Baustoff ab Baustelle
Lehmsteinproduktion in der Schweiz
Das Unternehmen terrabloc aus Gland produziert seit 2011 mit Zement stabilisierte Lehmsteine. Die Gründer verfolgen dabei einen ästhetischen und wissenschaftlichen Ansatz und wollen den Werkstoff in die regionale Architektur zurückbringen. Ein Besuch vor Ort.
An einer kleinen Strasse, nur wenige Minuten vom Bahnhof Gland entfernt, produzieren der Architekt Laurent de Wurstemberger und der Werkstoffingenieur Rodrigo Fernandez auf einem ehemaligen Industrieareal Lehmsteine. Die Genfer Unternehmer nutzen die Brache vorübergehend als Produktionsstätte. Das Unternehmen terrabloc und auch seine Produkte sind eine gekonnte Mischung aus wissenschaftlichem und überliefertem Wissen, einem ästhetischen Bezug zum Material Erde, ökologischem und sozialem Verantwortungsgefühl und unternehmerischem Ehrgeiz. Mit ihrem Ansatz liegen die Firmengründer im Trend zu einer schlichteren, sozial und ökologisch engagierten Architektur. Diese Strömung zeigte sich etwa an den Bauten und Projekten die der Pritzkerpreisträger 2016, Alejandro Aravena, anlässlich der Leitung der Architekturbiennale in Venedig auswählte (vgl. «Neues aus aller Welt»). Doch die beiden Genfer interessieren sich schon viel länger für den Lehmbau.
De Wurstemberger, der seine Ausbildung an der Accademia di Architettura in Mendrisio absolvierte, entdeckte die Lehmarchitektur im Jemen und vertiefte seine Kenntnisse auf Reisen nach Marokko, Syrien, Jordanien, Ägypten, Burkina Faso und Mali. Sein Architekturbüro ar-ter setzte mit Martin Rauch ein Projekt für eine Stampflehmwand in Confignon GE um.
Rodrigo Fernandez befasste sich 2003 in seiner Masterarbeit an der EPFL mit den in Südafrika verwendeten Lehmsteinen. Als er nach dem Studium beim Amt für Geologie des Kantons Genf arbeitete, stellte er fest, dass jährlich über eine Million Kubikmeter Genfer Erdaushub auf Deponien entsorgt wird. «Warum wird ein Rohstoff mit so interessanten konstruktiven Eigenschaften entsorgt?», fragten sich die zwei Baufachleute. Das war die Geburtsstunde von terrabloc. Nach der Firmengründung im Jahr 2011 entwickelten die Jungunternehmer ihre Produkte mehrere Jahre im Labor, um sie den schweizerischen Normen anzupassen.
Geformt mit alter Technik
Der Produktionsablauf von terrabloc beginnt mit der Rohstoffbeschaffung: «Wir beziehen von unseren Lieferanten Unterbodenaushub samt Kies, Wurzeln und anderen darin enthaltenen Stoffen. Wenn sie den Aushub auf der Deponie entsorgen, bezahlen sie 20–30 Fr./m3, wir nehmen ihn für die Hälfte an», sagt Fernandez. Terrabloc kann auch auf der Baustelle produzieren und die dort anfallenden Rohstoffe verwenden. Anderenfalls bereitet eine Brech- und Siebanlage im Werk den Bodenaushub der Baustellen auf. Sie sortiert das Material nach Korngrössen in zwei Klassen und analysiert es mittels Lasergranulometrie.
Dabei wird nicht nur der Tonanteil festgestellt, sondern auch der Karbonatgehalt, denn zu viel Kalk könnte zu Ausblühungen führen. Zudem wird das Korngemisch für eine möglichst hohe Dichte festgelegt. «Das machen wir zur Feinjustierung. Grob gesagt bestehen die Mischungen zu einem Drittel aus fein- und der Rest aus grobkörnigem Material», erklärt de Wurstemberger. Labortests bestimmen zwar die optimale Kornmischung, doch geformt werden die Lehmsteine mit einer althergebrachten Technik, die auf tradiertem Erfahrungswissen beruht.
Die Erdmischung – rund 110 l für 20 Steine – wird in ein Rührwerk gegeben und je nach Ausgangsqualität und Verwendungszweck mit bis zu 5 % Zement stabilisiert. Danach befeuchten kleine Düsen die Mischung gleichmässig. «Die Wassermenge hängt von der Ausgangsfeuchte des Materials ab. Erfahrungsgemäss braucht es 6 l Wasser. Wir bestimmen die exakte Menge über Handtests», ergänzt Laurent de Wurstemberger. Die Steine formt eine herkömmliche Presse, wie man sie überall, wo Lehmsteine produziert werden, kennt. Anschliessend werden sie einen Monat lang in Zellophan verpackt auf Paletten gelagert, bis sie einsatzbereit sind.
Kleine Schritte zum edlen Material
Die Gründer von terrabloc sind keine puristischen Verfechter des Lehmbaus, wollen diesen aber keinesfalls abwerten. Sie haben sich aus pragmatischen Gründen für Zement entschieden, denn damit erfüllt ihr Produkt europäische Normen und kann in der heimischen Architektur eine breitere Verwendung finden als nur in privaten und aufsehenerregenden Projekten. Laurent de Wurstemberger und Rodrigo Fernandez geht es nicht um die Streitfrage «Beton oder Lehm?». Sie wollen in kleinen Schritten, Stein um Stein, den Lehm als modernen Baustoff bekannt machen. Dass dies möglich ist, zeigen die ersten realisierten Projekte wie das Sichtmauerwerk für einen Ausstellungspavillon bei einem alten Wasserkraftwerk in Vessy GE oder die Dämmschale für den Besucherpavillon im Alpengarten Meyrin GE.
In ihrer Herangehensweise, ihrem Enthusiasmus und ihrer Liebe zum edlen Material stehen die zwei Genfer den Puristen in nichts nach. So planen sie denn auch keine Expansion oder Industrialisierung ihres Prozesses. Den Idealen und Zielen, mit denen sie das Unternehmen gegründet haben, sind sie treu geblieben, und ihr Produkt entspricht trotz Zement den Grundsätzen der Erklärung, die am Terra-Kongress 2016 in Lyon verfasst wurde. Dank der mobilen Produktion kann terrabloc den Aushub auf der Baustelle verarbeiten. Das spart Transportwege und ermöglicht die Eigenproduktion durch die Bauherren oder die Bauunternehmen. Die Lehmsteine für die erste tragende Wand – eine Innenwand für eine Schulmensa in Genf – werden vor Ort aus Aushubmaterial gefertigt.
Zudem arbeitet terrabloc häufig mit der Sozialfirma Réalise zusammen. So leisten die Unternehmer einen sozialen Beitrag, indem sie Kontakte herstellen, und einen pädagogischen, indem sie ihr Know-how und ihre Vision von einer ästhetischen und nachhaltigen Architektur weitergeben.
(Übersetzung: Wulf Übersetzungen)
Materialkennwerte
terrabloc traditionell
140 × 140 × 90 mm
Wärmedämmwert
0.79 W/mK
Schallschutz
50 dB
Druckfestigkeit
> 7 N/mm2 (nach 40 Tagen)
Brandklasse
A1 (feuerfest)
Brandverhalten
RF 1 (kein Beitrag)
Stabilisierte Steine recyceln
Zement reagiert chemisch nicht mit Lehmpartikeln, sondern ummantelt sie und verändert so die Mikrostruktur des Lehms. Damit ist die Porositat vermindert, was wiederum die Pufferfunktion von Lehm bezüglich Feuchtigkeitsabsorption herabsetzt. Bei bis zu 3 % Zementzuschlag ist diese Funktion noch reduziert vorhanden, bei mehr als 5 % Zement nicht mehr. Anders ist dies bei einer Stabilisierung mit Kalk, der mit den Lehmmineralien reagiert und diese chemisch verändert. Ein Recycling auf Äckern ist zukünftig dennoch denkbar, da Kalk in der Landwirtschaft auch als Dünger verwendet wird. Mit Zement stabilisierter Lehm darf gegenwärtig nicht als Erdmaterial recycelt werden.
(Danielle Fischer)