Die Lücke schliessen
In den letzten Jahren konnten die SBB bei der Transformation ihrer Areale viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Die Erkenntnis: Eine Planung nach Schema F funktioniert nicht, die Anwendung einiger elementarer Herangehensweisen aber sehr wohl.
Der Strukturwandel der Bahntechnik seit Anfang des Jahrtausends bescherte den SBB schweizweit zahlreiche ungenutzte Gebäude und frei werdende Areale, viele davon an bester innerstädtischer Lage. Dass deren Entwicklung vom Infrastrukturstandort zum Wohnquartier andere, vielleicht differenziertere Herangehensweisen erfordern würde als Überbauungen in der Agglomeration, ist offensichtlich.
Als Bundesbetrieb erhielt das Unternehmen einst einige seiner Grundstücke zu günstigen Konditionen (vgl. «Gemeinsam Stadt machen»). Die Flächen sollten dazu genutzt werden, die nötige Infrastruktur für das landesweite Transportwesen zu gewährleisten. Mit dem aktuellen Nutzungswandel einher geht heute die Verantwortung, die nicht mehr für den Bahnbetrieb gebrauchten Flächen qualitätvoll zu transformieren. Die SBB sind nach der Armee die zweitgrösste Grundeigentümerin der Schweiz. Ihr Einfluss auf die Stadtentwicklung ist durch die oft zentralen Lagen der Areale gross.
Im Gegensatz zu einer kommerziellen Immobilienentwicklerin steht bei den SBB die Maximierung der Rendite nicht im Mittelpunkt einer Arealentwicklung, auch wenn jedes Projekt einen finanziellen Mehrwert abwerfen sollte. Kriterien wie die Akzeptanz der Bevölkerung, die Anbindung an die Umgebung, die soziale und funktionale Durchmischung, die Qualität der Bauten und der öffentlichen Räume, die Gebrauchstauglichkeit und/oder ein Mobilitätskonzept sind ebenso wichtig. Aber wie schafft man diese Eigenschaften und erhält sie während des gesamten Planungsprozesses? Eine Planung in der Schweiz dauert immerhin durchschnittlich zwischen fünf und acht Jahren.
Genau hinsehen
Die Erfahrungen von SBB Immobilien aus den vergangenen Jahren zeigen, dass es kein Patentrezept für Arealentwicklungen gibt, aber sehr wohl bewährte Werkzeuge. Die drei Beispiele aus Zürich, Lausanne und Basel in dieser Ausgabe zeigen dies exemplarisch. Trotz der Gemeinsamkeiten – zentrale, städtische Lage, vergleichbarer anvisierter Nutzungsmix – entschieden sich die Verantwortlichen für unterschiedliche Planungsverfahren. Die Wahl des jeweiligen Verfahrens beruht dabei auf einer der eigentlichen Planung vorausgehenden vertieften Analyse des Kontexts und den zukünftigen Anforderungen an die Gebiete. Diese Untersuchung – und ausreichend Zeit für deren Auswertung – ist ein wichtiges Werkzeug für eine erfolgreiche Planung.
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die transparente Kommunikation mit den Beteiligten, also den Behörden, den Fachplanern verschiedener Disziplinen und der Bevölkerung – und das Finden einer gemeinsamen Sprache. Die Quartierentwicklung der Zürcher Neugasse zeigt, wie viel Wissen durch diese partizipative Art der Planung generiert werden kann – aber auch, dass dieses nur nützt, wenn man es in die gesetzlich festgelegten Planungsprozesse einbringen kann. Ob und in welcher Tiefe das bei der Neugasse gelingen wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen. In Zürich akzentuiert sich aber auch eine Schwierigkeit dieser intensiven Form der Planung: Partizipation ist freiwillig. Die Ergebnisse eines Mitwirkungsworkshops repräsentieren daher immer nur eine Auswahl an Ideen, nämlich die jener, die sich zum fraglichen Zeitpunkt engagierten. Alternative Meinungen fehlen. Das ist natürlich auch nicht anders, wenn Fachleute planen. Hier sorgen aber standardisierte Werkzeuge für eine gewisse Neutralität.
Eine weitere Hürde besteht in den hiesigen politischen Verhältnissen: Wahlen (und Wahlkämpfe im Vorfeld) und dadurch ausgelöste Strategie- oder Personalwechsel können die Realisierung eines Projekts gefährden.
Mind the gap
Miteinander reden, Verantwortung übernehmen, Prozesse transparent und verständlich machen: Dass der Erfolg eines Projekts trotz relativ starren gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch von den involvierten Personen dahinter abhängt, ist keine neue Erkenntnis. Dennoch ist der Performance Gap auch hier ein Thema: «Die komplexen Prozesse, welche der Planung zugrunde liegen, führen häufig zu anderen Resultaten als erwartet. Planung ist kein linearer Prozess und wird im gesamten Verlauf von verschiedenen Faktoren beeinflusst», konstatierte 2015 der Schlussbericht des interdisziplinären Nationalfondprojekts NFP 65 «Neue urbane Qualität».2 Wichtig sind also die Schnittstellen, aber auch die Reibung, wie der Bericht ebenfalls festhält: «Die Qualität eines Projektes lässt sich durch unterschiedliche Haltungen – im Sinne eines Gegenstromprinzips – deutlich verbessern. (…) Dabei gilt es, die Planung als kollektives Vorhaben zu begreifen, das nicht auf eine einzelne Berufsgruppe beschränkt ist.»
Als Werkzeug empfiehlt die Studie eine interdisziplinäre Analyse gemeinsam mit der Bevölkerung als Grundlage für den städtebaulichen Entwurf sowie mit dem Verweis auf das ETH-Forschungsprojekt «Urbane Brüche, lokale Interventionen»3 «eine kreative Abfolge von geschlossenen (d. h. formalisierten Entscheidungsgremien wie eine Baukommission) und offenen Foren (wie z. B. einen Beiratssitzung oder eine Mitwirkungsveranstaltung) (…), die nicht unbedingt dem linearen Planungsprozess folgen müssen». Also genau das aufwendige Vorgehen, das man bei der Zürcher Neugasse wählte. Gemäss dessen Moderator Michael Emmenegger eignet sich die anspruchsvolle Methodik vor allem für Planungen in sensiblem Kontext, bei denen man nicht «von Ressourcenknappheit im Hinblick auf Zeit, Personen und Geld geplagt ist», (vgl. «Die Leute sehen, was mit ihrer Botschaft passiert»).
Fast food oder Birchermüesli
Bei den Arealentwicklungen des Güterbahnhofs Basel Wolf und in Lausanne La Rasude entschieden sich die Projektverantwortlichen für konventionellere Verfahren. Die Mitwirkung der Bevölkerung erfolgte jeweils erst nach dem Entwurf einer städtebaulichen Vision. Die Rezeptur für eine erfolgreiche Planung besteht gemäss den SBB also neben der engen Zusammenarbeit mit den Behörden für die breite politische Abstützung vor allem in der Dosierung der Zutaten: Wie viel Planung, wie viel Mitwirkung, und welche Disziplinen sind vertreten? Die Ergebnisse sehen wir in Basel, Lausanne und Zürich frühestens 2020.
1 Daniel Friedli, «SBB veredeln ihren Immobilienschatz», NZZ am Sonntag, 24. Juni 2018
2 Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogramms «Neue urbane Qualität» (NFP 65) (Hg.); Brigit Wehrli-Schindler, «Urbane Qualität für
Stadt und Umland. Ein Wegweiser zur Stärkung einer nachhaltigen Raumentwicklung», Scheidegger & Spiess, Zürich 2015.
3 Die Untersuchung ist eines der fünf Projekte, aus denen sich das NFP 65 zusammensetzt (vgl. TEC21 45/2014).
Weitere Beiträge aus der Publikation «SBB-Areale: vom Betrieb zur Stadt» finden Sie hier.