Das schwarze Brett der Stadt Bern
Eine kleine Intervention im Herzen der Berner Altstadt durch Bellorini Architekt:innen zeugt von der Zeitlosigkeit, die den ortstypischen Materialien und ihrer handwerklichen Verarbeitung innewohnt.
Die Gelegenheit, an einem historisch bedeutsamen Bauwerk weiterzuarbeiten, eröffnete sich jüngst am Zytglogge-Turm, dem Wahrzeichen der Stadt Bern. Seine Gestalt war durch die vergangenen Jahrhunderte keineswegs sakrosankt, sondern eher vom veränderten Nutzen geprägt – seine Bedeutung in Sachen Recht und Ordnung hat er dabei aber stets bewahrt.
1220 als Wehrturm durch die Zähringer erbaut, verlor er mit den Stadterweiterungen der folgenden Jahrhunderte seine schützende Funktion. Nach dem Stadtbrand von 1405 wurde er durch einen Turm mit bis zu 3 m dicken Wandkonstruktionen aus Sandstein ersetzt, an dessen Ostfassade 1530 die bis heute erhaltene Uhr montiert wurde. Die angezeigte Zeit war offizielle Grundlage und Ausgangspunkt für die Bemessung der Wegstunden entlang der Berner Kantonsstrassen. Nach wie vor zieht der «Zytglogge» mit der astronomischen Uhr und dem Glockenspiel zur vollen Stunde die Gäste der Stadt an.
Für einmal gilt das Interesse aber nicht dem komplizierten Uhrwerk, sondern der rund 10 m langen Fussgängerpassage durch das Innere des Turms. Aussen herum säumen Marronihändler, eine Apotheke, zwei Kioske und ein Pissoir den stark frequentierten Weg. Auch der Innenraum ist mit Funktionen belegt: An seinen Wänden wurden jahrzehntelang offizielle Bekanntmachungen angeschlagen. Seit dem 18. Jahrhundert sind an der Wand zur Strassenseite die Ur-Längenmasse montiert.
In den 1920er-Jahren beauftragte die Stadt den Architekten Karl Indermühle, Telefonzellen in die gegenüberliegende Wand einzubauen. In die Nische dieser Telefonzellen fügte sich zuletzt ein kurioses Ensemble aus Briefkästen und ehemaligen Telefonboxen, die nur mehr als Schaufenster für kulturelle Veranstaltungshinweise dienten.
Immer gleich geblieben hingegen ist die hohe gewölbte Decke, die teils noch mit Sand- und Tuffsteinquadern des 13. Jahrhunderts gehalten wird. Nachbildungen von vier Gemälden, die zwischen der Durchgangshöhe und der Decke hängen, stärken den innenräumlichen Charakter der Passage.
Von der Telefonzelle zum Kultur-Schaufenster
Aufgrund von Unterhaltsschwierigkeiten und Problemen mit Vandalismus fasste Hochbau Stadt Bern den Entschluss, die ehemalige Telefonzellen-Nische neu zu erfinden. Als kundiges Büro im Umgang mit ortsspezifischen geschützten Bauten erhielten Bellorini Architekt:innen den Direktauftrag, ein Kulturschaufenster zu installieren. Die Freude an der kleinen Aufgabe ist dem Ergebnis anzusehen.
Mit den Materialien, die vor Ort gebräuchlich sind, haben die Planenden das Fenster umrahmt: Den Anschluss an das Trottoir, in dem zwei Fahrspuren mit bahngespitzten Platten aus Mont-Blanc-Granit verlaufen, bildet ein Sockel aus gebosseltem Oberländer Kalkstein, wie er auch die Altstadthäuser fasst. Mit weichen Kehlen bildet er den Abschluss des Bodens und führt sanft in die Vertikale. Die seitlichen Radien beziehen sich auf die horizontalen Wölbungen der früheren Telefon-Nische. Der Herstellung dieser Steine liegt ein aufwendiger Arbeitsprozess zugrunde. Um die erforderliche Passgenauigkeit innerhalb der gegebenen Nische zu erlangen, fertigten die ausführenden Gewerke vor Ort traditionelle 1:1-Schablonen an. Der weiteren Planung und Umsetzung lagen digitale 3-D-Planungen zugrunde.
Ebenso aufwendig war die Anfertigung des Fensterrahmens aus massivem Eichenholz: Ein Salmiakbad verhalf dem Holz zu seinem dunkelbraunen Farbspektrum. Die seitlichen Einfassungen deuten Säulen oder auch aufgeschobene Fensterläden an. Licht und Schatten auf der bewegten Oberfläche betonen die räumliche Tiefe und führen den Blick der Passantinnen und Passanten in Richtung des Schaukastens.
Das Zusammenspiel der handwerklich und digital behandelten Materialien bildet ein schlüssiges Ganzes. Es fügt sich mit grosser Selbstverständlichkeit in den denkmalgeschützten Bestand ein und signalisiert durch die zeitgenössische Umsetzung gleichzeitig eine Offenheit zur Moderne.
Wie die Architektin schildert, erforderten Entwurf und Ausführung einen vertrauensvollen Austausch zwischen den regionalen Handwerksbetrieben und den Planenden. Man profitierte gegenseitig von der Kenntnis traditioneller Techniken und digitaler Prozesse.
Qualität kostet
Den Wermutstropfen bilden die Kosten, die ein so intensiver Planungsprozess und die Verwendung kostbarer Materialien verursachen. Die Ausrüstung des Schaufensters inklusive interaktiver Bedienelemente für zwei Bildschirme kostete fast noch einmal so viel wie der Bau, sodass sich der vom Gemeinderat bewilligte Betrag auf insgesamt knapp 300 000 Franken belief.
Der Unterhalt des Schaufensters mit Informationen zum «Zytglogge», zur Berner Altstadt als Weltkulturerbe und zu aktuellen Kulturprogrammen obliegt «Bern Welcome», der regionalen «Destination Management Organisation» (DMO). Die solide Ausführung und wandelbare Nutzbarkeit des verhältnismässig kleinen Eingriffs lässt sich als Investition in einen wegweisenden Baustein der Stadtreparatur betrachten.
Informationen
Planungsbeginn: 2022 (Direktauftrag)
Ausführung: 2024
Baukosten: 170'000 Franken
Auftraggeberschaft
Hochbau Stadt Bern
Architektur
Bellorini Architekt:innen, Bern
mit 100 % Teilleistungen nach SIA 102
Baumeister
Wirz, Bern
Naturstein
Bernasconi, Bern
Holzarbeiten
Max Büchi, Bern
Gipserarbeiten
Wenger Hess, Bern
Malerarbeiten
Beat Tanner, Bern
Grafik Schaufenster «Bern Welcome»
Grafikreich, Laupen