Der Prada-Code
Mode und Architektur
Dem Architekten Roberto Baciocchi kam in der Entwicklung des italienischen Modehauses eine Schlüsselrolle zu. Er setzte auf ein Design im Dienst des Produkts, Vereinheitlichung und Verkaufsräume mit städtischem und weltoffenem Flair.
Wie kann die Architektur zur Verwandlung eines Lederwarengeschäfts in eine weltweit bekannte Luxusmarke beitragen? Zu Beginn des Vertriebs lag der Marke Prada, einem 1913 in Mailand gegründeten Geschäft für Lederwaren und Reiseartikel, nicht nur ein ambitioniertes Unternehmensprojekt zugrunde, sondern auch eine innovative architektonische Strategie. Denn ein prestigeträchtiges, aber regionales Unternehmen in einen weltweiten Akteur in der Luxusbranche zu verwandeln verlangte nach der Ausarbeitung einer Ästhetik, die mit den neuen Produktdesigns in Einklang steht.
Das Mailänder Unternehmen entschied sich, nicht etwa mit einem der international bekannten Architekturbüros zusammenzuarbeiten, sondern mit dem italienischen Architekten Roberto Baciocchi, dem Verfasser des «Prada-Codes». Die Gründe für diese Wahl liegen in der Beziehung zwischen Miuccia Prada und Patrizio Bertelli – wie auch Roberto Baciocchi ein Industrieller aus der Region Arezzo. Mag schon das Zusammenspiel zwischen der intellektuellen, engagierten Miuccia Prada und dem cleveren Kapitalisten Patrizio Bertelli auf den ersten Blick sperrig erscheinen, so erweckt die Entscheidung, mit Baciocchi zusammenzuarbeiten, geradezu den Anschein einer Notlösung seitens einer noch jungen Marke, die noch nicht in der Lage ist, grosse Investitionen zu tätigen.
Doch wer so denkt, liegt falsch – Roberto Baciocchi war schlichtweg die richtige Person zur richtigen Zeit. Doch inwiefern hob sich Prada zu Beginn der Neuorientierung von anderen Modehäusern ab? In erster Linie durch den modernen Geist, der das Projekt umgab: ein Design im Dienst des Produkts, keine Individualisierung und ein städtisches, weltoffenes und innovatives Flair. Die ersten Erfolge erzielten erwartungsgemäss Accessoires, zuerst Handtaschen und Rucksäcke – eine Premiere in der Luxusbranche –, dann kamen schrittweise Schuhe und Kleider dazu. Gefertigt waren sie aus schwarzem Nylon, robust und anonym, aber mit der für die Marke typischen Akribie.
Die erste Boutique ausserhalb der Galleria Vittorio Emanuele II eröffnete 1983 in der Via della Spiga, eine der berühmten Strasse des Mailänder Modeviertels. Roberto Baciocchi interpretierte den Verkaufsraum neu, indem er ihn zur Kulisse machte und ihm eine hellgrüne Farbe zuwies – das machte ihn unverkennbar und damit unvergesslich. Die nüchternen Räume mit Gipsplatten, Spannteppich und simplen Quadern als Möbel erlaubten es, die Kosten drastisch zu senken und die Umbauzeiten zu verkürzen. Leuchtstoffröhren tauchten den Raum in ein indirektes, diffuses Licht.
Als sich die Auftragseingänge im Lauf der Zeit vervielfachten, experimentierte das Architekturbüro Baciocchi mit immer neuen Varianten des Prada-Codes, verwendete verschiedene und immer wieder neue Materialien. Die Grundhaltung aber blieb stets die gleiche und festigte das Image der Marke. Miuccia Prada ist weniger eine Designerin im eigentlichen Sinn als eine kultivierte Frau, die sich ganz der Mode widmet, und Prada ist ein Luxusunternehmen, dessen Wachstum keinen Einfluss auf die Qualität der Produkte hat.
Als sich das Unternehmen 2009 zum Börsengang entschied, wählte Patrizio Bertelli mit seinen Beratern Hongkong als Schauplatz. Das Büro Baciocchi entwickelte eine Verkaufsfläche, die auf Regeln aufbaut. Die Regel ist als Thema im Übrigen viel interessanter als das Einzelstück, die Extravaganz und der Wow-Effekt, denn die Entwicklung einer Regel verlangt nach Disziplin, Serviceorientierung und perfekter Organisation. Zudem distanziert sich das Konzept von der südländischen Haltung, das Aussergewöhnliche dem Alltäglichen vorzuziehen. In einem Feld, in dem die gegenständliche Kunst immer noch die vorherrschende Sprache zu sein schien, setzte Roberto Baciocchi auf Abstraktion. Eine konzeptuelle Subversion gewissermassen.
Natürlich kann man hinterfragen, ob diese Vorgehensweise auch ohne die erstaunlichen und kompromisslosen Produkte funktioniert hätte, aber diese Frage ist rein rhetorisch. Pradas Erfolg und der weitere Ausbau seiner Stores haben dafür gesorgt, dass auch die Konkurrenz ihre Ansprüche überdachte, und viel zur weiteren Entwicklung der Branche bezüglich Verkaufspräsentation und Unternehmenstechnologie beigetragen. 36 Jahre später ist eines in den Köpfen der Leute hängengeblieben: der Kontrast zwischen dem hellgrünen Hintergrund und den Objekten im Vordergrund. Nichts als Form und Farbe – der Prada-Code eben.
FedericoTranfa (1966, Mailand) studierte am Polytechnikum in Mailand und an der Arkitektskolen Aarhus in Dänemark Architektur. 2002 eröffnet er zusammen mit Laura Pasquini sein eigenes Büro. Er hält Gastvorträge und Vorlesungen an verschiedenen Institutionen und Universitäten und veröffentlicht Kritiken und Abhandlungen in Fachzeitschriften und Monografien. Seit 2013 ist er Redaktor bei Casabella.
Mit «Prada Experience» lanciert espazium.ch seine neue Online-Themenreihe. In diesen Dossiers greifen wir aktuelle Themen zur Baukultur auf, die nach und nach um weitere Beiträge ergänzt werden.
In dieser Serie erschienen:
- Die Architektur ist nicht mehr in Mode
- Architektonische Vielfalt für private Stiftungen
- Mode, Architektur und Innenraum: Lehre an der HEAD Genf
- Die Epicenter von OMA und Herzog & de Meuron
- The Prada Vibe: urbane Kultur für die globale Stadt
- Monumentale Mode
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