Bau­kunst der Nach­kriegs­mo­der­ne

Eine Neuerscheinung dokumentiert gute Bauten nach 1949 in Ost- und Westberlin. Das gewichtige und wichtige Buch vereint alte Bekannte, lange Vergessene und interessante Neuentdeckungen aus drei Jahrzehnten.

Publikationsdatum
13-02-2014
Revision
18-10-2015

Gewichtig ist diese neue Publikation zur Berliner Nachkriegsmoderne nicht nur, was ihren Umfang betrifft, sondern auch durch die Menge an Informationen, die sie bietet: 262 architektonisch herausragende Bauten und Anlagen werden im Kontext ihrer Entstehungsbedingungen vorgestellt. Die Objekte sind nach 13 Bauaufgaben von Sakralbauten bis zu Plätzen und Grünräumen gegliedert und mit historischen und schönen neuen Fotografien illustriert.

Wichtig ist das als Architekturführer und Handbuch konzipierte Werk aus mehreren Gründen: Es erfasst auch kaum bekannte Bauten, die bisher höchstens von Fachleuten geschätzt wurden. Oft sind es diese ungeliebten und manchmal unbequemen Gebäude, die in Charakter und Bestand gefährdet sind. Zudem vermittelt der Band über die architektonisch relevanten Daten und Fakten hinaus viel Wissenswertes zur Geschichte der in der massgeblichen Zeit geteilten Stadt. Die 48 Autorinnen und Autoren nehmen mutige und meist nachvollziehbare Bewertungen vor, um Baukunst von Alltagsarchitektur zu trennen.

Das Schicksal der Bauten seit ihrer Fertigstellung, also der Umgang mit ihnen, wird in die Betrachtungen miteinbezogen. So listet der Steckbrief zu jedem Gebäude auf, ob es unter Denkmalschutz steht, ob es im bauzeitlichen Zustand erhalten, verändert oder gefährdet ist. Diese enge Verbindung von städtebaulichen, architektonischen und denkmalpflegerischen Fragen, die die Forschung und Lehre der Herausgeber prägt, war auch für die Arbeit an diesem von der Wüstenrot-Stiftung geförderten Projekt richtungsweisend. 

Die Bauanalysen stützen sich auf langjährige Vorarbeiten des Netzwerks «denkmal!moderne» von Architekturhistorikerinnen und -historikern mit Zentrum an der Technischen Universität Berlin, das bereits Forschungen zur Nachkriegsmoderne vorgelegt hat. 

Ideologie und Architektur in Ost und West

In der Einführung erörtern die Autorinnen und Autoren wichtige Fragen für die Berliner Situation: Wie gross war der Einfluss der politischen Ideologien auf das Bild und die Struktur der Stadt? Wie weit hat sich der Wettstreit der politischen Systeme in Bau- und Gegenbau architektonisch niedergeschlagen? Ist eine Unterscheidung von Ost- und Westmoderne allein anhand der Bauten möglich  

Um hier Verallgemeinerungen zu vermeiden, müssen die Bauten vor dem Hintergrund der jeweiligen geopolitischen Situation, der bodenrechtlichen, wirtschaftlichen, organisatorischen und technischen Bedingungen analysiert und beurteilt werden. Dafür, dass Architektur nicht im Formalen und Stilistischen aufgeht, liefern Berliner Bauten im Vergleich gute Beispiele. So konnte etwa der Osten nach 1950 den Baugrund im Stadtzentrum im sozialistischen Sinn kollektivieren und dem Wohnen widmen, etwa an der Stalinallee – seit 1961 Karl-Marx-Allee – mit Wohnbauten von Hans Henselmann. In Westberlin machte dagegen der Bevölkerungsschwund regelrechte «Entdichtungskonzepte» möglich, etwa im Hansaviertel. 

Die Unterschiede, aber auch die wechselseitigen Einflüsse innerhalb der Architekturszene der benachbarten, aber verfeindeten Systeme werden plausibel dargestellt. Das macht «Baukunst der Nachkriegsmoderne» zu mehr als einem normalen Architekturführer. Die Lektüre eröffnet ein vertieftes Verständnis der Bedeutungsschichten jüngerer Architektur und eine neue Sicht auf baukünstlerische Qualitäten der modernen Architektur in Berlin

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