Der Blick von oben

Dass die Kunst von technologischen Entwicklungen inspiriert wird, ist allgemein bekannt. Beeinflusst sie umgekehrt aber auch die Technik? Besteht gar eine Wechselwirkung zwischen Kunst und Technik? Dieser Frage widmet sich Christoph Asendorf in seinem Buch «Super Constellation – L’influence de l’aéronautique sur les arts et la culture».

Publikationsdatum
02-10-2013
Revision
01-09-2015

Anhand der Entwicklung von den ersten Luftschiffen bis zur modernen Raumfahrt zeigt Asendorf auf, dass die Wechselwirkung zwischen Technik, Militärstrategie, Architektur, Philosophie, Kunst und Film grösser ist, als man allgemein glauben mag. Tatsächlich besteht sogar ein dichtes Netz aus sich gegenseitig beeinflussenden, bereichsübergreifenden Ideen und Methoden.

Ganz in der Tradition der deutschen Kulturwissenschaft stellt «Super Constellation» vor dem Hintergrund der Luftfahrtentwicklung die Technologie- und Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts als kohärentes Ganzes dar. Der Autor ist überzeugt, dass die Eroberung der Lüfte ein wichtiger Katalysator für die ­Moderne war, und legt diesen Gedanken eindrücklich dar.

Er zeigt disziplinen­über­greifende Konzepte auf, die in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen ähnliche Entwicklungen hervorbringen können. Diese Gleichzeitigkeit der Entwicklung in verschiedenen Disziplinen schreibt Asendorf dem Zeitgeist der Luftfahrt zu. 

Zeitgeist statt Historie

Im Vorwort unterstreicht Angela Lampe, dass Dinge, die unter diesem Aspekt betrachtet werden, ihre Singularität verlieren und zu Sinnbildern einer ganzen Gesellschaft oder Epoche werden. Die Orientierung am Zeitgeist statt an der herkömmlichen Geschichtsschreibung ermöglicht es, technologische Neuerungen und ästhetisch-kulturelle Entwicklungen zu einem einzigen Bezugs­system zu vereinen. Diese Methode schreibt Angela Lampe dem Basler Kulturhistoriker Jacob Burckhardt zu, der bereits 1860 vorschlug, die Kunstgeschichte um die Alltagsgeschichte zu erweitern, um zu einer ganzheitlichen Sichtweise zu gelangen.

Neben Zitaten und Adaptionen (das Möbeldesign der 1950er-Jahre, das die Innovationen der Luftfahrt aufnahm) sowie bewussten Einflüssen (die von der Vogelperspektive in­spirierte Kunst, die ausdrückt, wie der moderne Mensch in seine neue, dezentrierte Umwelt geworfen ist) gibt es einen sich ständig wandelnden Zeitgeist, der sich nicht nur in den Darstellungsformen niederschlägt, sondern auch die Entwicklung insgesamt beeinflusst. Asendorf belegt diese Wirkung mit zahlreichen Beispielen für ungeplant synchrone Entwicklungen, die ebendiesem Zeitgeist zuzuschreiben sind. 

Eine Form, viele Möglichkeiten

Ein schönes Beispiel ist die Schalenbauweise, die in den 1930er-Jahren sowohl in der Architektur als auch im Flugzeugbau zur Anwendung kam. Die geodätischen Dachstrukturen von Pier Luigi Nervi und die neuen Konstruktionsmethoden für Flugzeugrümpfe folgten demselben Prinzip: Beide beruhen auf sich kreuzenden Diagonalen, «die in Form der Oberfläche des Körpers gekrümmt sind und in Richtung der grössten Schubspannung verlaufen».

Während die Bauingenieure Wege suchten, um möglichst grosse Flächen mit möglichst wenig Stützen zu überspannen, wollten die Luftfahrtingenieure möglichst grosse und leichte Flugzeugrümpfe bauen. Das gelang ihnen, indem sie das Volumen der tragenden Elemente reduzierten.

Die wissenschaftliche Antwort auf beide Herausforderungen nutzt ein und dasselbe Prinzip: Die Aussenhaut der Dach- oder Flugzeugrumpfkonstruktion wird neben dem Skelett selber zum tragenden Element. Asendorf will mit seinem Buch aufzeigen, dass solche bereichsübergreifenden Phänomene keine Ausnahmen, sondern die Regel sind und als solche die Entwicklung von Wissenschaft und Kunst bestimmen.

Neuer Zugang

Der angenehm flüssig zu lesende Text beleuchtet in jedem Kapitel mehrere Disziplinen und verknüpft in schnellem Wechsel ihre Entwicklungen. Dieser Aufbau könnte verwirren, doch ist das Gegenteil der Fall: «Super Constellation» untermauert auf äusserst sinnreiche und kluge Weise die These, dass die «airmindedness», die zentrale Rolle der Luftfahrt, ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis des 20. Jahrhunderts ist. Das Buch ist nun erstmals in französischer Übersetzung erschienen.

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