Die re­vi­dier­te Leis­tungs- und Ho­no­rar­ord­nung SIA 104 tritt in Kraft

Rund 17 Jahre hat die Vorgängerversion der neuen Leistungs- und Honorarordnung SIA 104 überdauert. Wie kann eine Ordnung in dieser schnelllebigen Zeit so lange gültig bleiben? Eine spannende Frage gerade vor dem Hintergrund, dass der SIA in Zusammenhang mit Digitalisierungsnormen über Möglichkeiten diskutiert, nationale Wegleitungen auf Basis europäischer Normen innerhalb von einigen Monaten zu publizieren und auch rasch wieder zu revidieren.

Alles muss möglichst schnell erstellt und flexibel anpassbar sein, um der unglaublichen Beschleunigung gerecht zu werden, die die Gesellschaft in vielen Bereichen erlebt. Gibt es andere Antworten, als immer noch schneller zu werden? Vielleicht erreicht der SIA eine höhere Flexibilität und Anpassbarkeit, indem nicht jede Eventualität bis ins Detail definiert wird, indem jedoch auf den Einzelfall anpassbare Grundsätze herausgearbeitet sind, die von allen Beteiligten mitgetragen werden.

Die revidierte Leistungs- und Honorarordnung (LHO) SIA 104 zeigt, wie sich über lange Zeit etablierte Strukturen und Berufsbilder in unserer komplexen Welt verändern. Es sind nicht mehr einzelne Akteure – wie früher der Förster –, die nachhaltige Lösungen für unseren zukünftigen Lebensraum definieren, sondern Fachleute aus verschiedenen Disziplinen, die gemeinsam daran arbeiten. Es lohnt sich also, wie bei den Bereichen Wald und ­Naturgefahren der SIA 104, Themen disziplinenübergreifend anzugehen und die Gemeinsamkeiten statt das Trennende verschiedener Dis­zi­pli­nen in den Vordergrund zu stellen.

Wie alles begann

Die erste LHO SIA 104 für Forst­ingenieure und Forstingenieurinnen gab der SIA 1984 heraus. In den Jahren 1994 und 2003 wurde sie revidiert und aktualisiert. Nach der letzten Revision im Jahr 2003 hatte das Werk einen Umfang von stolzen 154 Seiten, umfasste mehrere detaillierte Anhänge zu Themenbereichen wie Naturgefahren oder der Bearbeitung räumlicher Daten.

Dennoch deckte die SIA 104 nicht alle Tätigkeitsfelder ab, und die Leistungsbeschriebe waren teilweise viel zu detailliert. Daher wurde die SIA 104 nur selten und in einzelnen Projektkategorien wirklich benutzt. Abklärungen der Kommission SIA 104 im Jahr 2003 ergaben, dass eine Totalrevision erwünscht und nötig war.

Die Hürden

Die Schwachstellen der bisherigen SIA 104 waren bedingt durch die Dualität zwischen Bauprojekten, Planungen sowie Expertisen und zwischen dem Umgang mit natürlichen Systemen einerseits und technischen Werken andererseits.

Diese Gegensätze entstanden durch das weite Berufsfeld, in dem sich Forstingenieurinnen und Forst­ingenieure bewegen. Daher sollte die neue Ordnung den heutigen Aufgaben und Leistungen der Fach­leute an der Schnittstelle zwischen Natur und Technik Rechnung tragen sowie dem Umstand, dass es den Ausbildungsgang, auf den die SIA 104 zugeschnitten war, in dieser Form nicht mehr gibt.

Mittlerweile wird das damalige Berufsfeld der Forstingenieurin und des Forstingenieurs von Fachleuten aus unterschiedlichen Ausbildungsgängen wahrgenommen, und komplexe Probleme werden heute immer häufiger interdisziplinär bearbeitet und gelöst.

Ziele der Revision 2020

Mit der aktuellen Revision wurden die Kapitel «Definition/Beschrieb der Aufgaben des Ingenieurs» (Kap. 2), «Überprüfen/Überarbeiten der Leistungen des Ingenieurs» (Kap. 3) und «Überprüfen/Überarbeiten der Leistungsbeschriebe» (Kap. 4) erneuert. Die Ordnung wurde entschlackt, und veraltete Inhalte wurden entfernt.

Ebenfalls wesentlich waren die Abstimmung der Leistungsbeschriebe mit anderen LHOs (beispielsweise 103, 105, 106), die Wiederherstellung der Konformität mit den Leistungsmodellen SIA 111 und 112 sowie die Beseitigung von Paragrafen, die gemäss Weko-Entscheid problematisch sind.

Neue Zielgruppe

Die neue SIA 104 trägt den Titel ­«Ordnung für Leistungen und Honorare der Ingenieurinnen und Ingenieure in den Bereichen Wald und Naturgefahren». Damit wird der heutigen Ausbildungslandschaft Rechnung getragen und gleichzeitig auf die Bereiche mit den wichtigsten Kernkompetenzen hingewiesen. Angesprochen werden mit dieser Ordnung alle Fachleute, unabhängig von ihrer ursprünglichen Ausbildung und ihrem Werdegang.

Weitere Neuerungen

Die neue SIA 104 beschreibt in Kapitel 2 vier Themenfelder, die die Tätigkeit der Forstingenieurin und des Forstingenieurs beinhaltet: Schutzwald/Naturgefahren; Waldwirtschaft/Holzproduktion; Öko­logie/Landschaft sowie Wald und Gesellschaft/Erholung.

Zu jedem Themenfeld werden – nicht abschliessend – verschiedene Tätigkeitsbereiche aufgelistet, so zum Beispiel beim Themenfeld «Schutzwald / Naturgefahren» die Bereiche «Schutzwaldpflege, Anlagen und Massnahmen zum Schutz vor Naturgefahren, Gefahrenkartierung».

Zum Themenfeld «Waldwirtschaft / Holzproduktion» gehören Tätigkeitsbereiche wie «Waldinventuren, Monitoring der Waldentwicklung, Waldentwicklungsplanung, Walderschliessungsplanung und Konzepte zum Waldschutz».

«Planungen, Konzepte und Berichterstattung zur Biodiversität, Walderhaltung und Umweltverträglichkeit» werden dem Themenfeld «Ökologie / Landschaft» zugeordnet.

Beim vierten Themenfeld «Wald und Gesellschaft / Erholung» werden unter anderem Tätigkeiten wie «Urban Forestry, Besucherlenkung» und «Umwelterziehung» eingeordnet.

Bei den Leistungsbeschrieben (Kap. 4) lehnt sich die Ordnung stark an die Leistungsmodelle Verständigungsnormen SIA 111 Planung und Beratung sowie SIA 112 Bauplanung an. Damit kann dem angesprochenen Berufsfeld und der Dualität zwischen Bauprojekten sowie Planungen und Expertisen Rechnung getragen werden.

Die SIA 111 bildet den Prozess von Planung und Beratung für Projekte ab, deren Resultat nicht
ein Bauwerk im eigentlichen Sinn ist. Demgegenüber beschreibt die SIA 112 den Planungsprozess für Bauvorhaben. In beiden Normen werden sowohl Leistungen der Beauftragten als auch des Auftraggebers aufgelistet.

Herausforderung ­Natur­gefahren

Die Wahl des neuen Titels für die SIA 104 führte zu Diskussionen: Man wollte den Eindruck vermeiden, dass sich «die Förster ein neues Themenfeld unter den Nagel reissen». Die Themenbereiche Wald und Naturgefahren sind in der Schweiz jedoch historisch miteinander verknüpft, auch wenn sich heute längst nicht mehr ausschliesslich Waldfachleute mit Naturgefahren befassen und sich nicht alle Waldfachleute mit Naturgefahren auskennen.

Trotzdem hat sich die Kommission SIA 104 dazu entschlossen, an dieser Verknüpfung festzuhalten – und dies aus guten Gründen: Im Fokus der neuen LHO stehen insbesondere die gravitativen Naturgefahren Lawine, Steinschlag, Rutschung, Murgang und Hochwasser.

Noch heute schlägt sich die Verknüpfung zwischen Wald und diesen Naturgefahren in Schweizer Gesetzbüchern, Behördenorganisationen und Beschaffungsaufträgen nieder. Aus diesem Grund wurden schon in den bisherigen Versionen der SIA 104 unter anderem auch Leistungen zum Thema Naturgefahren beschrieben. In der Version 2003 füllte das Thema Naturgefahren nicht weniger als 28 Seiten.

Umfragen der Kommission SIA 104 im Vorfeld der Revision haben gezeigt, dass die SIA 104 vor allem in den Bereichen Naturge­fahren und Ingenieurwesen zur ­Anwendung kommt. Keine andere LHO enthält Leistungsbeschriebe zu Naturgefahren. Es gibt auch keine Ausbildung, die sich schwerpunktmässig dem Thema Naturgefahren widmet. Deshalb ist das Thema in einer anderen LHO nicht besser aufgehoben.

Weitere Schritte

In einem nächsten Schritt wird es darum gehen, das Zielpublikum mittels Informationsanlässen und Schulungen auf die revidierte SIA 104 aufmerksam zu machen. Ebenfalls zur Diskussion steht der Umgang mit den nicht mehr verwendeten Anhängen und Kalkulationshilfen.

Eine sang- und klanglose Versenkung in den Archiven ist ebenso denkbar wie die Erarbeitung einer weiteren Dokumentation. Der Kommission SIA 104 geht die Arbeit jedenfalls auch nach der Genehmigung der SIA 104 nicht aus.

Die neue SIA 104 Ordnung für Leistungen und Honorare der Ingenieurinnen und Ingenieure in
den Bereichen Wald und Natur­gefahren ist im SIA-Shop erhältlich oder über distribution [at] sia.ch bestellbar.