Eine Frage - Zwei Meinungen: Mike Schlaich und Tobias Wallisser
Das Heft 49-50/2011 von TEC21 beschäftigte sich mit der umstrittenen Sheik Zayed Bridge der Architektin Zaha Hadid in Abu Dhabi. Um die Diskussion zu bereichern, fragte TEC21 einen Architekten, der das dortige Umfeld kennt, und einen nicht am Projekt beteiligten Bauingenieur: Was halten Sie von der Sheik Zayed Bridge?
Mike Schlaich:
«TEC21 hat das Heft 49-50/2011 der Sheikh Zayed Bridge gewidmet. Dort wird in verschiedenen Beiträgen festgestellt, dass die Brücke in vielerlei Hinsicht kein gelungenes Werk ist: sei es im Hinblick auf das Zusammenspiel von Tragwerk und Form, das Verhältnis von Kosten und Massen, in Fragen der Nachhaltigkeit oder gar für die Aussendarstellung des Landes bzw. der Bauherrschaften. Man kann aber auch Unvollkommenes lieb gewinnen: Der Eiffelturm kam bei den Einwohnern von Paris anfangs nicht gut an, weil man wohl den Einsatz von 10 000 t Stahl als Geldverschwendung ansah, und die Oper in Sydney ist in einem Gebäude untergebracht, das kein besonders gutes Tragwerk besitzt, aber trotzdem bis heute Bauschaffende beeindruckt und Symbolcharakter erlangt hat. Ein solches Potenzial hat die Brücke jedoch nicht. Sie bietet weder Rekorddimensionen, noch ist sie mit einem neuen Werkstoff realisiert, noch prägt sie signifikant und ansprechend das Bild einer ganzen Stadt oder eines ganzen Kontinents. Sie wird als peinlicher Fehler wohl bald in Vergessenheit geraten. TEC21 hätte daher meiner Meinung nach noch klarer Stellung beziehen können. Es ist bedauerlich, dass bei einem so teuren und wichtigen Bauwerk offenbar keine wirkliche Zusammenarbeit der Beteiligten stattgefunden hat. Die Architektin hat sich nach Abgabe einer Entwurfsskizze anscheinend nicht mehr darum gekümmert und war kein einziges Mal auf der Baustelle. Der notwendige Diskurs zwischen Ingenieur und Architekt blieb aus. Die weitere Planung ist dafür bezeichnend: Sie wurde von so vielen Büros durchgeführt, dass sich am Ende keiner mehr verantwortlich fühlte. Es ging nur noch darum, sich der technischen Herausforderung zu stellen, das beinahe «Unbaubare» doch zu bauen. Das gilt auch für die Baufirmen. So hat man die Chance verpasst, einen Beitrag zur Baukultur zu leisten, das Gesamtkunstwerk zu versuchen. Peinlich ist dies vor allem für die Bauherrschaft, bei der diese arme Brücke nun steht.»
Tobias Wallisser:
«Die Brücke hat unter tragwerksplanerischen Gesichtspunkten keine Chance auf eine ihr angemessene Beurteilung. Aber unter diesem Aspekt allein darf man sie auch nicht betrachten. Ich war oft in Abu Dhabi und konnte den Bauprozess verfolgen. In der Stadt werden viele Brücken gebaut, die zwar ordentlich, aber gestaltlos die einzelnen Stadtteile verbinden. Man fährt kilometerlang auf Autobahnen, die Strecke ist gesichtslos. Diese Brücke dagegen ist ein von weithin sichtbares Signal. Man kann sie in diesem Zusammenhang mit der Erasmusbrücke in Rotterdam vergleichen, durch die ein ganzer Stadtteil neu erschlossen wurde, sich die Gewichtungen in der Stadt verschoben haben. Man darf nicht vergessen, dass Abu Dhabi keine Stadt im europäischen Sinn ist. Es gibt kein historisches Zentrum, keine gewachsenen Strukturen. Und nun formuliert diese Brücke irgendwo zwischen Flughafen und dem Zentrum einen Stadteingang. Diese Zeichenhaftigkeit schätze ich. Gerade weil es viele Infrastrukturbauten ohne architektonischen Anspruch gibt, ist diese Brücke wichtig. Sie hat diese elegante Wellenbewegung, die sich von den Pfeilern in den Bögen fortsetzt. Die Form ist in diesem Fall eindeutig wichtiger als die Ableitung der Kräfte. Die Gestaltung und der damit verbundene Aufwand sind an diesem Ort gerechtfertigt. Warum sollte er nur für Hotels und Formel-1-Strecken betrieben werden, warum nicht für etwas, das eine städtebauliche Relevanz besitzt? Es gibt noch einen zweiten Aspekt: Ein solches Bauwerk bringt auch die Bautechnologie und damit die Bauindustrie vor Ort weiter. Das ist auch eine wichtige Funktion von Architekturexport: der Know-how-Transfer. Natürlich wünscht man sich, der Bauprozess hätte stärker berücksichtigt werden können, ebenso die lokalen Einflüsse darauf. Wenn man ein Projekt in einem anderen Teil der Welt realisiert, dann sollte man sich als Architekt überlegen, auf welches Know-how man zurückgreifen kann. Wir Architekten neigen dazu, den fertigen Zustand eines Bauwerks vor Augen zu haben und zu wenig den Prozess, der dorthin führt. Architekten und Ingenieure sollten viel stärker über den Prozess diskutieren. Dann würden Probleme, wie sie die nach aussen geneigten Pfeiler für den Bau und auch das Tragwerk produziert haben, stärker in den Prozess integriert.»
Neue Reihe: «Eine Frage Zwei Meinungen»
Mit der ersten Ausgabe 2012 startet TEC21 eine neue Reihe: In «Eine Frage zwei Meinungen» kommen in unregelmässigen Abständen zwei Experten zu aktuellen oder heftbezogenen Themen zu Wort. Den Anfang machen Mike Schlaich, Bauingenieur, und Tobias Wallisser, Architekt, die wir um ihre Meinung zur Sheik Zayed Bridge in Abu Dhabi baten.