Das Referendum gegen die Energiestrategie
Fakten und Hintergründe zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 21. Mai
Am 21. Mai stimmt die Schweizer Bevölkerung über die erste Etappe der Energiestrategie 2050 ab. Es geht um das Verbot neuer Atomkraftwerke sowie um regulatorische und finanzielle Impulse für einen ökologischen Wandel und zu mehr Effizienz auf dem Energiemarkt.
Neun Faktenblätter mit jeweils drei bis fünf A4-Seiten, 58 publizierte Interviews sowie 100 Medienmitteilungen füllen die Webseite des Bundes, die über die nationale Energievorlage vom 21. Mai informiert. Diese Informationsfülle bestätigt, wie wichtig das Vorhaben für die Schweizerische Energiepolitik ist und verrät zugleich, dass die Stimmbevölkerung über ein äusserst komplexes und weitgefasstes Thema zu entscheiden hat. Tatsächlich geht es darum, wie sich die Schweiz inskünftig mit Energie versorgen wird, welche Rolle die Atomkraft spielen darf, wie und wo der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben oder wie der Gebäudepark energetisch verbessert werden soll.
Offiziell stimmt die Schweizer Bevölkerung in wenigen Wochen über die erste Etappe der Energiestrategie 2050 ab. Im Fokus steht Artikel 12 im revidierten Kernenergiegesetz, wonach Bau und Erneuerung von Atomkraftwerken verboten sind. Ausserdem enthält das staatliche Massnahmenpaket ergänzende Interventionen und Impulse für einen technologischen Wandel zu mehr Ökologie und Effizienz auf dem Energiemarkt. Unter anderem sollen neue Regeln für die Förderung erneuerbarer Energieträger, die Zulassung CO2-armer Fahrzeuge, das Smart Metering oder die Bewilligung von neuen Energieanlagen eingeführt werden.
Referendum gegen Gesetzesrevision
Gegen die Revision des Energiegesetzes und der damit koordinierten Rechtsgrundlagen hat die Schweizerische Volkspartei das Referendum ergriffen. Auch aus Landschaftsschutz- und Ökokreisen stammen Wortmeldungen gegen die Energiewende. Von den Unternehmer- und Branchenverbänden lehnen derweil die Baumeister, die chemische Industrie und die Metallindustrie den Ausstieg aus der Atomkraft ab respektive wollen staatliche Eingriffe in den Strommarkt verhindern. Economiesuisse hat allerdings Stimmfreigabe erklärt.
Alle anderen Bundesratsparteien, der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) sowie weite Teile des Gewerbes und der Wirtschaft (inklusive des SIA) engagieren sich für ein Ja an der Urne.
Wie weiter mit den Kernkraftwerken?
Das Kernkraftwerk Mühleberg geht in anderthalb Jahren vom Netz, hat die Betreiberin BKW beschlossen (vgl. «AKW Mühleberg: Stilllegungsgesuch liegt öffentlich auf») . Die übrigen vier Grosskraftwerke sind «nach einem staatlich kontrollierten Langzeitbetrieb» stillzulegen. Weil das Stimmvolk die Atomausstiegsinitiative im vergangenen November mit 55 % verworfen hat, ist wohl erst in 15 bis 20 Jahren Schluss. Das KKW Leibstadt wurde 1984 in Betrieb gesetzt.
Welchen Beitrag leisten erneuerbare Energieträger?
Photovoltaik, Biomasse, Windenergie, Wasserkraft und die Kehrichtverbrennung sind die aktuellen Quellen zur Erzeugung von erneuerbarer Energie. Wasserstrom deckt rund 60 % des inländischen Bedarfs; die übrigen Energieträger steuern weitere 5 % bei. Bis 2020 soll die staatliche Förderung von «neuen Erneuerbaren» dazu beitragen, den Versorgungsgrad auf 8 % zu erhöhen. Und bis 2035 sollen 20 % des inländischen Strombedarfs aus Sonne, Wind, Holz und allenfalls mit Tiefengeothermie gewonnen werden. Wie in den letzten Jahren erhalten Kraftwerksbetreiber eine staatliche Vergütung, wobei deren Höhe den Marktbedingungen angepasst wird.
Auch Wasserkraftanlagen sollen vom Fördersystem profitieren können, weil der aktuelle Absatz defizitär ist. Die Kosten für die Erzeugung von Wasserstrom liegen knapp bei der Hälfte der Verkaufspreise, beklagen überregionale Stromversorgungsunternehmen ebenso wie nationale Energiepolitiker. Die Strombranche, insbesondere die Konzerne BKW und Alpiq, sprechen sich daher deutlich für die Energiestrategie 2050 aus. Axpo, an dem die Nordostschweizer Kantone beteiligt sind, hält sich in der Abstimmungsdiskussion eher zurück.
Wie beliebt ist Energie sparen?
Europa verbraucht aktuell 38 000 kWh Endenergie pro Kopf, in der Schweiz sind es 500 kWh weniger. In der jüngeren Vergangenheit nahm der Verbrauch an Gesamtenergie und von elektrischer Energie im Inland sogar ab; das absolute Wachstum hängt vom Bevölkerungszuwachs ab. Wie viel Heizwärme, Benzin oder Strom verbraucht werden darf, schreibt die Energiestrategie 2050 nicht vor; die Energiepolitik des Bundes will jedoch den Durchschnittskonsum pro Person und Jahr deutlich senken, ohne den Privatkonsum zu beschränken.
Vor allem die CO2-Abgabe auf Treibstoffe und Effizienzvorgaben für Elektrogeräte sollen die bisherigen Sparefforts verstärken und belohnen. So soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person und Jahr bis 2035 um rund 25 % sinken; in den letzten 17 Jahren waren es pro Kopf bereits 16 % weniger. Der durchschnittliche Stromverbrauch soll (ebenfalls pro Person und Jahr) bis 2035 um 10 % sinken; seit 2000 ist der pro-Kopf-Verbrauch immerhin um gut 3 % gesunken.
Wie ist der Gebäudepark zu verbessern?
Vor wenigen Jahren haben die inländischen Immobilien den Strassenverkehr in der Treibhausgasbilanz überholt. Mittlerweile liegen die CO2-Emissionen des Gebäudeparks 10 % tiefer als was Autos und Lastwagen zusammen ausstossen. Und beim spezifischen Verbrauch fällt auf, dass der Gebäudepark den Wert in den letzten 25 Jahren halbieren konnte. Die gesetzlichen Vorschriften und Förderkampagnen haben den Energiekonsum für Heizen und Warmwasser senken lassen. Die CO2-Abgabe soll ab 2019 wieder für ein nationales Gebäudeprogramm verwendet werden können, falls das Energiegesetz angenommen wird.
Das Beratungsunternehmen Wüest und Partner rechnet zudem vor, dass der CO2-Ausstoss des Gebäudebestands allerdings zu halbieren ist, wenn die Schweiz die Klimaziele von Paris erfüllen will. Dafür sind bis 2030 jährlich etwa 5 Mia. Franken in energetische Sanierungen zu investieren, was ein Drittel der aktuellen Umbauausgaben ist.
Erneuerbare fördern oder Energiekonsum mit Abgaben lenken?
Wer bezahlt die Energiewende? Eine Studie der ETH Zürich zeigt, dass der Umbau des Energiesystems nicht ohne Marktinterventionen auskommen kann. Ein Anreizsystem mit Lenkungsabgaben wirkt jedoch ökonomisch effizienter und sozialer als das Fördermodell. Die Energiestrategie wagt dazu den Kompromiss: Die CO2-Abgabe wird für die Förderung erneuerbarer Energien und von Gebäudesanierungen eingesetzt. Eine Ausweitung des Lenkungssystems hat das Bundesparlament jedoch kategorisch abgelehnt. «Fördern oder lenken: Welches energiepolitische System belastet Haushalte und Wirtschaft mehr?» lautete die Ausgangsfrage, die sich ETH-Ökonomen im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Steuerung des Energieverbrauchs» (NFP 71) stellten.
Der Gesamtkostenvergleich ergibt: Das Lenkungsmodell ist erheblich effizienter und kostet aufgrund der Rückverteilung der Einnahmen an Haushalte und Unternehmen deutlich weniger. Zudem verteilen sich die Kosten der Lenkungsabgabe gerechter auf die konsumierenden Verursacher. Sebastian Rausch, Studienleiter und Professor für Energieökonomie am Center for Economic Research an der ETH Zürich hält allerdings fest, dass die Interventionssysteme nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten: «Der vorliegende Vergleich hilft, die soziale Akzeptanz für Markteingriffe zu erhöhen.»
Wie ist die Energieforschung organisiert?
Ende letzten Jahres ist der Aktionsplan «Koordinierte Energieforschung Schweiz 2013 bis 2016» abgeschlossen worden. Damit verbunden war eine Anschubfinanzierung für mehrere Kompetenzzentren an der ETH und an Fachhochschulen, die sich mit der Forschung an Komponenten eines nachhaltigen Energiesystems befassen. Zudem wurden zwei nationale Forschungsprogramme initiiert: NFP 70 «Energiewende» wird weitere Grundlagen zur Stromerzeugung aus Wasserkraft und Photovoltaik, ressourcenschonende Baumaterialien sowie Speichersysteme erforschen.
Ergänzend dazu beinhaltet das Forschungsprogramm NFP 71 «Steuerung des Energieverbrauchs» Studien zu sozialen, ökonomischen und regulatorischen Aspekten der Energiewende. Ende 2018 sollen erste Ergebnisse vorliegen. Die zuletzt verstärkten Forschungsaktivitäten im Energiebereich werden seit Anfang Jahr im Rahmen der regulären Förderung von Bildung, Forschung und Innovation durch den Bund finanziell unterstützt.