Dies- und jen­seits der Leere

Editorial aus Tracés Nr. 09/2015

Date de publication
19-06-2015
Revision
25-08-2015

Laut Le Petit Robert kommt das französische Wort «pont» (Brücke) aus einer indoeuropäischen Wortfamilie, die im weitesten Sinne die Bedeutung «Überqueren» abdeckt. Das griechische Wort «pontos» bedeutet «Meer». Die Brücke ist demnach konsubstantiell mit dem Hindernis verbunden, das sie zu überwinden erlaubt. Sie verbindet, was auf natürliche Weise durch Schluchten, Flüsse oder Meerengen oder künstlich durch Strassen oder Bahngleise getrennt wurde und befreit damit den Menschen von der Behinderung, die diese Geländegegebenheiten für seine Wege und seinen Austausch darstellen.

Seit Beginn der 2000er-Jahre ist in der Schweiz ein regelrechter Hype nach Hängeseilbrücken im tibetischen Stil zu spüren, was quasi aus der Not heraus geboren wurde, denn sie sind eine elegante Lösung zur Überwindung der Auswirkungen des Klimawandels in der Alpenlandschaft. Mit ihnen können die neuen Hindernisse, die durch das Abschmelzen der Gletscher, das Auftauen des Permafrostbodens oder durch neu gebildetete Seen entstehen, leicht überwunden werden.

Einige von ihnen, so die Triftbrücke im Gebiet am Sustenpass, sind selber zum Ausflugsziel geworden. Dort, wo die Wanderer früher einen mittlerweile verschwundenen Gletscher betrachteten, bewundern sie heute die Hängeseilbrücke und gönnen sich in luftiger Höhe ca. 100 Meter über dem Boden eine gehörige Portion Nervenkitzel.

Die Akteure im Fremdenverkehr wissen um diese Wirkung, und so schiessen die Projekte wie Pilze aus dem Boden. Einige dieser Hängeseilbrücken wurden in die bestehenden Wanderwege integriert und werten diese auf. Sie sind ein Werbeargument, erfüllen aber immer noch die Funktion als Querungshilfe. Andere, wie der «Titlis Cliff Walk» oder der «Peak Walk» in Les Diablerets, sind eine reine Touristenattraktion. Sie sind zweifellos spektakulär – höher, länger, schwindelerregender usw. –, aber sie sind in keine Wege eingebunden, führen also nirgendwo hin. Denkt man an ihre Vorbilder aus dem Himalaya, wo nur so viel wie nötig verbaut wird, was soll man dann zur «Highline 179» bei Reutte im Tirol sagen? Diese Brücke wurde nicht so kurz, sondern so lang wie möglich gebaut, nur um - wenn auch nur für kurze Zeit - im Guinness-Buch der Rekorde zu landen. Ist eine solche Architektur nicht sinnentleert.

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