Die Natur kennt keinen Abfall
Swiss Green Economy Symposium
Am diesjährigen Swiss Green Economy Symposium trafen sich einmal mehr Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, um gemeinsam einen innovativen Weg in eine nachhaltige Zukunft zu finden. Erstmals erhielt auch der Bausektor eine bedeutende Plattform, vermochte aber mit seinen Kreislaufwirtschaftsbestrebungen nicht vollends zu überzeugen.
Der Zustand unseres Planeten und damit auch unserer Gesellschaft ist nach wie vor kritisch. Trotz Massnahmen zur Bewältigung der Klimakrise dreht sich die Negativspirale immer weiter und scheint kaum zu stoppen und schon gar nicht umkehrbar zu sein. Im Gegenteil: Vergangenen Herbst waren sechs von neun planetaren Grenzen überschritten – laut Forschenden befindet sich die Erde damit weit ausserhalb eines sicheren Zustands für die Menschen – und im laufenden Jahr bräuchte es gemäss Hochrechnungen des Erdüberlastungstags (heuer am 1. August) 1.7 Erden, um die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen zu decken. Zugleich binden gewaltsame Konflikte und Kriege immer mehr weltweite Interessen, Aufmerksamkeit und Ressourcen; es wird zunehmend schwierig, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung nicht aus den Augen zu verlieren.
Eine Plattform und viel Potenzial für die Bauindustrie
Das Lösen von Konflikten ist also von grosser Bedeutung und Voraussetzung dafür, sich der Bewältigung aller übrigen globalen Herausforderungen anzunehmen. So fand Ende August das mittlerweile zwölfte Swiss Green Economy Symposium unter dem Motto «gemeinsam Konflikte lösen» in Winterthur statt. In gewohnter Manier trafen sich an den drei Tagen Kapazitäten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, um gemeinsam Ansätze für ein nachhaltiges, zukunftsorientiertes und kreislauffähiges Wirtschaften zu diskutieren.
Dabei erhielten der Bausektor und die ihm angehörenden Branchen erstmals eine vormittagsfüllende Plattform. Seine Vertreterinnen und Vertreter nutzten diese, um ein breites Publikum auf ihr Bestreben in Richtung Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft aufmerksam zu machen.
So etwa der Baustoffproduzent Holcim, der gesamthaft eine Viertelmilliarde Franken einsetzen wird, um bis ins Jahr 2030 seinen CO2-Ausstoss aus Verbrennungsprozessen und den Klinkeranteil im Zement massiv zu reduzieren. Seine Langfristvision ist es, bis ins Jahr 2050 klimaneutrale und vollständig rezyklierbare Baustoffe zu produzieren.
Viel interessanter als dieser weithin bekannte Slogan ist die Tatsache, dass sich Holcim in verschiedenen Forschungsgebieten sowohl mit wissenschaftlich potenten Partnern als auch mit aufstrebenden Innovatoren zusammentut, um neue Technologien oder Geschäftsmodelle zu entwickeln. Beispiele dafür sind das Innovationslabor in Winterthur, das Rippmann Floor System oder Oxara als Hersteller von zementfreiem Zusatz- und Bindemittel für Beton.
Nachdem Kathrin Dellantonio als Geschäftsführerin von myclimate und Nationalrat Martin Candinas die Herausforderungen im Klimaschutz bilateral verhandelten und Candinas als Politiker wohl ungewollt ironisch meinte, man müsse schneller vom Reden ins Handeln kommen, um wirklich etwas zu bewirken, folgte einer der verheissungsvollsten Impulse. Da war zum einen Uwe Boltersdorf, Divisionsleiter Chemtech und Mitglied der Konzernleitung bei Sulzer, der den Kohlenstoffkreislauf der Natur zusammen mit dem Motto «die Natur kennt keinen Abfall» als Blaupause nimmt, um als Technologielieferant die Dekarbonisierung von Beton und des Bausektors voranzutreiben.
Zum anderen traf sich auf einem anschliessenden Panel die Spitze der hiesigen Forschung und Unternehmen zum Thema CO2-Abscheidung und Speicherung; darunter auch der Direktor von cemsuisse. Schnell wurde aus der interessanten Diskussion klar, dass es nicht etwa an der Technologie fehlt, sondern an zugehörigen Investoren, um Treibhausgase an der Quelle – zum Beispiel einem Zementwerk – einzusammeln und anschliessend einzulagern oder als Roh- oder Kraftstoffe wiederzuverwenden.
Die Panelvertreterinnen und -vertreter gehen davon aus, dass pro Zementwerk (sechs sind es aktuell schweizweit) mehrere 100 Mio. Fr. investiert werden müssten, um die jährlich aus der Zementproduktion anfallenden rund 2.8 Mio. Tonnen CO2 an der Quelle zu fassen. Und damit wäre bloss eine der Herausforderungen gemeistert. Wenn es um den Transport und die Einlagerung oder die Wiederaufbereitung von CO2 geht, gesellen sich noch zahlreiche weitere hinzu.
Irgendwo zwischen Innovation und Ignoranz
Die Nachmittagsforen boten Gelegenheit, einzelne Themen in einer Runde von Fachpersonen aus der Praxis zu vertiefen. Zusammen mit der Stadt Winterthur reflektierten beispielsweise drei weitere Schweizer Städte die vergangenen fünf Jahre aus ihren Smart-City-Programmen. Dabei war interessant zu vernehmen, wie sich Smart City quasi emanzipiert und von den Entwicklungen in der Digitalisierung löst. Vielmehr stehen mittlerweile Projekte im Vordergrund, die das Leben vereinfachen, Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel oder generell bedürfnisorientierte Innovationen umfassen.
Im Innovationsforum «Kreislaufwirtschaft in der Baubranche» stand die neue Norm SIA 390/1 Klimapfad im Mittelpunkt. Diese definiert einen Pfad mit auf null sinkenden Treibhausgasemissionen in der Erstellung und dem Betrieb von Gebäuden; Zielwert A erreicht dieses Ziel schon 2040, Zielwert B erst 2050. Zudem fasste Heinz Wiher als Mitglied der Normenkommission alle wichtigen Hebel beim Bauen zusammen: Nachdem im Bereich des Betriebs bereits viel erreicht wurde, liege der Fokus nun auf der Reduzierung der Treibhausgasemissionen bei der Erstellung. Zudem sollten Materialien CO2-arm sein und möglichst sparsam eingesetzt werden. Ein wichtiger Faktor sei die Mobilität, die durch mehr oder weniger gut erschlossene Gebäude entstehe.
Ebenfalls sehr aufschlussreich war eine Präsentation von Ivo Angehrn (Drees & Sommer) über die (zum Teil fehlende) Motivation von Investorinnen und Investoren für nachhaltiges Bauen und zugehörige Handlungsoptionen. Nach interessanten Beispielen von kreislauffähigen Gebäuden und konkreten Angaben, wo Einsparpotenzial – etwa durch das Bauen im und das Sanieren von Bestand – liegen, zeigten verschiedene Unternehmen der Baubranche, wie sie ihre Treibhausgasemissionen in der Produktion senken und sich in Richtung Kreislaufwirtschaft entwickeln wollen.
Im Vergleich zu engagierten Teilnehmenden, die ihre Ideen zum Erreichen der Kreislaufwirtschaft präsentierten und sich zumindest auf den Weg dahin begeben, fielen jene auf, die noch nicht bereit waren. Bei der Vertreterin von scienceindustries, dem Wirtschaftsverband der Pharmaindustrie, war beispielsweise keine Strategie in Richtung Kreislaufwirtschaft erkennbar. Es schien, als ginge es darum, dabei zu sein, um nichts zu verpassen. Leider positionierte sich auch der Schweizer Baumeisterverband als wenig innovative Institution.
Positivbeispiele geben Hoffnung
Bedauerlicherweise kamen an der gesamten Veranstaltung, wo es ja um eine zukunftsfähige Art zu wirtschaften gehen sollte, die Konzepte «Postwachstum» oder «Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen» nicht vor. Trotzdem war die diesjährige Durchführung interessant, weil sie eine umfassende Übersicht aller Wirtschaftsvertreter und -vertreterinnen und deren Engagement für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft vermittelte. Das gilt für das Bauwesen genauso wie für alle übrigen vertretenen Branchen. Zumindest haben sich einzelne Teilnehmende an die substanziellen Fragen des nachhaltigen Wirtschaftens herangewagt – und das gibt Anlass zur Hoffnung.