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Tate Modern und Museum Unterlinden

Mit den Anbauten der beiden Vorzeigemuseen in London und Colmar demonstrieren Herzog & de Meuron ihre entwerferische Spannweite.

Publikationsdatum
03-11-2016
Revision
15-11-2016

Colmar mit seinen knapp 70 000 und London mit seinen mehr als acht Millionen Einwohnern lassen sich schwerlich vergleichen. Und auch das Museum Unterlinden, dessen eigentliche Attraktion der Isenheimer Altar ist, und die Tate Modern sind im Grunde inkommensura­bel – abgesehen davon, dass beide Ausstellungshäuser unlängst durch Herzog & de Meuron erweitert wurden (vgl. «Enigma aus Backstein» und «Mit Mut und Witz»).

Angesichts mancher Museumsvergrösserung der vergangenen Jahre mag sich Skepsis einstellen: Räumlicher Zuwachs bedeutet auch mehr Betriebskosten. In Zeiten stagnierender Kulturbudgets führt das zu Problemen, weil sich Mäzene oder Sponsoren zwar für prestigeträchtige Bauprojekte, nur selten indes für die Finanzierung von Wach- oder Reinigungspersonal gewinnen lassen. Auch in Colmar und London wurde das Gros der Baukosten für die Erweiterungen nicht von der öffentlichen Hand getragen. Allerdings steht in beiden Fällen die Notwendigkeit des Eingriffs ausser Frage.

Das hat nur vordergründig mit der Argumentation zu tun, die immer zwecks Legitimierung von solchen Projekten vorgebracht wird: dass das jeweilige Museum angesichts der stetig wachsenden Sammlung aus allen Nähten platzt. Eine geschickte Ausstellungsstrategie könnte die Argumente entkräften; in den meisten Museen ist ein Grossteil der Sammlung magaziniert. Auch steigender Raumbedarf für paramuseale Zwecke fungierten als Auslöser für die Bauprojekte. Was die beiden Interventionen aber so überzeugend macht, ist deren städtebauliche und letztlich auch gesellschaftliche Dimension.

Museen sind nicht mehr allein Orte der Selbstvergewisserung bildungsbürgerlicher Milieus, sondern urbane Generatoren ersten Rangs. Trotz einer nicht über jeden Zweifel erhabenen Sammlung hat sich die Tate Modern als das international besucherstärkste Museum für Moderne Kunst etabliert. Sie ist so erfolgreich, dass Herzog & de Meuron entgegen ersten Ent­wür­fen nun mehr Distanz zur radikal kommerzialisierten Umgebung wahren und auf ein introvertiertes Konzept setzen, das mit dem Raum der Turbine Hall schon angelegt war.

Letztere war der Geniestreich des ersten Tate-Konzepts von 2000: Sie ist einerseits ästhetischer Separatraum, andererseits öffentlicher Ort – in Londons Innenstadt ansonsten Mangelware. Am Rand der Altstadt von Colmar stellte sich die Situa­tion anders dar: Hier ist mit der Erweiterung des Museums Unterlinden Stadtreparatur geleistet worden. Ein Hallenbad der Belle Epoque konnte einer neuen Nutzung zugeführt werden, wichtiger noch aber ist die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums.

Die Place Unterlinden ist zum Angelpunkt des Gesamtkonzepts geworden: Die Architekten befreiten sie vom Verkehr und legten den Canal de la Sinn frei. Und dann steht auf dem Platz noch ein merkwürdig verformtes Gebäude mit Wänden aus aufgeschlagenen Lochziegeln und einem Kupferdach. Ein wenig mutet es an wie Rotwangs Haus aus Metropolis, und sein surrealer Charakter wird dadurch noch verstärkt, dass man es nicht betreten kann. Das kleine Bauwerk, eine Variation der im Œuvre von Herzog & de Meuron ostinaten Urhüttenthematik, gliedert und rhythmisiert den Platz.

Und es ermöglicht mittels seiner Fenster den Blick in die Tiefe, kann damit also auch als skulpturaler Hinweis auf die unterirdische Galerie verstanden werden. Denn eine zentrale Idee der Basler Architekten bestand darin, dass der Komplex aus Kloster und Kirche auf der anderen Seite des Platzes ein spiegelbildliches Pendant findet, als zeitgenössische Interpretation des einst hier bestehenden, dem Kloster zugeordneten Gutshof. Das neue Ensemble setzt sich zusammen aus dem winkelförmigen Komplex des angrenzenden Schwimmbads sowie einem «Ackerhof» genannten Neubau. Mit seinem hohen Satteldach und den Spitzbogenfenstern spielt das Gebäude mit his­torischen Referenzen in einem Masse, wie es bei Herzog & de Meuron vielleicht überraschen mag.

In London wie in Colmar trennen die Architekten Ausstellungssäle und übrige Publikumszonen. Die Kunst behält ihre eigenen Bereiche. Herzog & de Meuron sind seit jeher – und das zu Recht – nicht die Verfechter eines Kulturzentrums, in dem alles zu gleicher Zeit und im gleichen Raum stattfindet. Backstein ist das Baumaterial, das beide Projekte verbindet. In London vermittelt er zum Infrastrukturbau des vormaligen Kraftwerks, in Colmar entstanden mural geprägte Bauten, die sich volumetrisch in die Kubatur der historisch geprägten Altstadt einfügen, durch den seriellen Charakter des Backsteins jedoch einen abstrakten Ausdruck besitzen.

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