Anregende Gegensätze in der Bau- und Lernkultur
Wo lernen angehende Architektinnen und Architekten besser: in geschickt hergerichteten ehemaligen Industriehallen oder in einem wuchtig gestylten Neubau? Die Schweizer Fachhochschullandschaft ist an den Orten Muttenz und Winterthur mit Gebäuden von unterschiedlicher Intimität präsent.
Forcierte Expressivität: Neubau der Fachhochschule Nordwestschweiz
Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik, Life Sciences und Soziale Arbeit, Pädagogische Hochschule und Studiengang Mechatronik der Hochschule für Technik – dass im jüngsten Neubau der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zusammenkommt, was zusammengehört, lässt sich schwerlich behaupten. Doch das Konglomerat an Ausbildungsgängen, das am Standort Muttenz zusammengepresst wurde, ist Resultat von hochschulpolitischem Aktionismus. Und von freundeidgenössischem Föderalismus, der einen Baselbieter Standort neben Basel, Olten und Windisch unverzichtbar macht.
Auf dem Weg vom Bahnhof Muttenz zum neuen FHNW-Campus im Basler Vorort passiert man das dunkel-rigide Strafjustizzentrum (Kunz und Mösch Architekten, Basel, 2014) und suburbanes Wohngebiet: Lebendige Stadtlandschaften sehen anders aus. Vor diesem Hintergrund wird die Strategie von pool Architekten verständlich, mit der sie die Jury im Wettbewerb vor sieben Jahren überzeugt haben: Der ehemals gewerblich genutzte Perimeter zwischen Wohnquartier und Bahntrassee ist nicht grossflächig überbaut, sondern nimmt nur das zum kompakten Volumen komprimierte Raumprogramm auf.
Dadurch bleibt Platz für einen grossen, von Studio Vulkan gestalteten grünen Park, hinter dem der Hochschulneubau nahezu in Würfelform aufragt: 64 m breit, 72 m lang, 64 m hoch. Platz genug für 3700 Studierende und 870 Mitarbeitende, und alles in einem Haus. Kein Campus mithin, sondern ein Solitär dank umlaufender Fassade, ein Monument. Und, so bleibt zu hoffen, dank genügend kritischer Masse in Zukunft auch ein Inkubator für das umliegende Quartier.
Die feingliedrige Rasterstruktur der 14-geschossigen Fassaden aus Glas und anodisiertem Aluminium zeigt eine gewisse Zurückhaltung und verweigert sich der allzu grossen Geste, gibt aber Aufschluss über den inneren Aufbau des Gebäudes. Über dem allseits verglasten Eingangsgeschoss sind zwei geschlossene Ebenen angeordnet, hinter denen sich die Hörsäle verbergen. Das vollflächig verglaste dritte Obergeschoss bildet eine Zäsur, die zu den neun Normgeschossen mit ihrer engen Fensterreihung überleitet. Ein Technikgeschoss bildet den oberen Abschluss. Ebenfalls ablesbar an den Fassaden sind die Vertikalen der vier Erschliessungsschächte. Sie bilden die Tragstruktur des als Geviert um ein zentrales Atrium organisierten Gebäudes.
Die Zurückhaltung weicht forcierter Expressivität, sobald man im Atrium steht. Sechs Treppenläufe aus Beton sind in unterschiedlichen Winkeln quer durch das Atrium geführt und verbinden das Erdgeschoss mit den beiden Hörsaalgeschossen und der darüber befindlichen Bibliotheksebene – ein räumliches Erlebnis ohne Vergleich in der Schweiz. Der eigentliche Clou, der den Sog in die Höhe intensiviert: Über dem dritten Obergeschoss verändert sich die Logik des Gebäudes: Ein Mittelriegel tritt hinzu, der ingenieurtechnisch als stützenfreie Brückenkonstruktion die Mitte des Atriums überspannt.
Das Atrium spaltet sich auf in zwei breit gelagerte Lichthöfe, um die herum sich die Institutsbereiche abwickeln, mit den Büros im Westen und Osten und den studentischen Arbeitsbereichen im Norden und Süden sowie im Mittelreiter. In den drei unteren Ebenen des Mittelreiters finden sich Labors, ganz oben lädt ein offenes Dachatrium zur Pause.
Besonders eindrücklich sind die in die Lichthöfe ausgestülpten Wendeltreppen, als Skulptur für sich selbst und als Erlebnis bei deren Nutzung: Man blickt nicht nur auf die Innenfassaden ringsum, sondern auch in die schwindelerregende Tiefe. Hier steht, leicht aus dem Zentrum verschoben, die 11 m hohe Stele «Dreamer» von Katja Schenker, die das Thema der Monumentalität aufgreift und aus einem Konglomerat von Materialien eine Oberflächenstruktur geschaffen hat, die zwischen Organischem und Anorganischem wechselt. (Hubertus Adam)
ZHAW Winterthur: aufgestockt, angedockt und verdichtet
Einen Gegenpol zum kompakten FHNW-Standort in Muttenz bildet die Bauschule der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) am Lagerplatz in Winterthur. In mehreren ehemaligen Industriehallen wird ein breites Repertoire zur Umnutzung und Ertüchtigung durchexerziert. Auch der jüngste Umbau von gadolaringli Architekten beweist: Je weniger man tut, umso inspirierender wird es für die Nutzer; angehende Architektinnen und Architekten finden viel Luft und Atmosphäre zum Studieren.
Der Standort ist eines der grössten Transformationsareale der Schweiz: Vor 184 Jahren begann der Metallbaukonzern Sulzer, sich in der Nähe des Hauptbahnhofs Winterthur auszubreiten. Inzwischen ist vieles davon Industriegeschichte; in den ehemaligen Hallen und Werkstätten siedeln sich andere produktive Institutionen an. So haben sich hier mehrere ZHAW-Abteilungen einquartiert. Die Ausbildungs- und Unterrichtsräume des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen finden Platz in der einstigen Kesselschmiede; die 120 m lange, 40 m breite und 14 m hohe Halle 180 wurde mit reduziertem Aufwand umgenutzt.
Letztes Jahr wurde die Ausweitung zum zusammenhängenden Komplex «Haus Albert Frey» abgeschlossen. Dieser Name erinnert an den aus Winterthur stammenden Architekten und Wegbegleiter von Le Corbusier. Die Anpassung und Umnutzung der Erweiterungsbauten respektieren abermals den Charakter des Industriebestands.
Die Haupthalle mit der typischen Backsteinhülle und dem Sheddach bildet mit zwei rund 70 Jahre alten, teilweise turmartigen Anbauten einen zusammenhängenden Raumkomplex; darin sind Hörsäle, Seminar- und Ausstellungsräume, Büros, ein Archiv sowie die Mensa untergebracht. Die Atelierplätze profitieren von viel Tiefe und Luft nach oben; Nutzungseinheiten lassen sich bei Bedarf mit Vorhängen verkleinern. Weiterhin bestechen die Räume durch ihre rohe Robustheit und eine grosszügige Wirkung. Das interne Gefüge, das die Räume multifunktional vereint, ist punktuell aufgestockt, intern verdichtet sowie geschickt angedockt; teilweise ergänzte Galerie- und Zwischengeschosse fügen sich zu einer horizontal und vertikal durchgängigen Raumabfolge.
Die architektonische Transformation begnügt sich mit mikroinvasiven baulichen Eingriffen. Die Einbauten beschränken sich auf zwei Zusatzgeschosse und zwei Treppenanlagen. Eine davon befindet sich im Gebäudekopf, dem knapp 20 m hohen einstigen Kohleturm. Dieser dient neuerdings nicht nur zur Erschliessung, sondern ist auch mit Service-, Archiv- und Restaurationsräumen belegt. Sechs Betontrichter ragen nun spektakulär und ikonisch von oben in die helle Mensa hinein. Die Wände sind mit grossen Fenstern durchsetzt. Noch eindrücklicher ist der Blick nach aussen im Dachgeschoss, zwei Etagen höher. Dieser Platz ist mit einem Grossraumbüro der Schulleitung belegt.
Die baulichen und technischen Verbesserungen der Akustik, des Komforts und der Gebäudesicherheit ordnen sich mehrheitlich dem reduzierten Ausbaustandard unter. Lediglich fensterlose Nebenräume sind mechanisch belüftet; ansonsten wird der Luftwechsel in den Arbeits- und Schulräumen bedarfsorientiert über automatische Fensteröffner organisiert. Im Gegensatz dazu hinterlässt der Wärmeschutz fast die einzigen sichtbaren Spuren einer Gebäudeerneuerung.
Der Sockel der Aussenfassaden, bereits im Ausgangszustand mit zweckmässigem Charakter, ist mit einem Aussen-Wärmedämmverbundsystem abgedichtet worden. Die kleinteilig gerasterten, einfach verglasten Scheiben hat man belassen, aber Wärmeschutzfenster vorgesetzt. Und der über die Haupthalle ragende Kohleturm ist ebenfalls neu eingepackt; die Beplankung aus gewelltem Profilblech erzeugt weiterhin eine industrielle Wirkung.
Die Bauherrschaft will weitere ehemalige Sulzer-Bauten auf vergleichbare Weise baulich anpassen. Das neueste Projekt soll aber in eine Blechhülle eingepackt werden, die ein Recyclingprodukt ist und aus einer Bauteilbörse stammt.
Was wirkt inspirierender?
Die Fachhochschulen in der Schweiz trauen sich architektonisch einiges zu und verfügen offensichtlich über die geistigen und materiellen Ressourcen, ihre dezentrale Präsenz selbstbewusst zu markieren. Die Resultate können, wie die beiden Porträts zeigen, kaum bestechender, aber auch kaum gegensätzlicher ausfallen. In Muttenz wird ein makellos komponiertes Haus zelebriert; in Winterthur richtet man sich in offenen, veränderlichen Strukturen ein. Wie sehr das Fertige oder das Unfertige die Kreativität der Studierenden inspiriert, ist ein Prozess, den es nicht nur mit einem Augenzwinkern zu beobachten gilt.
(Paul Knüsel)
FHNW Muttenz – am Bau Beteiligte
Bauherrschaft
Kanton Basel-Landschaft
Architektur
pool Architekten, Zürich
Bauingenieur
Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich
Gebäudetechnik
Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro, Basel
Gebäudeautomation
Drees & Sommer, Zürich
Kunst am Bau
Katja Schenker, Zürich
Daten
Energiebezugsfläche: 5300 m2
Energiekennzahl: 60 kWh/m2
Umbauzeit: 2016–2018
ZHAW Winterthur, Haus Albert Frey (Hallen 180, 189, 191) – am Umbau Beteiligte
Bauherrschaft
Stiftung Abendrot, Basel
Architektur
Hallen 189/191: gadolaringli architekten, Zürich, mit MS2B, Dübendorf (Halle 180: Mäder + Mächler Architekten Zürich); Eppler, Maraini, Schoop, Baden
Bauphysik
bws Bauphysik, Winterthur (Hallen 189/191)
Mehr zum Projekt im Sonderheft «Immobilien und Energie Nr. 1: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren».