Vom Mut, das Bauen anders zu denken
Wer die Veranstaltung «CouraTecture» im Swissbau Focus versäumt hat, hat wirklich etwas verpasst. Die Referenten waren brillant, die Vorträge spannend und die Diskussion kontrovers.
Lag es an der Vielzahl der Veranstaltungen im Rahmen von Swissbau Focus, dass der Saal nicht voll war? War das Fachpublikum vielleicht schon übersättigt? Die Architekturvorträge am 18. Januar 2020, dem letzten Tag der Swissbau, verzeichneten einen vergleichsweise bescheidenen Besucherandrang. Und dies, obwohl die Veranstaltung drei herausragende internationale Referenten versammelte. Auch das Thema, das die Architektur Dialoge Basel als Veranstalter gewählt hatten, war spannend.
Die Wortschöpfung «CouraTecture» evoziert eine Reihe grundlegender Fragen: Wie entsteht Mut für Innovation in Entwurf und Konstruktion? Welche Art der Zusammenarbeit, welches Vertrauensverhältnis und welche Reibungen zwischen den Beteiligten braucht es, damit der Funke springt? Aus welcher Motivation heraus beginnt ein Innovationsprozess? Und vor allem: Wie lässt er sich institutionalisieren, vom ersten Brainstorming bis hin zur Realisation?
Natur als Inspiration
Der Architekt Sou Fujimoto gilt als einer der wichtigsten japanischen Baukünstler der jüngeren Generation. Internationale Berühmtheit erlangte er etwa durch seinen Pavillon für die Serpentine Gallery in London, eine dreidimensionale, orthogonale Gitterstruktur in strahlendem Weiss, die trotz ihrer auf die Spitze getriebenen Künstlichkeit je nach Standpunkt auch wie ein natürliches Phänomen anmutete – wie eine Wolke, ein Skelett. Diese Verwischung der Grenze zwischen Natur und Künstlichkeit thematisierte Fujimoto in seinem Referat in Basel anhand mehrerer Beispiele.
Die Natur als Inspiration beschäftigte auch die beiden anderen Referenten. Jan Wurm, Leader Research & Innovation Europe von Arup Berlin, erwähnte unter anderem das selbsttragende biogene Fassadensystem Biobuild und die SolarLeaf-Fassade, ein Fassadensystem mit geschlossenen Kreisläufen und lebenden Organismen. Der Bauingenieur Prof. Dr. Mike Schlaich von schlaich bergermann partner zeigte eine Brücke, die sich die Erkenntnisse aus dem Schalenbau zunutze macht: Aus gerade einmal 20 mm starkem, perforiertem Stahlblech gefertigt und statisch wie eine Schale konzipiert, übertrifft ihre Effizienz selbst die der Eierschale.
Konträre Kulturen
Im Gespräch zeigten sich allerdings tief greifende Differenzen zwischen dem Architekten Fujimoto einerseits und den beiden Ingenieuren anderseits. Fujimoto verkörperte die klassische Auffassung des Meisterarchitekten, dessen Handschrift auch formal alle Entwürfe prägt und der erst für die Ausführungsplanung externe Fachplaner beizieht. Im Gegensatz dazu plädierten Wurm und Schlaich für eine offene, interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Beteiligten in einer möglichst frühen Projektphase. Beide haben in ihren Firmen Gefässe für geschützte Ideen-Inkubatoren institutionalisiert und mit den nötigen Ressourcen ausgestattet; junge Mitarbeitende werden gezielt in diese Prozesse eingeführt.
Zwei völlig unterschiedliche, einander fremde Auffassungen von Baukultur prallten also auf dem Podium aufeinander. Umso faszinierender war es daher, wie die beiden Pole sich dennoch einander annäherten, sobald es um den Qualitätsanspruch ging: Die akribische Suche nach der eleganten Lösung stand bei allen drei Exponenten im Zentrum. Viele Punkte blieben offen, aber eines wurde klar: Eine abschliessende Antwort darauf, wie Innovation entsteht, gibt es nicht. Mut braucht es, ja – doch der kann individuell oder kollektiv entstehen, spontan oder sorgsam gepflegt. Hauptsache, der Funke springt über.
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