Care-Arbeit räumlich denken
Wie unsere Welt aussehen würde, wenn Frauen sie stärker mitgestalten würden, davon handelt dieser Band. Die These ist, dass eine Haltung des «Caring» andere Formen des Zusammenlebens, des Wirtschaftens und Haushaltens hervorbringen. Und dass diese wiederum andere institutionelle, gebaute und räumliche Strukturen nach sich ziehen.
Im ersten Teil des für Fachleute wie Laien sehr lesenswerten Buchs befasst sich Barbara Zibell mit Care-Tätigkeiten im Sinn der Arbeiten im Haushalt und aller bezahlten und unbezahlten Betreuungs- und Pflegetätigkeiten. Dabei geht es der Raumplanerin, Planungs- und Architektursoziologin nicht nur um die Wertschätzung der Sorgearbeit, sondern um das Erkennen der Bedeutung von Hauswirtschaft, Versorgungsarbeit, Gesundheits- und Pflegedienstleistungen. Care-Arbeit ist äusserst systemrelevant, denn das profitorientierte System der Erwerbsarbeit würde ohne sie zusammenbrechen.
Überzeugend zeigt die Autorin daraufhin auf, wie ökonomische, baulich-räumliche und soziale Strukturen zusammenhängen. Planung und Architektur orientieren sich jedoch am dominanten Lebensmodell der funktionsteiligen Berufs- und Geschäftswelt. Als Folge davon stimmen die baulich-räumlichen Strukturen, insbesondere in den Agglomerationsräumen, nicht mit den Anforderungen an die Bewältigung der Haus- und Versorgungsarbeit überein.
Dieser Befund geht mit der feministischen Kritik einher, wonach die unsichtbare Haus- und Versorgungsarbeit nicht gerecht auf alle Schultern gesunder Erwachsener in der Gesellschaft verteilt ist. Dies scheint der Autorin aber Voraussetzung zu sein, dass der Hauswirtschaft das Primat in der Planung und Architektur zukommen könnte, denn sie ist Arbeit für den Gebrauch und materielle Grundlage für die gesellschaftlicher Entwicklung. Wenn die Care-Funktionen als Gestaltungsprinzip für Raum und Gesellschaft anerkannt wären, würden sie den versorgenden Alltag im Raum abbilden.
Die Forderung nach neuen Wegen der Bereitstellung, Anerkennung, Aufwertung und Bezahlung wie auch der der gesellschaftlichen Organisation von Care-Arbeit auf lokaler, nationaler und transnationaler Ebene bleibt in der Publikation aber nicht Theorie. Barbara Zibell hat eine Anzahl realisierter Beispiele zusammengetragen, die hoffnungsvolle Hinweise auf alternative Wohn- und Lebensformen aufzeigen, die durch die Architektur unterstützt und gefördert werden können.
Daraus entwickelt sie auch im umfangreichsten letzten Teil ihres Buchs Bausteine für Räume der Zukunft – konkret für eine Vision für das Jahr 2071, also den Zeitpunkt 50 Jahre nach der Verfassung dieser ausserordentlich anregenden Arbeit.
Barbara Zibell (Hg.): Care-Arbeit räumlich denken. Feministische Perspektiven auf Planung und Entwicklung. eFeF Verlag, Wettingen 2022. 200 Seiten, ISBN 978-3-906199-25-2, Fr. 29.–
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