon mit der Ankündigung der diesjährigen Zusammenkunft deutlich: Die «Helga», in den letzten drei Jahren vom Helga Luzern Team ausgerichtet (davor war die Veranstaltung in Basel, Zürich und der Zentralschweiz), findet zukünftig an einem anderen Ort und mit einem neuen Veranstalter statt ­­– wo und wie wurde erst am Ende verraten und so halte ich es auch. 

Eine Veränderung ist schlüssig, weil die Organisatoren schon immer dazu anregten, den Begriff der Szenografie aus seiner angestammten Umgebung zu lösen und die ganze Stadt, sogar das ganze Leben als Bühne zu begreifen. Um einer Zukunftsvision der Szenografie als Wissenschaft der kunstvollen Vermittlung näher zu kommen, lassen sich einerseits die Inhalte, also gesellschaftspolitische und philosophische Zusammenhänge betrachten. Andererseits müssen die Methoden, mit deren Hilfe sich die Themen abbilden lassen, auf ihre soziale, ökologische und ökonomische Stichhaltigkeit überprüft werden. 

Während im vergangenen Jahr die Verknüpfung von analogen und digitalen Medien im Vordergrund stand, war das verbindende Motiv diesmal die praktische und die theoretische Kreislaufwirtschaft. Durch die Kurzlebigkeit vieler Inszenierungen steht der sorgfältige Umgang mit Materialien und Energie noch mehr im Zentrum des Umdenkens, als wir es aus dem Baugeschehen kennen. Die Weitergabe von Teilen und gebauten Objekten unter inhaltlich, aber nicht räumlich verbundenen Häusern bietet Potenzial, wirft aber gleichzeitig Probleme der Mobilität und Lagerung auf.

An der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK entsteht derzeit eine Datenbank, die Materialien, ihre Verwendung, ihre Ersetzbarkeit, aber auch Wissen und Erfahrungen im Umgang mit ihnen vereint. Spezielle Fragen wie die der Rezyklierbarkeit oder des Brandverhaltens lassen sich so vorab klären. Ein Anliegen ist den Verantwortlichen dabei die besonders präzise fotografische Abbildung der Materialien und Elemente – nicht nur aus ästhetischen Gründen, denn durch mangelnde Bildqualität lässt der Informationsgehalt gemeinhin zu wünschen übrig. 

Auf diesen Wissensspeicher in Form einer kuratierten Open Source hat jede Person Zugriff und kann ihrerseits Informationen, Links, Empfehlungen und Warnungen einsenden. Diese werden geprüft und dann eingebunden. Ein eigener Marktplatz zum Urban Mining ist ebenfalls in Planung. Der ebenso zeitraubende wie kostbare Wissenstransfer zwischen institutionellen Werkstätten und nomadisch arbeitenden Bühnenschaffenden erhält hier ein virtuelles Zuhause.

Sharing means caring

Die Vernetzung über den Austausch von Bühnenbildern und Vitrinen hinaus steckt insgesamt noch in den Kinderschuhen. So ist es durchaus denkbar, dass auch inhaltliche Komponenten wie Texte oder Filme in einem anderen Kontext und mit leichten Anpassungen wieder zum Einsatz kommen könnten. Im Moment bewegen sich die Bemühungen noch im materialbezogenen Bereich. 

Um hier Entwicklungsprozesse anzuschieben, bauen Szenografen Tools und Workshops für interessierte Institutionen. Zum Beispiel können Museen anhand einer Checkliste verschiedene Themenfelder wie Mobilität, Lagerung, Betrieb oder Shop auf Einsparmöglichkeiten und Strukturmängel überprüfen. Obwohl das staatliche Interesse vorhanden sein sollte, sind derartige Initiativen bisher auf eine Finanzierung durch Stiftungsgelder angewiesen. Langfristig hoffen die Initiantinnen auf eine Übernahme durch den Verband Schweizer Museen. 

Berufsverband für Szenografie

Um sichtbar zu werden und in der Folge politische Teilhabe zu erwirken, hat sich just ein Berufsverband gegründet. Ähnlich dem SIA geht es auch hier um Vernetzung, Standards und nicht zuletzt um eine geregelte Honorarordnung. Zusätzlich sind Bürobesuche und Projektführungen in Planung. 

Was sich in der Theorie etwas trocken darstellt, kann durchaus lustig sein. Als Einblick in ihre persönlichen Utopien präsentierten bei der Helgatopie einzelne Teilnehmende Inszenierungen mit doppeltem Mehrwert für den öffentlichen Raum. So zum Beispiel ein Strassenübergang, dessen Boden bei freier Bahn blinkt und leuchtet. Oder eine Zahnarztpraxis, in der Patientinnen und Patienten während der Behandlung mit Musik und gutem Geruch auf eine beruhigende Gedankenreise geschickt werden. Alltägliche Orte des Wartens, der Angst oder der Gefahr lassen sich gerade durch Medien in positive Umgebungen verwandeln. 

Über den Graben

Apropos Warten: Ganz im Sinne der Thematik überwindet die nächste Helga räumliche und sprachliche Grenzen. Sie findet im Kunstquartier Plateform 10 in Lausanne statt und wird vom Mudac bespielt. 

→ Mehr Informationen zu Helga finden Sie hier.