Ein Netz für (fast) al­le Fäl­le

Das Anergienetz «Chur West» erschliesst Wärmequellen, die oft ungenutzt bleiben. Aufgrund des niedrigen Temperaturniveaus lässt es sich zum Heizen und zum Kühlen nutzen.

Publikationsdatum
26-11-2021

Das Anergienetz «Chur West» des regionalen Energiedienstleisters «IBC Energie Wasser Chur» versorgt seit rund acht Jahren unterschiedlich genutzte Liegenschaften im Bündner Hauptort. An vielen Orten dient die gelieferte thermische Netzenergie zum Heizen. Einigen aber auch zum Kühlen, weil das Anergienetz mit tieferen Temperaturen betrieben wird als herkömmliche Fernwärmenetze. Die Temperatur des Wassers, das als Energie­träger eingesetzt wird, liegt zwischen 6 und 16 °C. Als Quelle steht das Grund­wasser mit Ausgangstemperaturen von 6 bis 8 °C zur Verfügung. Seine thermische Energie wird über einen Wärmetauscher an das Anergienetz übertragen. Dadurch kann die Netztemperatur ausgeglichen werden, abhängig davon, ob die Energie eher zum Heizen oder zum Kühlen benötigt wird.

Mehr Artikel aus dem Sonderheft Anergienetze | Réseaux d’anérgie | Reti anergetiche  finden Sie in unserem E-Dossier Anergienetze.

Ökologische Bedenken sind ­unbegründet

Die thermische Nutzung von Grundwasser ist gesetzlich geregelt und unter Auflagen erlaubt. So muss die IBC als Netzbetreiberin dafür sorgen, dass sich das Grundwasser nach der Rückeinspeisung nicht zu stark erwärmt oder abkühlt; die Temperaturabweichungen sind auf ein ­vorgegebenes Mass gegenüber dem natür­lichen Zustand beschränkt. «Deshalb prognostizieren wir die thermischen Verhältnisse im Betrieb ausgehend von geologischen Modellen», erklärt Florian Eigner, Betriebs- und Prozessingenieur bei IBC. Weniger heikel als die Temperatur sei die Menge des entnommenen Grundwassers. Da dieses Wasser grundsätzlich immer in denselben Grundwasserträger zurückgeleitet wird, könne man eine quantitative Übernutzung ausschliessen. Wichtig ist zudem: Weder bei der Entnahme noch bei der Rückgabe darf das Grundwasser verunreinigt werden. Sichergestellt ist, dass sich das Wasser auch nicht chemisch verändert – ökologische Bedenken sind also unbegründet.

Wärmen und kühlen möglich

Für welche Liegenschaften und Siedlungsareale eignet sich ein Anschluss an das Anergienetz? «Grundsätzlich können alle Nutzungstypen angeschlossen werden», erklärt Eigner. Ideal seien jedoch eher gewerblich genutzte Gebäude oder Areale, deren Wärme- oder Kühlbedarf zeitlich versetzt ist: im Winter zum Heizen und im Sommer zum Kühlen. Ein junges Beispiel ist das im Sommer 2020 neu bezogene ­Verwaltungszentrum des Kantons Graubünden am Südwestrand des Hauptorts. Allerdings wird das Kühlen auch bei Wohnungsbauten immer mehr zum Thema.

Die Netzbetreiberin IBC will daher das Free­cooling – mit einem Netzanschluss für Wohnliegenschaften – gegenüber anderen Kühlvarianten fördern: Der Bezug von Wasser zum Kühlen ist nur halb so teuer wie zum Heizen, weshalb sich das Free­cooling finanziell lohnen soll.

Wie aber funktioniert das Anergienetz Chur West? Benötigt der Kunde Wärme, entnimmt er jeweils bis zu 4 °C Wärme­energie; abgekühlt gelangt das Wasser zurück ins Netz. Am Standort selbst wird die Wärme jeweils mithilfe einer Wärme­pumpe für Heizzwecke und/oder zu Warmwasser aufbereitet. Der Kühlprozess läuft thermisch umgekehrt: Erwärmtes Rücklaufwasser fliesst jeweils zurück ins Netz (vgl. Grafik oben). Ein Vorteil des Netzanschlusses ist auch: Es werden Wärmequellen erschlossen, die singulär nicht nutzbar wären. So liefert ein Rechenzentrum, das auch im Winter gekühlt werden muss, Abwärme, die anderswo zum Heizen genutzt werden kann.

Ausbau im Neubauquartier

Das Churer Wärme- und Kältenetz ging 2013 in Betrieb und wird seither laufend ausgebaut. Ebenso die Zentrale, um die ­steigende Nachfrage im Siedlungsraum zu decken. Aktuell beträgt die Nennleistung rund 2 MW Umweltwärme, eine nächste Erweiterungsrunde steht bevor. Auf dem 6 ha grossen Areal «Kleinbruggen» soll ein gemischt genutztes Neubauquartier entstehen. Der Standort selbst wird noch landwirtschaftlich genutzt, ist aber schon länger als Bauzone eingestuft. Die Nachhaltigkeit ist bei dieser Arealentwicklung ein zentrales Thema: Der Quartierplan legt fest, dass die Anforderungen der 2000-Watt-Gesellschaft zu erfüllen sind. Das Anergienetz bietet dafür die erneuerbare Energiever­sorgung, daher ist ein Anschluss als Umsetzungsmassnahme willkommen. Die Bauträgerschaft betont ihrerseits, dass dies zudem ein wert­volles Argument für die Vermarktung der Wohn- und Nutzflächen ist. Bis 2028 soll das Kleinbruggen-Areal vollständig in ein Stadtquartier verwandelt sein. Der ther­mische Leistungsbedarf wird auf knapp 1.3 MW für die Wärme- und 0.9 MW für die Kälteversorgung veranschlagt. Insofern wird sich die Kapazität des Anergienetzes Chur West in absehbarer Zeit verdoppeln.

Anergienetz Chur West

 

Energiequelle: Grundwasser

 

Nutzungsart: Heizen, Kühlen

 

Projektbeginn: 2013

 

Aktuelle Leistung: 2,1 MW

 

Endleistung: 3,4 MW

 

Projektverantwortung: IBC Energie Wasser Chur

Verwandte Beiträge