Suffizienz als Strategie
Brigitte Nyffenegger vom Büro Umland beschäftigt sich mit der Erstellung von ressourcenschonenden Aussenräumen. Sie plädiert für mehr Verhältnismässigkeit, eine Sensibilisierung für die Qualitäten der «Strategie der kleinen Eingriffe» und die Integration des Themas in die Planung.
Was beim Bauen allmählich salonfähig wird – die Wiederverwendung des Vorhandenen und ein umsichtiger Umgang mit dem Bestand –, sollte auch bei der Aussenraumgestaltung Fuss fassen, wo grosse Mengen an Material verbaut werden. Die Frage, was wirklich notwendig ist und was weggelassen werden kann, ist wichtig. Doch suffizientes Handeln ist politisch, aber auch fachpolitisch heikel, da ihr Ziel mit einer Reduktion an Quantität verbunden ist. Suffizienz kann auch befreiend wirken.
Ein Blick zurück
Vergleichsbeispiele waren bereits in den 1980er-Jahren beim Prinzip des «kleinstmöglichen Eingriffs» in der Landschaftsarchitektur und bei der Auseinandersetzung mit historischen Bautechniken ein Thema. Louis le Roy, Peter Latz, Eduard Neuenschwander oder auch René Haubensak und Ursula Schmocker-Willi haben Beispielhaftes geleistet. Sie wendeten schon damals die Kreislaufwirtschaft an oder beliessen wesentliche Teile des Vorbestands. Das heutige Re-Use war bei ihnen eine beliebte und die Anlagen bereichernde Strategie. Der kleinstmögliche Eingriff schuf neue Qualitäten.
Das Wegwerfen von noch Brauchbarem ist in der Menschheitsgeschichte ein junges Phänomen. Es geht einher mit der Entwicklung des Wohlstands nach dem Zweiten Weltkrieg. Zuvor wurde Brauchbares behalten und weiter verwertet. Daran knüpfen die Überlegungen zu den Massnahmen in den folgenden historischen Anlagen an: Bei der Umgestaltung des Ziergartens des Landguts Mariahalde in Erlenbach im Jahr 2018 wurden nur Teilbereiche verändert, und trotzdem wandelte sich der Charakter des Gartens dadurch massgeblich.
Die Englische Anlage in Bern ist ein weiteres Beispiel. Das Büro Umland setzte mit geringen finanziellen Mitteln kleine Eingriffe um. Diese tragen dazu bei, den Grünraum für lange Zeit mit wenig Aufwand zu erhalten (Das Projekt war nominiert für den Prix SIA 2024).
Die Formulierung der Aufgabenstellung beeinflusst die Anforderungen und den Bearbeitungsumfang. Das Thema ist speziell von Interesse bei der Aufwertung von Wohnsiedlungen. Gesucht ist eine maximale Aufwertung mit einem Minimum an Aufwand und CO²-Ausstoss.
Räumliche und atmosphärische Aufwertungen
Einige Aussenräume von Siedlungen aus dem Portfolio von Stiftungen und Pensionskassen wurden durch unser Büro kostengünstig, aber nicht umfassend aufgewertet. Ziel war es, für die Nutzer und Nutzerinnen sowie für die Natur räumlich und atmosphärisch qualitätsvolle Aussenräume zu schaffen.
Die Wohnsiedlungen enthielten meist grosszügige Rasenflächen und im «Hauswartsschnitt» zusammengestutzte Sträucher. Durch die Umstellung der Pflege und mit der Entwicklung des Pflanzenbestands durch Neupflanzungen sowie wenige Rodungen wurde die Raumstruktur geklärt. Eine Aufwertung erfolgt auch durch die Umstellung vieler Sträucher auf freiwachsend und das veränderte Mähregime.
In der Siedlung an der Schauenbergstrasse 24–26 in Zürich wurden kleine Sämlinge ausgegraben und andernorts eingepflanzt, um ihnen eine Zukunft zu geben. Die Baumpflanzungen auf der Parzellengrenze konnten mit den Nachbarn einvernehmlich durchgeführt werden. Der Abtransport und die Zufuhr von Materialien erfolgte mit minimalem Aufwand. Bei der Entwurfsarbeit arbeiteten wir nur mit Handskizzen und reduzierten den Ausführungsplan. Die Resultate überzeugen uns.
Für eine grössere Siedlung führten wir eine Musterinstandsetzung des Gartens durch. Wir verwendeten darin alle baulichen und pflanzlichen Materialien wieder, verkleinerten den Sitzplatz, fassten die Stellriemen zu einem Beet zusammen, verlegten die Schrittplatten neu und lichteten die Bepflanzung aus. Wenige Sträucher und zwei Obstbäume wurden neu gepflanzt. Räumlich, atmosphärisch sowie ökologisch erfuhr der Garten eine Aufwertung. Am Tag der offenen Tür wurde der Garten bemängelt. Die neue Wiese stiess auf Ablehnung. An ihrer Stelle wurde eine Rasenfläche gewünscht. Die ökologische Aufwertung des Gartens wurde nicht verstanden. Was nicht den gängigen Bildern entsprach, wurde nicht wahrgenommen. Wiederverwendete Baumaterialien wirken unscheinbar, und die klein gepflanzten Obstbäume müssen ihre Kronen erst noch bilden.
Qualitäten kleiner Eingriffe
Umso wichtiger erscheint darum die Sensibilisierung für die neuen Qualitäten, woran sie erkennbar sind und wie sich der Garten entwickeln wird. Offensichtliche Veränderungen werden gewürdigt. Eine Belagsoberfläche mit neuen Steinen oder räumlich «fertige» Gärten mit grösseren, neu gepflanzten Gehölzen werden als positive Veränderung wahrgenommen. Die räumlichen und atmosphärischen Aufwertungen hingegen entgehen dem ungeübten Auge.
Genügsamkeit in der Landschaftsarchitektur kann sich dadurch auszeichnen, dass nach Möglichkeit vom Ort und dessen Eigenart ausgegangen wird. Dazu muss der Ort gelesen und seine Qualitäten verstanden werden. Diese Strategie ist insbesondere bei Instandsetzungen oder Umnutzungen zielführend und hat zur Folge, dass die Veränderungen gering ausfallen.
Ein Schlüsselerlebnis war die Instandsetzung des öffentlichen Bereichs der Freizeit- und Erholungsanlage Zürich-Seebach. Die Projektleiterin von Grün Stadt Zürich, die das Projekt begleitete, wurde von einem ihrer Kollegen gefragt, ob in der Anlage überhaupt ein Eingriff erfolgt sei. Wir hatten die Raumstruktur geklärt, Treppe und Wege neu in Beton erstellt, eine Mauer und ein Spielgerät aufgestellt. Wenn die Instandsetzung nicht wahrgenommen wird, so schliessen wir daraus, dass sie sich gut integriert. Die Massnahmen wirken selbstverständlich. Das ist eine Qualität.
Uns interessiert auch das maximal Machbare in der Projektierung im Sinne der Suffizienz. Dies motivierte uns, alle Möglichkeiten der Reduktion des CO²-Ausstosses für die Erstellung und die Pflege eines Aussenraums zu berücksichtigen. Anhand von Listen mit Handlungsoptionen, die mit der Auftraggeberschaft besprochen werden, kann man überprüfen, welche Optionen bei einem Projekt sinnvoll sind. Kriterien wie Gestaltung und minimaler CO²-Ausstoss bei der Realisierung sollen berücksichtigt werden, um mit möglichst wenig baulichem Aufwand Wohlbefinden für die Bewohnenden zu erzeugen.
Notwendig oder wünschenswert?
Wir sollten uns wegbewegen von einem Maximum an Gewinn, Prestige, Komfort, Sicherheit, Pflegeleichtigkeit, aber auch von einer maximalen Realisierung von wohnlichen und ökologischen Qualitäten und uns zu einer Verhältnismässigkeit hinwenden. Es empfiehlt sich dabei zu unterscheiden, was notwendig und was wünschenswert ist. Letzteres kann auch mal weggelassen werden.
Die Suffizienz von Massnahmen muss in der strategischen Disposition von Planungen und Projekten zukünftig einen festen Platz erhalten. In der Erarbeitung der Ziele, der Aufgabenstellung oder der Leitbilder liegen die grössten Möglichkeiten, den Umfang, die Intensität und die Art der Veränderungen zu steuern. Die Auftraggebenden sind hier aufgefordert, Einfluss zu nehmen und die Massnahmen dementsprechend zu formulieren.
Auch soll während der Entwicklung eines Projekts geprüft werden, ob vergleichbare Qualitäten auch mit weniger baulichen Mitteln realisierbar sind. Die Überprüfung soll fortlaufend in allen Bearbeitungsschritten von der Zielsetzung bis in die Realisierung erfolgen. Dadurch kann der CO²-Ausstoss bei der Erstellung reduziert, der Arbeitsaufwand verringert und der Fachkräftemangel in Planung und Bau entspannt werden. Es kann Raum und Zeit für Neues entstehen.
Suffizient durchgeführte Projekte benötigen eine gute Kommunikation und Sensibilisierung, damit deren Qualitäten wahrgenommen und gewürdigt werden können. Diese Kommunikation betrifft die Fachwelt, die Politik sowie auch die Gesellschaft. Verbände und Medien aller Art sind angehalten, entsprechend zu wirken. Eine Veränderung der Wahrnehmung und des dahinter liegenden Wertesystems erscheint uns notwendig!