An­ker und Ru­he­raum

Kirchen sind besondere Orte. In Zeiten des gesellschaftlichen Wandels wird ihr Wert erneut bewusst. Dennoch ist abzusehen, dass es aufgrund des Mitgliederschwunds schwieriger wird, ihren Unterhalt zu gewährleisten. Umso wertvoller ist der Erhalt jedes einzelnen Baus – besonders, wenn es wie im Fall der Gelöbniskirche Maria-Schutz in Kaiserslautern gelingt, das historische Gebäude mit einer wesensverwandten Nutzung als Kolumbarium zu erweitern.

Publikationsdatum
20-12-2023

Kirchen sind identitätsstiftend und haben eine gesellschaftliche Bedeutung, und zwar über ihre eigentliche sakrale Funktion hinaus. Wir brauchen diese Orte, an denen wir zur Ruhe kommen und Kraft tanken können.

Bayer Uhrig Architekten aus Kaiserslautern übernahmen die Aufgabe, ein Kolumbarium mit 1300 Grabkammern in die dortige Gelöbniskirche Maria-Schutz (1928/29) zu integrieren und die Räumlichkeiten im Zuge einer Renovierung an diese erweiterte Nutzung anzupassen. Die Architekten ordnen die Urnenwände in den beiden flachgedeckten Seitenschiffen orthogonal zu den Aussenwänden und damit quer zum Längsschiff des Kirchenraums an. Auf diese Weise schaffen sie zehn kleine Kapellen innerhalb der denkmalgeschützten Sakralarchitektur.

Die neue räumliche Struktur für die Grabstätten fügt sich selbstverständlich und respektvoll in den Rhythmus der Arkaden ein. Im Vergleich zu dem ursprünglich vorgesehenen Ansatz, die Urnenwände längs, also parallel zum Kirchenschiff aufzureihen, überzeugt die realisierte Lösung mit ihrer eigenen Qualität: Mit dem räumlichen Konzept der Kapellen entstehen Orte der Geborgenheit und des Rückzugs, die dennoch in einem Bezug zum grossen Raum stehen. Sie sind zugleich geschützt und Teil des Ganzen.

Kreis des Lebens

Mit nur wenigen Eingriffen gelingt es, die neue Nutzung zu integrieren, die historische Substanz behutsam zu renovieren und damit dem Kirchenraum eine Bedeutung über seine sakrale Funktion hinaus zu schenken. Altes und Neues sind in ein stimmiges Ganzes zusammengeführt. Neben der Erweiterung als Kolumbarium haben die Architekten den zentralen Bereich des Kirchengestühls saniert, ebenso die Raumhülle des Kirchenraums. Die Eckkapellen sind umgewidmet und die ehemalige Taufkapelle ist zu einem Andachtsraum umgestaltet, der für kleine Trauerfeiern genutzt werden kann.

Der Taufstein ist nun in der Achse zum Altar zentral im Eingangsbereich aufgestellt. Die Pfarrkirche nimmt die Verstorbenen in ihre Mitte auf, dort wo auch das Gemeindeleben und gemeinschaftliche Feiern stattfindet. Sie wird zu einem Ort der Erinnerung. Dass Leben und Tod untrennbar miteinander verbunden sind, spiegelt sich im räumlichen Konzept.

Fein komponierte Details

Die architektonische Gestaltung ist bewusst zurückhaltend, nichts drängt sich in den Vordergrund – und doch sind es die feinfühligen, wohl abgestimmten Details, die massgeblich zur atmosphärischen Kraft dieses Raums beitragen. Ornamentales Hauptmotiv ist die Rosette des grossen Kirchenfensters der historischen Kirchenfassade im Westbau. Die Struktur des Motivs wird zum Thema der Gestaltung der aus Stahl gefertigten Urnenwände: Einmal in Form eines Reliefs in den glasierten Keramiktafeln, die die einzelnen Kammern verschliessen, einmal in einer offenen, filigranen Struktur im oberen Teil der Nischenfelder. Das ornamentale Muster wird hier zum Lichtfilter, über den indirekt ein warmes Licht in die Nischen fällt.

Die Grundstruktur des Sakralraums ist über diese Lichträume in den Spitzbögen sichtbar. Die Keramiktafeln, die die Urnengräber verschliessen, sind wie eine Faltung angeordnet, wodurch jedes einzelne Feld als solches lesbar ist und damit eine Bedeutung erhält. Der Name der Verstorbenen ist in kleinen Messingtafeln eingraviert. Die Trauernden haben die Möglichkeit, ein persönliches Zeichen des Abschieds und der Erinnerung aufzustellen: für den Blumenschmuck sind kleine, schlichte Gefässe vorgesehen. Der Raum strahlt Wärme aus und lädt ein, sich zurückzuziehen und dort zu verweilen. 

Geerdeter Hauptraum

Im sakralen Hauptraum ist das Kirchengestühl aus dunklem Holz behutsam renoviert. Es steht auf einem dunklen Grund, ebenfalls aus Holz, und vermittelt, umgeben von den warmen Gold- und Cremetönen des Kolumbariums in den Seitenschiffen, das Gefühl, getragen und geerdet zu sein. Farben sind mit äusserster Zurückhaltung eingesetzt. Sie bleiben den historischen Elementen vorbehalten, dem grossen Rosettenfenster in der Westfassade und der Kassettendecke, die dezent farbig gefasst ist. Einzig die Farbe Violett ist in ihrer liturgischen Bedeutung als Sinnbild für Übergang und Verwandlung in Hinblick auf die neue Nutzung als Kolumbarium aufgegriffen.

Das Ergebnis ist ein Raum von grosser Klarheit, Ruhe, Kraft und Wärme. Die Umgestaltung des Kirchenraums mit der Erweiterung seiner Nutzung ist ein Gewinn: räumlich, achitektonisch, atmosphärisch – und als Raum für die Gemeinschaft, der in die Zukunft trägt.

Dieser Artikel erschien erstmals in Kunst und Kirche, 03/2022.

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