Ein sachlicher Umgang mit der Bautradition
Bauen in den Alpen
Im Oberwallis wurde rund um das neue Unesco-Zentrum eine Zentrumsüberbauung realisiert. Auf der Sonnenterrasse von Crans-Montana entstand in einem ehemaligen Bauhaus-Hotel eine Jugendherberge. Beide Projekte fügen sich in den Bestand.
Jugendherberge «Bella Lui»
Der Walliser Ferienort Crans-Montana liegt auf einem sonnenreichen Hochplateau 1500 m ü. M. und beeindruckt mit Aussichten vom Matterhorn bis zum Montblanc. Das aussergewöhnliche Klima und die wohltuende Wirkung hat Patienten mit Lungenerkrankungen schon Anfang des 20. Jahrhunderts in eines der zahlreichen Sanatorien gelockt. Das Bella Lui – «schönes Licht» im alten Walliser Dialekt – wurde 1930 erbaut. Der lichtdurchflutete Bau von Rudolf Steiger und Flora Crawford ist ein typischer Vertreter des Bauhausstils und besticht mit klarer Formensprache. Durchgehende, teilweise übereck verlaufende Fensterbänder strukturieren die Fassade auf der Nordwestseite. Die vorgelagerte Balkonschicht unterstützt die klare Gliederung an der Südostfassade und schützt vor Sommerhitze. Auch der hohe Glasanteil ist typisch für die Moderne. Das Bella Lui war das erste Wohngebäude in der Schweiz mit geschweisstem Stahlskelett. Seit 2002 steht der Zeitzeuge des Neuen Bauens unter Denkmalschutz. Inzwischen hat die Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus das Hotelgebäude erworben.
Die Modernisierung begann im Oktober 2016; sie umfasste die historische Aufbereitung der geschützten Bausubstanz. Zudem wurden für den Jugendherbergsbetrieb erforderliche Elemente ergänzt. Das Architekturbüro Actescollectifs aus Sierre ging mit viel Feingefühl an die Erneuerung der Historie und beliess die schöne Patina. «In enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege konnten die ursprüngliche Farbgebung und Materialisierung ermittelt werden», sagt Hans-Urs Häfeli, Projektleiter bei den Schweizer Jugendherbergen. Nun verleiht ein feiner ockerfarbiger Reibeputz dem Gebäude wieder sein ursprüngliches Aussehen. Im Innern ersetzt rotbraunes Linoleum die alten Teppichbeläge, in harmonischer Ergänzung zu den eierschalenfarbigen Wänden und den türkisen Kacheln und Stühlen. Nicht erneuert wurde der Putz in den Korridoren, da die Struktur darunter, eine Art Innendämmung, zu brüchig und die Wiederherstellung zu kostspielig war.
Das Freilegen weiterer Details verschafft dem Bella Lui zu wesentlichen Teilen wieder den einstigen Glanz. Salon und Speisesaal wurden von Installationen und Abdeckungen früherer Sanierungen befreit. Unterstützt wird das historische Ambiente durch originale Sessel und Esszimmerstühle, ergänzt mit modernen Stücken. Noch nicht ganz zufrieden ist Architekt Ambroise Bonvin mit dem Speisesaal: «Hier müssten wieder Schiebefenster hin wie in den 1930er-Jahren.» Dies wird realisiert, sobald das nötige Budget vorhanden ist. Wer die Zeitreise vervollständigen möchte, bucht das Einzelzimmer mit dem ursprünglichen, von Flora Steiger-Crawford entworfenen Mobiliar.
Das fünfgeschossige Gebäude besass ursprünglich 41 nach Süden ausgerichtete Zimmer mit Lavabo und Balkon. Deren Typologie wurde belassen. Und obwohl einige Zimmer in den 1990er-Jahren Nasszellen erhalten haben, ist deren Grösse von rund 10 m2 für eine Jugendherberge, im Gegensatz zu Hotels, akzeptabel. Im Nordflügel entstanden dagegen Mehrbettzimmer mit Etagenduschen. Die Jugendherberge bietet nun 145 Betten an, was einen rentablen Betrieb erlaubt.
Die Gemeinschaftsräume bieten Platz für eine grössere Gästeschar: Im Empfangsbereich befindet sich eine ausladende Theke und im grossen Speisesaal ein Buffet für die Mahlzeitenausgabe und eine Durchreiche. Auf drei Terrassen lässt sich das herrliche Bergpanorama geniessen. Die Südfassade mit den Balkonen war 2003 saniert worden. Die übrige Gebäudehülle, sie befand sich im Originalzustand, wurde nun mit einem Aerogel-Dämmputz wärmetechnisch verbessert. In die originalen Fensterrahmen aus Holz wurde inwendig eine Isolierverglasung eingesetzt. Das Gebäude war dank Stahlskelett und Treppenhäusern bereits erdbebensicher gebaut.
Einzig die Wand auf der Westseite erhielt eine Karbonverstärkung, weil sie nicht wie erwartet aus Naturstein, sondern grösstenteils aus dünnen Backsteinen mit Mörtelfugen sowie Metallträgern besteht. Überhaupt ist das historische Gebäude sehr uneinheitlich und überraschend materialisiert. «Böden und Decken bestehen teils aus hohlen Betonelementen, teils aus Hohlziegeln auf einer Holzbalkendecke. Ein System ist beim Aufbau nicht zu erkennen; es erschloss sich erst nach eingehender Untersuchung», so Bonvin. Grund ist wohl die in den 1930er-Jahren herrschende Materialknappheit.
Mehrere Massnahmen waren hinsichtlich Brandschutz nötig: Da das feingliedrige Stahlskelett die gesamten Lasten trägt, mussten die Träger mit Brandschutzplatten verkleidet werden. Die Decken wurden vollflächig eingefasst und mit nicht brennbarem Dämmmaterial ausgeblasen. Diese Massnahme verbessert auch die Schalldämmung zwischen den Geschossen. Nun ist der Zeitzeuge bereit für die Zukunft und den Empfang neuer Gäste, die in den Walliser Alpen Sonne und gute Luft tanken wollen. (Christine Sidler)
Jugendherberge Crans-Montana VS
Bauherrschaft: Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus
Architektur: Actescollectifs Architectes, Sierre
Tragwerksplanung: BGI, Aigle
Bauzeit: Oktober 2016 bis Juni 2017
Aletsch Campus in Naters
Im Kern der Unesco-Welterbestätte «Jungfrau-Aletsch» befindet sich zwar ein schmelzender Gletscher. Zur Hauptsache besteht die spektakuläre Hochgebirgslandschaft zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis allerdings aus Stein und Holz. Dieselbe Materialisierung trägt auch die gemischte Zentrumsüberbauung «Aletsch Campus» in Naters VS zur Schau, die das World Nature Forum sowie fünf Wohngebäude umfasst. Das kompakte Hauptgebäude mit dem Unesco-Zentrum bildet das mineralische Schwergewicht und ist von oben bis unten verputzt.
Die Nachbarhäuser sind auf Sockelstelzen in hybrider Holzbauweise konstruiert. Gemeinsam mit den angedeuteten Satteldächern wird so an das Erscheinungsbild der Oberwalliser Bautradition erinnert. Die Holzbautechnik ist dennoch industriell geprägt: Die Fassaden bestehen aus vorgefertigten Fichtenholzelementen, die inklusive Fenster, Dämmung und Lüftungskanäle angeliefert worden sind. Die Körnigkeit der Grossüberbauung soll an einzelne Gletscherfindlinge erinnern. Ebenso schlüssig wirkt diese Setzung der Punktbauten, weil sie sich am aufgelockerten Baubestand und den offenen Durchgängen in unmittelbarer Umgebung orientiert.
Das Projekt ist vor rund zehn Jahren initiiert worden, als die 23 Gemeinden rund um das Unesco-Welterbe einen gemeinsamen Standort für das Besucherzentrum suchten. Die Oberwalliser Gemeinde Naters fand eine öffentliche, 7000 m2 grosse Parzelle. Die ehemalige Parkierungsfläche wurde im Baurecht zur Verfügung gestellt; ein internationaler Städtebauwettbewerb hat 2008 diese Überbauungsidee konkretisiert. Als Sieger wurde daraufhin das Südtiroler Architekturbüro N4 Architects von Francesco Minniti ausgelobt; für die Ausführung holte dieses einen Generalplaner und ein Büro aus der Schweiz ins Boot. Und als Investor kam ein Versicherungskonzern zum Zug.
Das Areal ist der Zentrumszone zugewiesen und liegt in Fussdistanz zum Bahnhof Brig. Die vier siebengeschossigen Häuser sowie ein zweigeschossiges Haus umfassen 70 Mietwohnungen, mit 2.5 bis 4.5 Zimmern. Das hell schimmernde Besucherzentrum beherbergt derweil eine Ausstellung sowie Unterrichtsräume, die das World Nature Forum für die Vermarktung der Unesco-Stätte nutzt. Die Gesamtüberbauung ist in einer Testversion des Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS zertifiziert. (Paul Knüsel)
Aletsch Campus Naters VS (mit World Nature Forum)
Bauherrschaft: Axa Leben, Winterthur
Generalplanung: SMC Management Contractors, Winterthur
Architektur, Entwurf: N4 Architects, Francesco Minniti, Bozen (I);
Architektur, Ausführung: ARGE RLC Architekten, Winterthur / Francesco Minniti
Totalunternehmung: Baulink Generalunternehmung, Bern
Tragwerksplanung: Dr. J. Grob & Partner, Winterthur und SRP Ingenieur, Brig
Holzbau: Renggli, Sursee
Bauzeit: 2013–2016